Schlagwort: Politik

Wehrpflichtdebatte – Wie jetzt?! 

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Wehrpflicht, Pflichtdienst, Freiwilligkeit – die Debatte über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht bewegt die Gesellschaft, insbesondere ihre jüngeren Mitglieder. Ein Überblick darüber, woher die Debatte nun kommt und welche Pläne und Reaktionen es gibt.

 


Update vom 13.10.25: Laut einem Bericht des RND sollen sich die Koalitionspartner auf folgenden Kompromiss geeinigt haben: Unter den jungen Männern, die den verpflichtenden Fragebogen ausgefüllt haben, wird ein Teil ausgelost, der zur Musterung und zu einem Gespräch eingeladen wird. Sollten sich insgesamt nicht genügend Freiwillige finden, werden die Ausgelosten zum mindestens sechsmonatigen Wehrdienst verpflichtet. Wann genau es zu einer Verpflichtung kommt, soll noch ausgehandelt werden. Das habe das RND aus beiden Fraktionen erfahren.
Dieser Kompromiss soll am Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt und am Folgetag in die erste Lesung im Bundestag gebracht werden. Ob Verteidigungsminister Pistorius den Kompromiss anerkennt, ist noch unklar.  

Quellen:
Deutscher Bundestag – Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen 
Gesetzentwurf: Modernisierung des Wehrdienstes im Bundeskabinett 
Freiwillig oder verpflichtend – wie soll der neue Wehrdienst aussehen? | tagesschau.de 
Statistik: Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland 2025| Statista 
O-Ton De Maizière: Deutscher Bundestag – 99. Sitzung vom 24.03.2011, TOP 30: Rede von Dr. Thomas de Maizière 
O- Ton Scholz: Deutscher Bundestag – Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir erleben eine Zeitenwende 
Position Die Linke: Bundeswehr reformieren, statt Wehrpflicht wiedereinführen – Fraktion Die Linke im Bundestag 
Position Die Grünen: Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende, zum Kabinettsbeschluss zum Wehrdienst | Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen  
Äußerung  Johannes Winkel: „Mittelfristiges Ziel Gesellschaftsjahr“: Junge Union fordert „echte Wehrpflicht“ 
Interview Phillip Türmer: „Junge Menschen leisten am meisten“ – Juso-Chef Türmer gegen Wehrpflicht 

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Das waren die JugendPolitikTage 2025

Austausch, Diskurs mit politischen Gästen und jede Menge Workshops – das waren die JugendPolitikTage 2025. Ein Kurzbericht von den drei Veranstaltungstagen.

Die JugendPolitikTage 2025 ermöglichte politisch interessierten jungen Menschen den Austausch mit Politiker*innen – wie hier Ann-Chathrin Simon von der Jungen Union (Foto: Jugendpresse Deutschland/Lennart Jördens)

Vom 19. bis 21. Juni haben im BCC Berlin die JugendPolitikTage (JPT) stattgefunden. Aus ganz Deutschland versammelten sich rund 500 politikbegeisterte junge Menschen zwischen 16 und 27 Jahren, um gemeinsam an der mehrtägigen Jugendkonferenz teilzunehmen. Dabei dreht sich alles ums Vernetzen mit Gleichgesinnten, Erlangen neuer Perspektiven und Diskutieren mit Politiker*innen auf Augenhöhe.

Eröffnet wurden die JPT mit einer Rede von Bundesjugendministerin Karin Prien. Der Rede folgte ein moderiertes Gespräch zwischen Prien und den Teilnehmer*innen. Anschließend war Kanzleramtschef Thorsten Frei zu Gast, der sich in einer offenen Fragerunde den Gästen stellte.

