Jüdinnen und Juden leben ihren Glauben unterschiedlich aus und für jede*n Einzelne*n hat das Judentum eine andere Bedeutung. Deshalb hat Aurelia Bonn bei vier Projektteilnehmer*innen von Meet a Jew* nachgefragt: Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?
„Es ist für mich ein Wegweiser, ein Stück Heimat.“
Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?
Für mich bedeutet jüdisch sein etwas sehr Persönliches. Es ist etwas, was nur mein Leben betrifft, nicht die Leute um mich herum. Es ist für mich ein Wegweiser, ein Stück Heimat. Jüdisch sein ist für mich das, was mich zu einem guten Menschen macht.
Ich lebe in einem orthodoxen Haushalt. Wir halten uns an möglichst alle Regeln. Ich achte darauf, koscher zu essen und kleide mich den jüdischen Vorschriften gemäß. Als verheiratete Frau bedecke ich meine Haare. Außerdem halte ich die Feiertage ein und benutze am Schabbat kein Handy. Aber das sind alles Sachen, die nur uns betreffen. Das bedeutet nicht, dass wir in einer religiösen Blase leben, sondern, dass wir unseren Alltag anpassen und mit der restlichen Gesellschaft interagieren. Ich habe auch christliche, jüdische und muslimische Freunde.
Was mich an dem jüdischen Glauben fasziniert? Dass du nicht jüdisch sein musst, um ein guter Mensch zu sein. Das Judentum ist keine Religion, die dich missioniert. Im Gegenteil: die Religion, nimmt dich so hin, wie du bist. Es geht um dich selbst: wie du dich benimmst, wie du über andere denkst und was das mit dir macht.
„Der jüdische Glaube ist ein Teil meiner Identität“
Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?
Der jüdische Glaube ist für mich ein Teil meiner Identität. Es ist nicht nur, was ich glaube, es ist das Gefühl, dass da eine jüdische Gemeinschaft ist. Es fühlt sich an, als ob die Jüdinnen und Juden weltweit eine Verbindung zueinander haben. Durch die Verfolgung der Jüdinnen und Juden über diesen langen Zeitraum hinweg hat sich eine Zugehörigkeit gebildet. Ich würde meine Religion nie ändern. Das Judentum gehört zu meinem tagtäglichen Leben.
Das besondere an meiner Religion? Es ist ein Glaube, der nicht missioniert. Die jüdischen Gesetze machen es Leuten, die übertreten wollen, schwer. Wir versuchen, niemanden auf unsere Seite zu bringen. Es ist eine Religion, die wahnsinnig auf die Familie bezogen ist, was ich schon immer mochte. Ich bin ein Familienmensch. Bis auf zwei oder drei Feiertage wird alles wirklich mit Freude gefeiert. Das heißt mit viel Essen, immer mit der Familie, ja auch mit Alkohol – das gehört auch mal zum Feiern dazu.
Ich komme aus einem Haushalt, der auf Traditionen bedacht ist. Ich esse jedoch nicht koscher und halte den Schabbat nicht ein, aber ich halte mich schon an gewisse Regeln. Jede*r sollte für sich entscheiden, in wie weit er*sie die Traditionen auslebt.
„Das Judentum ist für mich eine Anleitung, wie man als guter Menschen leben kann.“
Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?
Ich bin jüdisch geboren. Meine Eltern und Großeltern sind jüdisch und ich weiß auch, dass all meine Vorfahren für tausende von Jahren jüdisch gewesen sind. Ich fühle mich mit dem Judentum verbunden, weil das meine Tradition ist. Ich bin damit aufgewachsen, Schabbat zu feiern und mich mit der Familie hinzusetzen und dann etwas Leckeres zu essen. Ich bin damit aufgewachsen, dass wir in eine Synagoge gegangen sind und dort eine Kippa getragen haben. Insofern war das immer ein Teil von mir. Ich bin jedoch auch in meiner Jugend angefeindet worden, weil ich jüdisch bin. Das hat mich in meinem jüdischen Glauben bestärkt.
Ob ich religiös bin? – Eher nicht. Ich halte mich an Traditionen, weil ich sie richtig und schön finde. Aber ich halte mich nicht an jedes Gebot, nur weil es so in der Tora geschrieben steht.
Ich verstehe das Judentum als eine Anleitung dafür, wie man als guter Mensch leben kann. Diese Kernessenz finde ich toll und danach möchte ich leben. Mit dieser Grundphilosophie kann ich mich identifizieren.
„Ich finde es wichtig, das jüdische Leben in ganz Deutschland zu erhalten.“
Was bedeutet es für dich, jüdisch zu sein?
Für mich bedeutet jüdisches Leben alles, was ich mache, als ein Geschenk von Hashem, von Gott, zu sehen. Ich mache mir bewusst, dass ich nichts tun könnte, wenn Gott mir nicht das Können oder die Möglichkeit geben würde.
Und sonst ist es in Deutschland immer eine Art Kampf. Nicht nur was Antisemitismus angeht, sondern weil Deutschland ein christlich geprägtes Land ist. Obwohl viele Leute gar nicht religiös sind, basieren unsere Gesetze und Feiertage auf dem christlichen Glauben. Das steht dem Ausleben meiner Religion manchmal in Konkurrenz. Meine Urlaubstage gehen zum Beispiel am meisten dafür drauf, dass ich mir an jüdischen Feiertagen frei nehmen muss.
Jüdisches Leben bedeutet für mich, an Schabbat und an den Feiertagen, in die Synagoge zu gehen. Dort verbringe ich Zeit mit meinen Freund*innen und der Familie. Israel ist für mich der Ort, an dem jüdisches Leben floriert und an dem man es wesentlich einfacher hat. Ich finde es wichtig – gerade weil ich in einer Gemeinde bin, die klein ist und tatsächlich davon bedroht ist, auszusterben – dass man etwas dafür tut, das jüdische Leben in Deutschland zu erhalten. Deswegen mache ich zum Beispiel mit einem anderen Gemeindemitglied einen Abend für junge Gemeindemitglieder, an dem wir gemeinsam Kochen.
* Meet a Jew, ist ein Projekt des Zentralrats der Juden, das in persönlichen Begegnungen Einblicke in das jüdische Leben gibt.