Drei Fridays-for-Future-Aktivist*innen kandidierten bei der der Bundestagswahl für die Grünen. Valentin Dreher fragt, ob sie der Bewegung mehr Gehör im Parlament verschaffen.
Freitagmittag vor dem Reichstag, zwei Tage vor der Bundestagswahl: Fridays for Future hat ein letztes Mal vor dem Urnengang zum Klimastreik aufgerufen. Ada, eine Schülerin, die noch nicht wählen darf, appelliert: „Die älteren Wähler*innen müssen an uns denken. Wir sind hier, weil wir verzweifelt sind.“ Die Schwestern Kathi und Annemarie erzählen, dass sie am Sonntag auf jeden Fall die Grünen wählen wollen: „Aber die Generation 60+ macht knapp 40% der Wahlberechtigten aus, deshalb sind sie ganz entscheidend dafür mitverantwortlich, wie die nächste Bundesregierung und unsere Zukunft aussehen.“
Trotz Massenmobilisierung in über 470 deutschen Städten scheint der Appell an die Wähler*innen ungehört zu verhallen. Die Grünen erreichen zwar mit 14,8 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis, „aber das historisch Beste ist manchmal nicht genug“, wird die Grüne Marina Weisband Sonntagabend bei Maybrit Illner feststellen. Politikwissenschaftler Arndt Leininger erklärt, die Grünen mögen für viele Demonstrierende zwar die naheliegende Wahl sein, „aber Demonstrationen richten sich eher an politische Eliten.“ Und die nähmen – ebenso wie viele Medien – Fridays for Future nach wie vor nicht ernst. „Dementsprechend blieb die Resonanz hier eher aus”, vermutet Leininger.
Keine etablierte Partei erreicht das 1,5-Grad-Ziel
Ein Dilemma für die junge Klimabewegung, deren erklärtes Ziel eine ambitioniertere Klimaschutzpolitik der künftigen Bundesregierung ist. Doch keine der etablierten Parteien erfüllt ausweislich ihrer Programme zur Bundestagswahl die wichtigste Forderung der Bewegung. Fridays for Future-Sprecherin Carla Reemtsma kritisiert: „Wir haben im Wahlkampf erlebt, wie die Parteien Lügen verbreiten, sie bekennen sich alle zum Klimaschutz, doch keine hat ein ausreichendes Programm für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.“ Eine Wahlprogrammanalyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung bestätigt, dass alle etablierten Parteien mit ihren Programmen die Zielmarke des Pariser Klimaabkommens verfehlen würden. Das sorgt für Frustration bei den Aktivist*innen.
Was tun also gegen die fehlende politische Resonanz der Klimabewegung? Drei frühere Fridays for Future-Aktivist*innen haben sich zum Ziel gesetzt, den Bundestag von innen zu einer konsequenteren Klimapolitik zu drängen und kandidierten als Grüne für ein Direktmandat. Eine von ihnen ist Anka Esser, die im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick antritt. Sie sagt, sie sei „krass frustriert”, dass die politischen Forderungen der Klimabewegung noch kaum umgesetzt wurden. „Ich fühle mich nicht als Parteiperson, aber Parteiarbeit ist ein Weg, um Klimagerechtigkeit zu schaffen. Politische Veränderung passiert nun mal in erster Linie in den Parlamenten.“ Neben Esser kandidieren mit Jakob Blasel und Urs Liebau auch zwei weitere bekannte Gesichter der Bewegung für ein Mandat.