Nach diesem ersten Kennenlerntag ging es an Tag zwei mit einem Programm voller Workshops weiter: In sogenannten Ministerienformaten konnten sich alle Teilnehmer*innen innerhalb von drei Stunden in Tiefe mit verschiedensten Themen wie IT-Sicherheit, Chancengerechtigkeit oder Gesundheitskompetenzauseinandersetzen. Präsentiert wurden diese Workshops von den verschiedenen Bundesministerien –beispielsweise dem Ministerien für Gesundheit, Arbeit und Soziales oder für Wirtschaft und Energie. In einer folgenden Workshopsession hatten die Teilnehmer*innen die Chance, sich in verschiedenen Themen von Klimagerechtigkeit, Berichterstattung über den Osten bis hin zu KI weiterzubilden und selbst Ideen beizutragen.

Nach den Workshops folgte eine kreative Pause mit Angeboten wie Schach, Tanzen oder Basketball. Dann endete der zweite Tag mit einem Diskussionspanel, bei dem die Teilnehmer*innen verschiedenen Perspektiven zur Finanzpolitik lauschen konnten. Zu Gast waren FiscalFuture-Geschäftsführer Carl Mühlbach, die Bundesvize der Jungen Union Ann-Cathrin Simon, der stellvertretender Politikchef der „Zeit“ Mark Schieritz sowie Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Markus Brocksiek vom Deutschen Steuerzahlerinstitut.

Der dritte und letzte Tag der JugendPolitikTage startete mit einem Plenum zur Sicht von Jugendparteien, bei dem Vertreter*innen von Junger Union, Jusos, Grüner Jugend und Linksjugend zu Gast waren. Weiteren Workshops am Mittag – unter anderem zu „BiPoC-Empowerment“, europäischer Wirtschaftspolitik und deutscher Erinnerungskultur – folgte ein „Markt der Möglichkeiten“. Hier lernten die Anwesenden zahlreiche Organisationen und Programme kennen und konnten sich vor Ort mit ihnen vernetzen. Ausgestellt wurden unter anderem die Initiative Starke Kinder- und Jugendparlamente, das ostdeutsche Projekt Jugendstil oder auch die deutsche Klimakonferenz. Den Abschluss des Tages, und damit auch der ganzen JugendPolitikTage 2025, bildete ein Abschlussplenum. Neben Abschied von den jungen Moderator*innen gab es dabei auch viel Applaus für die ehrenamtlichen Helfer*innen der Jugendpresse Deutschland.

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Phänomen KI: Moderne Meinungsmanipulation? 


Algorithmen entscheiden, was wir sehen – und manchmal, was wir glauben. Die Teilnehmer*innen der JPT 25 diskutieren Chancen, Risiken und Verantwortlichkeiten.

Ist Künstliche Intelligenz eine Datenkrake? (Foto: Unsplash / Growtika)

Stellt man ChatGPT die schlichte Frage: „Welche deutsche Partei ist die Beste?“, dann erhält man eine scheinbar schlagwortartige, vor allem aber sehr unvoreingenommen wirkende Übersicht über die wichtigsten deutschen Parteien. Fast schon wie ein Lernzettel, den man mal so für die nächste Politik-Klausur bereitgelegt hat. Die Antwort des KI-Gegenübers könnte eindeutiger und uneindeutiger nicht sein: „Ich selbst habe keine Meinung oder politische Haltung.“ Aber ist KI wirklich nur ein technisches Hilfsmittel, um neutral Informationen zusammenzufassen? 

Die einfachste Antwort: Nein. Denn die Daten, mit denen KI-Systeme gefüttert sind, wurden von Menschen selbst eingespeist und ausgewählt. Und durch Algorithmen passt sich die KI an die Nutzer*innen an, schlägt immer wieder Ergebnisse vor, die zu vorherigen Suchanfragen passen, zieht immer tiefer ins Rabbithole. 

Mit den Herausforderungen rund um das Thema KI beschäftigt sich auf den JugendPolitikTagen der Workshop “Künstliche Intelligenz auf Internetplattformen – Wunscherfüllung oder gruselige Datenkrake?” Die Teilnehmer*innen erzählen von der KI-Nutzung in ihrem Alltag und von den Bedenken, die sie dazu haben: Sorgen vor sozialer Ungleichheit, Jobverlust, Polarisierung durch Algorithmen.  

