Auf der einen Seite eine laute Demonstration mit gelben Kreuzen, auf der anderen Seite eine ruhige Diskussion mit gebügelten Hemden. Redakteurin Johanna Warszawa hat mit Jugendlichen gesprochen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise engagieren.
Berlin an einem Samstagnachmittag im September. Die Sonne scheint und langsam spürt man den Herbst in der Luft. Auf dem Leopoldplatz herrscht geschäftiges Treiben, der Flohmarkt von heute Morgen baut langsam ab. Ein paar Passant*innen erledigen ihre letzten Wochenendeinkäufe.
Ich muss genau hinhören und hinter die Flohmarktstände gehen, um die kleine Fridays for Future Demo zu erkennen. Es sind ungefähr 30 Jugendliche, die auf dem Platz stehen und ein Banner in die Luft halten mit der Aufschrift: „Lützi bleibt!“. Mein Blick schweift durch die Menge. Vorne steht ein kleiner Lautsprecherwagen. Das Lied: „Hurra die Welt geht unter“ von K.I.Z. wird gespielt. Daneben fällt mir eine Frau auf. Ich würde sie auf Anfang 20 schätzen. In der linken Hand hält sie ein Megafon, das überall mit Stickern beklebt ist. Sie trägt eine lange Jogginghose mit einem gelben Kreuz auf dem rechten Hosenbein und ein schwarzes, großes T-Shirt.
Starke Stimmen
Ich gehe auf sie zu. Sie heißt Clara, ist 21 und auf die Frage, ob die Klimakrise politisches Engagement erfordert, antwortet sie so: „Ich denke mal, es braucht viele verschiedene Möglichkeiten und Fridays for Future hat eben den Ansatz, dass man auf die Straße geht und dass die Zivilgesellschaft einfach sichtbar wird und zeigt: Hey, wir sind hier! Wir nutzen die Mittel, die wir haben, weil ich glaube, das ist ein Weg, um politischen Protest zum Ausdruck zu bringen. Ich bin aber auch der Meinung, dass es viele verschiedene Wege gibt, die auch genutzt werden müssen.“ Sie redet viel, ausschweifend und bestimmt. Man hört ihre Wut auf die Klimapolitik heraus. Dabei fuchtelt sie wild mit den Händen. Sie will gehört werden, das merkt man sofort.
In der Menge treffe ich Nils, 16 Jahre alt. Er hat sein Gesicht blau angemalt und auf der linken Wange trägt er das Zeichen der Uiguren. Auf die Frage, wie er zu Fridays for Future gekommen ist, antwortet er: „Durch das Rezo Video.“ Ich muss schmunzeln. Nicht, weil ich das Video unbedeutend finde, sondern weil ich es aus dem Blick verloren habe. Vielleicht war mir aber auch nicht klar, was für eine Wirkung dieses Video auf Menschen wie Nils hatte.
„Die Leute haben immer noch nicht begriffen, wie bedeutend diese Klimakatastrophe ist, auch für Deutschland. Ohne Greta Thunberg und ohne dieses Anfangen von Fridays for Future wären die Maßnahmen von der Politik niemals zustande gekommen“, sagt er. „Demos wirken am besten, weil auf Protesten kann man theoretisch so extreme Meinungen haben, wie man will. In einer Partei muss man sich mit anderen Meinungen zurechtfinden und Kompromisse schließen“, sagt er resigniert. Er wirkt verzweifelt, aber auch stolz auf die Bewegung und das, was sie erreicht hat. Ich bedanke mich und drehe mich zum Lautsprecherwagen.
Dort steht jetzt ein zierliches Mädchen, Lena. Sie hält eine Rede über das Ende des 9-Euro-Tickets und die restriktive Verkehrspolitik. Ihre Rede ist eindrücklich. Wütend konfrontiert sie Volker Wissing mit seinen Aussagen zur Weiterführung des 9-Euro-Tickets.
