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Rangliste der Pressefreiheit 2023 – Lotte Laloire im Interview

Lotte Laloire arbeitet als Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen in Berlin und setzt sich täglich für die Pressefreiheit auf der ganzen Welt ein. Nebenbei ist sie als freie Journalistin tätig. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit und gibt Einblicke in die diesjährige weltweite Rangliste zur Pressefreiheit.

1. Lotte Laloire im Zoommeeting mit der politikorange Redaktion zum Thema Pressefreiheit
Die politkorange Redaktion zum Thema Pressefreiheit war in Leipzig und hat dort unter anderem mit Lotte Laloire interessante Inputgespräche geführt. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Ella Sophia Seeger
politikorange: Wieso hast du dich dafür entschieden, für Reporter ohne Grenzen zu arbeiten?

Lotte Laloire: Ich war selbst freie Journalistin und habe in dem Rahmen Polizeigewalt erlebt. Das war für mich ein sehr einschneidendes Erlebnis und hat mir definitiv vor Augen geführt, wie wichtig es ist, das Grundrecht auf Pressefreiheit zu haben und zu wahren. Gerade angesichts der vielen Angriffe, die wir auch in Deutschland erleben. 2021 gab es 80 gewaltsame oder physische Angriffe auf Journalist*innen.

Was genau ist deine Funktion in der Organisation? Was sind deine Aufgaben?

Ich bin Referentin im Kommunikationsteam und beantworte Presseanfragen. Ich schreibe Pressemitteilungen, gebe Interviews und versuche, in diesem Rahmen auf Übergriffe auf die Presse aufmerksam zu machen. Unser Ziel ist es, jegliche Angriffe auf die Pressefreiheit laut und entschlossen in der Öffentlichkeit zu kritisieren und zu skandalisieren, damit die ganze Gesellschaft das mitbekommt und das unterbunden werden kann. Konkret bin ich zuständig für Deutschland, Türkei und die Länder südlich der Sahara. Wir sind mehrere Referent*innen hier im Team, die sich die 180 Länder der Welt untereinander aufteilen. Dann gibt es noch ganz viele andere Referate. Weltweit gibt es Büros und Repräsentant*innen, mit denen wir zusammenarbeiten.

Wie genau geht ihr als Organisation beim Schutz der Pressefreiheit weltweit vor?

Grundsätzlich leistet Reporter ohne Grenzen Nothilfe, das heißt wir unterstützen ganz akut einzelne Journalist*innen. Ein Beispiel ist Afghanistan: Die Taliban übernehmen die Macht und bedrohen Journalist*innen teilweise mit dem Tod. Dort haben wir mit der Kabul Luftbrücke dafür gesorgt, dass möglichst viele Personen das Land verlassen können. Dann haben wir dieses Jahr den JX Fond gegründet, an den alle, die Journalismus im Exil unterstützen wollen, spenden können. Dieser Fond soll dabei helfen, dass geflüchtete Journalist*innen ihre Redaktionen im Exil wieder aufbauen und ihre Arbeit fortsetzen können. Unsere Nothilfe macht auch ein Stipendienprogramm. Neulich war ein ziemlich berühmter Journalist aus Mexiko, der dort mit dem Tod bedroht wurde, hier und hatte durch unser Stipendienprogramm die Möglichkeit, ein paar Wochen aus seinem Land rauszukommen.

Gibt es gerade weitere Brennpunkte? Du hast einige erwähnt, aber gibt es noch andere Orte, an denen ihr gerade aktiv seid?

Es gibt entsprechend der politischen Gesamtlage Krisenherde, in denen meistens auch die Presse bedrohter ist, in Kriegsgebieten zum Beispiel. Aber es gibt auch Regime, die die Daumenschrauben anziehen und plötzlich Journalist*innen mehr verfolgen als vorher. Durch den großen Einfluss Chinas über Hongkong ist dort die Lage der Pressefreiheit sehr viel schlechter geworden in den letzten Jahren, ohne dass dort ein Krieg stattfindet. In Ägypten und Tunesien werden immer wieder sehr viele Journalist*innen einfach inhaftiert. In Griechenland wird Überwachungssoftware benutzt. Das sind nur ein paar Beispiele, um einen Eindruck zu vermitteln, wie unterschiedlich die Form der Verfolgung ist. Der Punkt ist, auch ohne Krieg kann die Arbeit von Journalist*innen durchaus gefährlich sein.

Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jährlich eine Rangliste zur weltweiten Pressefreiheit. Du hast eben schon darüber gesprochen, dass sich die Repressionen, mit denen Journalist*innen konfrontiert werden, in den einzelnen Ländern unterscheiden können. Wie geht ihr bei der Erstellung des Rankings vor, um einen Vergleich dieser verschiedenen Situationen zu ermöglichen?

Wir befragen in jedem der 180 Länder Expert*innen. Das sind Journalist*innen, aber auch Medienrechtsprofessor*innen oder Mitglieder von Rundfunkanstalten, also Leute, die in Aufsichtsgremien arbeiten, die mit Medien zu tun haben und sich gut auskennen. Weltweit sind es ungefähr 600 Menschen, die an dieser Befragung anonym teilnehmen. Es sind mehr als 100 Fragen, die wir stellen. Die Fragen lassen sich in fünf Kategorien einordnen. Da geht es um ökonomische Faktoren, um die Gesetzeslage, um die Sicherheitslage auf der Straße, aber auch im Internet. Hierzu haben wir letztes Jahr noch einige Fragen hinzugefügt, weil vor allem digitale Gewaltformen gegen Journalist*innen immer mehr zunehmen. Es geht auch um die gesellschaftliche Stimmung, die Wertschätzung gegenüber der Presse. Aber auch der Einfluss der Regierung auf die Redaktionen spielt eine Rolle. Zu jedem dieser Bereiche werden jeweils ungefähr ein Dutzend Fragen gestellt

Die Rangliste für das Jahr 2023 erscheint heute am internationalen Tag der Pressefreiheit. Letztes Jahr stieg Deutschland von Rang 13 auf Rang 16 ab. Setzt sich dieser Trend fort?

Deutschland hat sich weiter verschlechtert und ist von Rang 16 auf Rang 21 abgestiegen. Das ist eine Verschlechterung um 5 Plätze und der schlechteste Rang, den das Land je hatte. Der Hauptgrund ist die schlechte Sicherheitslage, die hohe Gewalt gegen Journalist*innen auf der Straße. Die Gewalt hat während der Coronapandemie bei den „Querdenker“-Protesten weiter zugenommen. Es ist wichtig klarzustellen, dass es schon immer viel Gewalt gegen die Presse in extrem rechten und verschwörungsideologischen Kontexten gab. Zugenommen hat sie nur, weil diese Menschen mehr auf der Straße unterwegs waren und auch leider neue Personen mobilisieren konnten. Die gleichen Leute demonstrieren jetzt weiter, zum Beispiel bei den sogenannten Friedensdemos. Dort ist zwar mit Russland und der Ukraine das Thema ein anderes, aber teilweise werden sogar die gleichen Plakate mitgebracht.

Hast du abschließend noch ein paar Worte an jüngere Journalist*innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen? Wie kann man euch unterstützen?

Wir setzen uns für die Pressefreiheit und somit für euer aller Freiheit ein und auch dafür, dass ihr frei und sicher arbeiten könnt. Deswegen freuen wir uns über Spenden oder sogar Mitgliedschaften. Es reicht aber auch, wenn ihr uns auf Social Media folgt und euch einen Eindruck macht. Lasst euch nicht entmutigen. Seid neugierig. Lasst euch nicht sofort von Kritik einschüchtern. Arbeitet ordentlich, aber arbeitet weiter. Und wenn ihr Unterstützung braucht, meldet euch bei uns oder anderen Organisationen.

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Freie Presse im freien Fall?

Deutschland stürzt im Ranking der Pressefreiheit weiter ab. Politikorange hat sich in Leipzig auf die Suche nach den Gründen dafür begeben. Besonders Fragen nach Repressionen gegen Journalist*innen haben uns beschäftigt: Wie können sich Journalist*innen vor Angriffen auf Demonstrationen schützen? Wer berät bei Unterlassungsklagen? Und welchen Zusammenhang gibt es zwischen der prekären ökonomischen Situation von Journalist*innen und der schwindenden Pressefreiheit?