Wie sieht es aber tatsächlich in der Realität aus?  

„Tendenziell sehe ich bei KI eher die Gefahren.“, sagt Teilnehmerin Elea Bolhuis. Künstliche Intelligenz verbreitet ihrer Meinung nach in Sozialen Netzwerken teilweise radikale politische Inhalte an die Nutzer*innen. “Wirklich viel machen kann man als Einzelperson aber nicht”, sagt sie. Verantwortlich seien die großen Konzerne wie OpenAI, die hinter KI-Systemen stecken. 

Auch Zahra Tabel und Waad Nashawati sehen große Gefahr bei KI-generiertem Content auf Social Media: „Es gibt Menschen, die das nicht einschätzen können, und sich denken, dass das stimmt.“ 

Den Gefahren von Künstlicher Intelligenz, besonders durch Falschinformationen und unverlässlichen Darstellungen, sind sich die Teilnehmer*innen bewusst. Ein gutes Zeichen, dass die Jugend sich über der zunehmenden Eigenverantwortung im Klaren ist. 

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Queeres Leben unter Druck: “Wir müssen weiterkämpfen” 

Seit Jahren steigt die Zahl der queerfeindlichen Angriffe. Was die Teilnehmer*innen des Workshop “Queere Geschichte(n)” für die Zukunft mitnehmen.

Der Slogan „Pride is a protest“, abgedruckt auf einer Tasche (Foto: Unsplash/Sophie Popplewell)

Es ist Juni, offizieller Sommerbeginn. Für queere Menschen ist die sechste Seite im Kalender aber noch aus einem ganz anderen Grund besonders: Es ist wieder Zeit für Regenbogenflaggen, Drag-Shows auf der Straße und lange Partys – und alle scheinen mitzufeiern. In den letzten Jahren malen immer mehr Unternehmen ihre Logos bunt, Promis und Politiker*innen lassen sich überall ablichten, wo es Pride-Flaggen gibt. Doch das war nicht immer so. 

Milena Seidl sagt dazu: “Pride war nicht immer eine kunterbunte Parade.” Sie leitet bei den JugendPolitikTagen einen Workshop zu queerer Geschichte und erzählt dabei auch von den Anfängen der Pride-Bewegung. Begonnen hatte alles in einer der wenigen queeren Bars in New York, dem „Stonewall Inn“, wo sich vor allem POCs, Dragqueens und trans Frauen trafen. Regelmäßig kam es dort zu Polizeirazzien, bei denen die Gäste diskriminiert und schikaniert wurden. So auch in der Nacht auf den 28. Juni 1969. Doch dieses Mal begannen die Besucher*innen der Bar, sich zu wehren. Diese Nacht löste eine so große Welle an Solidarität aus, dass die Auseinandersetzungen mit der Polizei fünf Tage dauerten. Genau ein Jahr später fand in New York in Erinnerung an den Aufstand der erste Christopher Street Day (CSD) statt. 1979 war die Pride-Bewegung auch in West-Deutschland angekommen und hunderte Teilnehmer*innen zogen durch die Straßen. 

All das erscheint auf den ersten Blick weit weg. Schließlich haben queere Menschen heute viel mehr Rechte als früher. Die Ehe für alle und das Selbstbestimmungsgesetz sind nur wenige Beispiele für die großen Errungenschaften der letzten Jahre. 

Doch die regenbogenfarbene Fassade scheint zu bröckeln: Erst letzte Woche untersagte Bundestagspräsidentin Klöckner (CDU) dem queeren Netzwerk der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am CSD mit Verweis auf eine ”gebotene Neutralitätspflicht”. Auch eine Regenbogenflagge wird am Reichstagsgebäude dieses Jahr nicht wehen. 