Fridays for Future ist ihre Welt geworden und darin blüht sie auf. Nach ihrer Rede gratulieren ihr viele für ihre starken Worte. Sie wird sogar gefragt, ob sie bei der nächsten Großdemonstration nochmal sprechen möchte. Ihr Bruder kommt auf sie zu, zusammen starten sie die Demo. Aus ihrer Antwort auf meine Frage hört man ihre Verzweiflung: „Ohne politisches Engagement wird nichts gemacht und selbst mit politischem Engagement wird wenig gehandelt. Das sehen wir ja. Ich habe das Gefühl, man hört uns Jugendlichen einfach nicht zu und deswegen denke ich, dass alle Formen des politischen Engagements wichtig sind.“
Szenenwechsel. Berlin Ostkreuz. Jugendherberge um 8:30 Uhr morgens, das Frühstück hat gerade begonnen. Familien sitzen mit ihren Kindern in der Sonne auf der Terrasse, trinken Orangensaft und essen Brötchen. Mittendrin sitze ich mit Caroline. Normalerweise ist sie bei Fridays for Future Halle und Greenpeace aktiv, doch dieses Wochenende organisiert sie die BundesJugendKonferenz (BuJuKo) hier in der Jugendherberge mit.
Sie lächelt und erzählt, dass es gut wäre, wenn sich jede*r politisch engagieren würde. „Doch es haben nicht alle die Möglichkeit“, sagt sie. „Die Leute, die sich bereits engagieren, müssen einerseits dafür sorgen, dass alle anderen auch die Möglichkeit bekommen und andererseits, dass dann auch alle an den Veranstaltungen teilnehmen.“ Es kommen wieder Leute zu unserem Tisch, die mit Caroline sprechen wollen. „Treffen wir uns um neun Uhr?“, „Wann kommst du?“. Caroline guckt mich entschuldigend an. Ich gebe ihr zu verstehen, dass es sowieso meine letzte Frage war. Sie springt auf, winkt mir noch einmal zu und verschwindet in der Jugendherberge.
Die Aula mit den Anzügen
In der Aula der Unterkunft unterhalten sich die Jugendlichen und packen ihre Sachen zusammen. Gerade hat Henning Evers gesprochen, der jüngste Bürgermeister in Niedersachsen und letzter Speaker auf der BuJuKo. Mir fallen ihre Blazer, Hemden und Anzüge auf. Die meisten strömen in Richtung des Pultes, um noch ein Selfie oder ein letztes Gespräch mit dem Bürgermeister zu ergattern.
Ich gehe auf Felix zu. Er sieht mit seinem blauen Hemd und seinen ordentlich zurückgegelten Haaren ganz anders aus als die Klimaaktivist*innen auf der Demo. Er war noch nie auf einer Fridays for Future Demo, erzählt er mir. Denn bei ihm im ländlichen Raum sei die Fridays for Future Bewegung noch nicht so ausgeprägt. Er ist freundlich und erklärt mir in ruhiger Stimme, dass jede*r bei sich selbst anfangen muss und er glaubt, dass man nur so das Klima schützen kann. Er formuliert kurz und knapp, bedankt sich bei mir und läuft in Richtung des Bürgermeisters.
Ich drehe mich um. Vorn bei den Stühlen steht Karl. Er trägt ein weißes Hemd und guckt auf sein Handy. Vor ihm auf der Bühne werden die Stühle zusammengeschoben und die Präsentation abgebaut. Ich gehe auf ihn zu und stelle ihm genau die gleiche Frage wie Felix. Er antwortet: „Ich finde, eine Fridays for Future Demo ist der falsche Weg, um sich fürs Klima einzusetzen. Statt Schule zu schwänzen, wo wir sowieso schon mit einem Bildungsmangel leben, sollte man sich vielleicht eher politisch engagieren und probieren, seine Meinung auf einem anderen demokratischen Weg kund zu tun.”
Auch er ist sehr nett und fragt, ob er mir helfen konnte. „Ja, auf jeden Fall!“, antworte ich ihm. Er lächelt zufrieden, steckt seine Hände in die Hosentaschen und geht zu seinen Freunden hinüber. Ich packe meine Sachen zusammen und verlasse den Raum voller Anzüge, Fragen, politischen Forderungen und Selfies mit dem Bürgermeister.
Chaotisch und ordentlich
Das waren zwei Welten, denke ich mir auf dem Rückweg. Die etwas chaotische Fridays for Future Demo mit all den wütenden, entschlossen, kämpferischen Leuten. Und dann die ordentliche, aufgeräumte Aula mit all den Jugendlichen, die interessiert mit dem Bürgermeister sprachen.
Zwei Welten, die wichtig sind. Jede auf ihre eigene Art und Weise. Der Austausch, (parteipolitisches) Engagement und das Demonstrieren, das immer Aufstampfen, das mutig sein. Davon lebt die Demokratie und mit ihr auch die Entscheidungen, die Politiker*innen treffen.