Die politikorange-Redaktion zum Thema Pressefreiheit steht auf einer Straße in Leipzig, nahe den Redaktionsräumen des Landesverbands Sachsen.
Die politikorange-Redaktion zum Thema Pressefreiheit v.l.n.r.: Clara Baldus, Lisa Schmachtenberger, Rebekka Schäfer, Hannah Sturm, Carlos Hanke Barajas und Jacqueline Scholtes. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Ella Sophia Seeger

Diktaturen, Morddrohungen, Haftstrafen, Überwachung – oft sind das die ersten Assoziationen, die in den Sinn kommen, wenn von eingeschränkter Pressefreiheit die Rede ist. An Deutschland wird dagegen wohl kaum gedacht. Immerhin ist die Freiheit der Presse hierzulande ein in Artikel 5 des Grundgesetzes geschütztes Gut. Eine in der Demokratie garantierte Voraussetzung, die nötig ist, damit Bürger*innen sich frei informieren und eine eigene Meinung bilden können. So weit, so gut also? Mitnichten.

Auch in Deutschland grenzen vor allem Hassrede, tätliche Angriffe und Einschüchterungsklagen die freie Berichterstattung immer weiter ein. Um Licht ins Dunkel dieser besorgniserregenden Entwicklung zu bringen, sprach die Projektredaktion in Leipzig mit Expert*innen aus dem Medienrecht und zivilgesellschaftlichen Organisationen, einer sächsischen Politikerin sowie mit von Repressionen betroffenen Journalist*innen.

Den Anfang machte ein Besuch im Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF). Mit Geschäftsführer Lutz Kinkel sprachen wir über die Studie „Feindbild Journalist“ und darüber, wie Medienhäuser ihre Angestellten vor Repressionen schützen können. Außerdem lernten wir die verschiedenen Hilfsprogramme kennen, mit denen die Non-Profit-Organisation Journalist*innen im Exil Schutz bietet. Anja Pasquay, Pressesprecherin des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), berichtete dabei über das Pilotprojekt von Netzwerk Recherche „Helpline“, bei dem Journalist*innen sich gegenseitig in psychischen Ausnahmesituationen unterstützen.

Lotte Laloire von Reporter ohne Grenzen lieferte Einblicke, wie ihr jährliches Ranking entsteht und Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, gab in einem Workshop Schritt für Schritt Anleitungen, was in Bedrohungssituationen zu tun sei. Beide erzählten dabei von der Zunahme der sogenannten „Strategic Lawsuits against Public Participation “ kurz SLAPPs, also präventiven Anwaltsstrategien um Berichterstattung im Keim zu ersticken. Dass Redaktionen sich von Klagen wie diesen nicht einschüchtern lassen sollten, erläuterte Gostomzyk zusätzlich anhand seiner Studie „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“. Tags darauf sprach unsere Redaktion mit den Lokaljournalist*innen Kili Weber und Bastian Raabe, die von Angriffen auf ihre Berichterstattung über Rechtsextremismus auf „Querdenken“- und „Friedens“-Demos in und um Leipzig erzählten.

Entstanden sind Interviews, Porträts und Features – fünf Artikel, die Bedrohungen der Pressefreiheit aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Jacqueline Scholtes zieht in ihrem Feature Bilanz, wie Journalist*innen bei der Berichterstattung über Lützerath eingeschränkt wurden. Clara Baldus hat mit Claudia Maicher über ihre Arbeit als Vorsitzende des Medienausschusses im Sächsischen Landtag gesprochen. Einen Blick über den europäischen Tellerrand wagt Rebekka Schäfer mit einem Porträt über Azad, der vor sechs Monaten Land und Familie verlassen musste, um weiter kritisch über die Regierung in seiner Heimat Bangladesch berichten zu können. Hannah Sturm blickt in ihrem Interview mit Lotte Laloire hinter die Kulissen bei Reporter ohne Grenzen. Und wie Pressearbeit sich seit Beginn der „Querdenken“-Proteste verändert hat, beleuchtet Lisa Schmachtenberger in einem Feature über Journalismus in Ostdeutschland.

Viel Spaß beim Lesen, einen umfassenden Einblick in die Thematik und viele Anstöße für eine freiere Berichterstattung im nächsten Jahr wünscht die politikorange-Chefredaktion zum Tag der Pressefreiheit.

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