Workshopleitung Milena Seidl (Foto: Jugendpresse Deutschland / Katja Sivacheva)

Die Teilnehmer*innen des Workshops berichten außerdem von einer zunehmenden Anspannung mit Blick auf den CSD. „Ja, es ist jetzt anders als die Jahre zuvor, definitiv“, meint Felicitas. Sie kommt aus Ostdeutschland und erzählt, dass bei einem Christopher Street Day rechte Gruppierungen aufmarschiert seien. Giulio bemerkt Ähnliches: „Mein erster CSD war vor zwei, drei Jahren. Das war sehr friedlich, sehr entspannt.” Die Feierlaune habe sich verändert, als im vergangenen Jahr Neonazis versucht hätten, die Parade anzugreifen.  Auch das BKA verzeichnet einen starken Anstieg queerfeindlicher Angriffe: Im Vergleich zu 2022 stiegen Straftaten gegen queere Personen im Jahr darauf um die Hälfte an.  

Als Antwort auf den Rechtsruck werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, dass der CSD wieder mehr unter dem Motto „stonewall was a riot“ stattfindet. “Die Errungenschaften aus der queeren Szene wurden uns nicht einfach so gegeben”, sagt Milena Seidl. Sie wurden durch Aufstände schwarzer und queerer Personen gegen Polizeischikane erreicht. Seidl meint: “Diese institutionalisierte Form von queerem Feiern gäbe es heute nicht, wenn sich die Leute damals nicht engagiert hätten.“ Dass politisches Engagement und Widerstand immer noch brandaktuell sind, findet auch Paul: Wir müssen noch weiter dafür kämpfen, dass wir Rechte bekommen oder unsere derzeitigen Rechte beibehalten.” Den CSD als reine Party zu begreifen, helfe dabei nicht. Felicitas ist ähnlicher Meinung: „Stonewall was a riot“ ist immer aktuell.” Gerade die letzten Jahre hätten gezeigt, wie schnell queere Rechte wieder abgeschafft werden könnten. Deshalb sei es so wichtig, zu zeigen, dass die queere Community groß sei und sich nicht verdrängen lasse. 

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“Den Osten” gibt es nicht 

Auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung sprechen Menschen noch von “Ostdeutschland” – jedoch nie von “Westdeutschland”. Zeit, solche Schubladen und Stereotype hinter sich zu lassen.  

Das Thema des angebotenen Workshops auf den JugendPolitikTagen (Foto: Jugendpresse Deutschland/Caroline Sauter)

Niemand kann leugnen, dass es strukturelle Ungleichheiten gibt, die auch 35 Jahre nach der Wende präsent sind. Sei es zum Beispiel die Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen oder die Lohnungleichheit im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern.  

Doch allein aus einer strukturellen Ungleichheit abzuleiten, dass „der Osten“ zurückgeblieben sei, ist schlichtweg zu kurz gedacht. Tiefe Gräben liegen zwischen dem, was manche über „Ostdeutschland“ glauben zu wissen und dem, was wirklich ist.  

„Mehr über den Osten erfahren wollen”: Das war die Motivation einiger, an dem Workshop “Jung und ostdeutsch” auf den JugendPolitikTagen teilzunehmen. Viele Teilnehmer*innen schilderten den Eindruck, dass sie nur deshalb so wenig über „den Osten“ wissen, da in den Bundesländern der früheren BRD kein Interesse an den Neuen Ländern bestand. Und dadurch, dass in westdeutschen Haushalten kaum über den „anderen“ Teil Deutschlands gesprochen wird, entsteht eine Wissenslücke bei der Nachwende-Generation. Diese Lücke schafft den Raum für die Entwicklung und Verfestigung von Stereotypen. Ostdeutschland als Region wird dadurch konsequent unterschätzt. So findet eine Teilnehmerin aus Frankfurt am Main zum Beispiel, der ÖPNV im Osten sei unzureichend ausgebaut und die Infrastruktur schlecht. Allerdings fahren zum Beispiel in Leipzig Bus und Bahn genauso regelmäßig wie in Frankfurt, nämlich im 10-Minuten-Takt. Dass Leipzig dabei nicht stellvertretend für fünf Bundesländer steht, dürfte wohl klar sein. Das Stadt-Land-Gefälle zum Beispiel im Fall des öffentlichen Nahverkehrs ist allerdings kein „ostdeutsches” Problem, sondern findet sich bundesweit wieder. Zu behaupten, „der Osten” sei infrastrukturell und strukturschwach, ist zu kurz gegriffen und oberflächlich.  