Am Montagmorgen ist klar: Keine*r der drei wird Teil des nächsten Bundestags sein. Liebau zeigt sich dennoch optimistisch: „Es geht nicht nur um Personen, die jetzt im Bundestag sind, sondern darum, dass die Themen aufgegriffen wurden und alle Parteien auf einmal über Klimaschutz reden. Es ist ein Verdienst von Fridays for Future, dass sich nun alle mit diesem Thema auseinandersetzen müssen, und allein dadurch ist Fridays for Future schon jetzt in den Bundestag reingekommen.“
Doch als Person hat es lediglich Kathrin Henneberger aus der Klimabewegung in den nächsten Bundestag geschafft. Die 34-Jährige kämpft seit fast 20 Jahren aktivistisch gegen klimaschädliche Kohleförderung in Nordrhein-Westfalen und erhält ihr Mandat über die Landesliste der Grünen. Sie sieht sich allerdings nicht als Teil der Fridays for Future-Bewegung – sie stamme aus der vorangegangenen Generation der Klimabewegung. Als deren Sprecherin im Bundestag will Henneberger dennoch nicht gesehen werden: „Die Akteur*innen der Klimabewegung sollen laut für sich selber sprechen, sie sollen die Politik pushen. Nur weil es jetzt Parlamentarier*innen gibt, die für Klimagerechtigkeit kämpfen werden, heißt das nicht, dass die Bewegung leiser werden sollte.“
„Manche leiten ihre Frustration auf die falschen Leute um”
Die Kandidatur der Klimaaktivist*innen dürfte bei Fridays for Future nicht nur auf Zustimmung getroffen sein – das Verhältnis zwischen einigen Aktivist*innen und Bündnis 90/Die Grünen ist angespannt. Besonders nach dem Bundesparteitag der Grünen im Juni, auf dem auch das Wahlprogramm für die Bundestagswahl beschlossen wurde, war die Kritik groß: Der Parteitag beschloss einen CO2-Preis von 60 Euro pro Tonne bis 2023, führende Klimaaktivist*innen hatten einen CO2-Preis von 80 Euro gefordert. Harte Kritik übte damals auch Reemtsma: Es sei verheerend, dass die größte grüne Partei der Welt keinen Plan zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels hätte.
Bundestagskandidatin Esser findet die Kritik der Aktivist*innen an bündnisgrüner Klimapolitik manchmal etwas überzogen. „Ich habe das Gefühl, dass manche ihre Frustration auf die falschen Leute umleiten.“ An den Grünen würde eine ambitionierte Klimapolitik sicher nicht scheitern, sagt sie. Doch für manche Sachen fehlten einfach die Mehrheiten. „Es ist für die Parteien ein Spagat“, ordnet Politikwissenschaftler Leininger ein. „Sie müssen zum einen soziale Bewegungen mit ambitionierten Forderungen mitnehmen, aber gleichzeitig auch die Bevölkerung. Das kann manchmal schwierig auszutarieren sein.“ Auch Henneberger sieht sich von der Kritik nicht betroffen: „Wer sich der Gefahr aussetzt, durch Polizeiketten zu rennen, Kohlebagger zu bekämpfen, wer sich auch den damit verbundenen Repressionen aussetzt, der steht nicht in der Kritik, es mit dem 1,5-Grad-Ziel nicht ernst zu meinen.“
Weiter als außerparlamentarische Opposition
An der Situation der Fridays for Future-Bewegung jedenfalls wird sich in den nächsten vier Jahren nicht viel ändern – als außerparlamentarische Opposition wird sie weiter um mediale und politische Resonanz kämpfen müssen. Carla Reemtsma ist schon am Freitag sicher, dass die Mehrheiten für eine Klimapolitik à la Fridays for Future im nächsten Bundestag fehlen. Für die Zeit der Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen kündigte sie weitere Demonstrationen an: „Wir werden nicht aufhören, Druck zu machen, denn solange keine Partei ein 1,5-Grad-konformes Programm hat, wird es auch keine 1,5-Grad-konforme Regierungspolitik geben.“ Am Dienstag kündigt die Bewegung schon den nächsten Streik in Berlin für den 22. Oktober an. Das Motto: #IhrLasstUnsKeineWahl.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Finde es toll,was Fridaysforfuture bewegt haben.Anderseits finde ich es traurig,das die Menschen nicht selber aktiv werden und sich von der korrupten Parteienlandschaft verabschieden sollten.