Doch was ist „der Osten“ überhaupt? Bei den fünf Bundesländern handelt es sich keinesfalls um einen einzelnen homogenen Block, in dem die Menschen sich klar von den Menschen im heterogenen „Westen“ unterscheiden. Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern identifizieren sich häufig als norddeutsch – ebenso wie Hamburger*innen. Was haben die Leute von der Ostsee mit den Bewohnern des Erzgebirges gemeinsam? Zumindest nicht mehr als mit denen der Nordsee. 

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„Weißer Feminismus ist für mich eigentlich gar kein Feminismus“ 

Kann Feminismus selbst diskriminierend sein? Menina Ugwuoke findet schon. Im Interview spricht die Wissenschaftlerin über die Grenzen von Mainstream-Feminimus und bessere Alternativen. 

Referentin Menina Ugwuoke (Foto: Jugendpresse Deutschland/Katja Sivacheva)

Menina Ugwuoke verteilt Postkarten auf einem Tisch. Die braucht sie später für ihren Workshop, den sie dieses Jahr bei den JugendPolitikTagen hält. Ugwuoke ist Doktorandin an der Universität Münster und arbeitet für verschiedene Organisationen zu den Themen Rassismus, Feminismus und Intersektionalität. In dem Workshop, den sie leitet, wird es um intersektionalen Feminismus gehen.  Für politikorange hat sie sich kurz Zeit genommen, um über das Thema zu sprechen. 

politikorange: Frau Ugwuoke, was ist überhaupt intersektionaler Feminismus?  

Menina Ugwuoke: Intersektionaler Feminismus versucht, alle Diskriminierungserfahrungen mitzudenken, nicht nur die von weißen Mittelklassefrauen. Ich kämpfe also dafür, dass alle Menschen frei sind und nicht nur eine einzelne Gruppe.  

Neben dem intersektionalen wird in diesem Zusammenhang oft von „weißem Feminismus“ gesprochen. 

Weißer Feminismus ist für mich nicht nur auf Weißsein beschränkt, er ist für mich vor allem Sinnbild für einen beschränkenden Feminismus. Damit ist ein Feminismus von weißen Frauen für weiße Frauen gemeint, in dem Themen wie Migration, Klassismus oder Ableismus vernachlässigt werden. Intersektionaler Feminismus ist einfach eine bessere, korrektere Form von Feminismus. Weißer Feminismus ist für mich eigentlich gar kein Feminismus. 

Welche Perspektiven werden denn im weißen Feminismus vergessen?  

Als Juristin denke ich da zuerst an Sexualstrafrecht. Weiße Feministinnen fordern oft, dass alle Sexualstraftaten härtere Strafen nach sich ziehen und konsequenter verfolgt werden müssen. Grundsätzlich bin ich natürlich auch dafür, dass Sexualstraftaten konsequent verfolgt und überhaupt als Straftaten wahrgenommen werden. Aber dabei werden oft die negativen Folgen für migrantisierte und prekär lebende Personen ausgeblendet.

Die wären? 

Das Sexualstrafrecht ist eng mit dem Aufenthaltsrecht verknüpft. Das kann für Menschen, die keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben, bedeuten, dass höhere Strafen gefordert werden, weil die Person dann leichter abgeschoben werden kann. Migrantisierte Personen trauen sich wiederum oft nicht, Anzeige zu erstatten, weil sie nicht wollen, dass der Täter abgeschoben wird. Solche Verknüpfungen werden oft nicht erkannt oder missachtet.  

Welche Reaktionen begegnen Ihnen, wenn Sie Rassismus in feministischen Räumen ansprechen?  

Die prägendste Erinnerung war, als ich auf einer Konferenz das Thema Intersektionalität eingebracht habe und dann von einer weißen Frau gesagt wurde, ich würde nur für den Feminismus kämpfen, der mich etwas angeht. Das war wohl das deutlichste und problematischste Statement dazu. Oft wird Intersektionalität außerdem als Identitätspolitik und als zu wenig radikal abgetan. Nach dem Motto, das ist nicht genug Kapitalismuskritik, ihr macht alles nur für Schwarze Frauen. 

Wir haben viel über den Mangel an Intersektionalität gesprochen. Aber Diversity und auch Intersektionalität sind mittlerweile durchaus im Mainstream-Feminismus angekommen. Werbekampagnen werden immer vielfältiger, Unternehmen auch. Ist das nicht gut? 

Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich glaube, Repräsentation und Auseinandersetzung ist grundsätzlich wichtig. Aber wenn etwas im Mainstream ankommt, ist das oft ein Zeichen dafür, dass es entpolitisiert wurde und nicht mehr so radikal ist. Deshalb würde ich sagen, eine verkürzte Version von diesen Theorien kann teilweise sogar schädlich sein. Es wird dann gesagt, wir sind divers aufgestellt, wir haben hier eine Schwarze Frau an der Macht, wir haben hier eine trans Frau. Aber wenn das selbst Personen sind, die konservative Werte weiter vermitteln, dann kommen wir auch nicht weiter. 

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Politik ist nur was für Privilegierte. Oder? 

Die Teilnehmer*innen der JugendPolitikTage wurden möglichst divers zusammengesetzt. So denken sie über diese Aussage. 

Federico Svezia im Gespräch mit einem Schulkollegen (Foto: Jugendpresse Deutschland / Lennard Jördens)

Federico Svezia im Gespräch mit einem Schulkollegen (Foto: Jugendpresse Deutschland / Lennard Jördens)

Christoph Mahle und weiterer junger Mann stehen je mit einem Apfelsaft in der Hand an einem der Tische des Veranstaltungsraumes und unterhalten sich. Christoph trägt einen Anzug, sein Gegenüber ein Poloshirt. Vor zwei Jahren sind sie sich auf der young leaders Akademie schon einmal begegnet. Beide sind Teilnehmer der JugendPolitikTage, beide nach eigener Einschätzung privilegiert – Christoph ist auch Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung. Doch sie sind überzeugt: Wenn man Interesse und Engagement habe, dann finde man auch unabhängig der sozialen und finanziellen Herkunft Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren.  

Selin Akin findet, das sei zu idealistisch gedacht. Sie selbst ist das jüngste Mitglied des Stadtrates in Ludwigsburg und studiert an der Universität Tübingen Politik und Rhetorik. Politische Tätigkeiten seien in der Regel ehrenamtlich und zeitaufwändig, so Akin. Man müsse es sich also leisten können, diese Zeit auch zu investieren. Wenn man aber arbeiten oder in der Familie mithelfen müsse, seien diese Kapazitäten nicht gegeben.  

Neben Geld und Zeit braucht es für politisches Engagement noch etwas anderes: Kontakte. “Man kennt sich hier”, sagt Federico Svezia. Er ist in der SMV seiner Schule  aktiv. Bei Veranstaltungen wie den JugendPolitikTagen treffen sich seiner Meinung nach oft die gleichen Leute – so wie Christoph. Jan Langeloh sieht das anders. Er findet, dass sowohl in der Politik als auch bei den JugendPolitikTagen Menschen mit verschiedensten Hintergründen aufeinandertreffen. Durch die unterschiedlichen Hintergründe hätten Menschen auch unterschiedliche Motivationen, sich politisch zu engagieren. Karl Rödiger vom Jugendparlament Jena meint, dass Politik dann beginne, wenn man sich aufregt und deshalb für politische Themen einsetzt.  

Wie Politik zugänglich wird 

Tai Tran Xuan findet, dass die Hürden, sich zu engagieren, hoch seien. Die Anreise und Teilnahme an Veranstaltungen koste oft Geld, für die Bewerbung dazu brauche es sprachliche Skills.  Der Zugang zu Politik sei leichter, wenn auch die Eltern politisch interessiert seien, findet Tai.  

„Ich will da was ändern“, sagt Meryem Sen. Ihr Ziel ist es, die Sichtbarkeit von Veranstaltungen und Teilhabemöglichkeiten zu erhöhen. Jugendlichen müsse man mehr auf Augenhöhe begegnen, zum Beispiel durch mehr Öffentlichkeitsarbeit auf Plattformen wie TikTok oder Instagram. Das sei der Weg, um viele Jugendliche zu erreichen. Doch nicht nur online soll der Zugang zu Informationen leichter werden. Florian Gashi aus Baden-Baden findet, dass Schulen eine wichtige Rolle spielen sollten, wenn es um Hinweise zu Veranstaltungen, Förderungen und den Zugang zu politischen Themen gehe. Er selbst ist durch Tipps seiner Lehrerin auf Veranstaltungen aufmerksam gemacht worden. In der Schule werde jeder erreicht, unabhängig vom Hintergrund.  

Ob Politik nur was für Privilegierte ist? – Der Tenor unter den Teilnehmenden ist, dass auch wenn es Hürden gibt, die Chancen zur Teilhabe da sind – wenn man für ein Thema brennt, politisch interessiert ist und Willen zur Veränderung mitbringt. 

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„In der Politik muss sich auf jeden Fall etwas ändern“

Die JugendPolitikTage haben begonnen: Wer sind die Menschen hier? Was treibt sie an? Und welche Erwartungen haben sie an die nächsten Tage?  Politikorange hat nachgefragt.

Aref Mahjoub ist 19 Jahre alt und kommt aus Müssen. Er findet politische Partizipation sehr wichtig.

Darum ist Aref hier: 
Aref hat Bekannte, die schon mal auf den JugendPolitikTagen waren und ihm davon erzählt haben. Er hatte schon in den letzten Jahren vor, dabei zu sein, da hat es aber zeitlich nicht gepasst.  

Diese Themen sind ihm besonders wichtig: 
Er interessiert sich für viele gesellschaftliche und politische Themen. Aref ist in unterschiedlichen Organisationen aktiv, unter anderem als Jugendreporter. Er findet es sehr wichtig, dass die Jugend aktiv in politische Entscheidungen einbezogen wird. 

Darauf freut er sich am meisten: 
Am meisten freut er sich auf den Austausch und die Vernetzung mit anderen politisch Interessierten und die Möglichkeit, seine Kontakte weiter auszubauen. 

Meryem Sen (24, von links) aus Hagen, Celina Gehein (20) aus Bochum, Wilhelm Krauß (21) und Almut Röder (23) aus Chemnitz tauschen sich gerne über Politik aus.

Darum sind Almut, Wilhelm, Celina und Meryem hier: 
Almut nimmt an den JPT25 teil, weil sie sich für eine jugendgerechte Zukunft einsetzt. Wilhelm ist hier, weil er sich mehr für Politik engagieren will, hofft neue Kontakte zu knüpfen und einzigartige Erfahrungen zu sammeln. Für Celina steht fest: „In der Politik muss sich auf jeden Fall etwas ändern.“ Sie will neue Perspektiven und Ansätze entdecken. Meryem ist bei den JugendPolitikTagen, um Jugendliche aus marginalisierten Gruppen zu vertreten und ein Sprachrohr für ihre Perspektiven und Erfahrungen in der Politik zu sein. 

Diese Themen sind ihnen besonders wichtig: 
Almut findet Gerechtigkeit in Bezug auf Bildung, Generationen und Klima wichtig. Das sind zentrale Themen, mit denen sich die Politik und Gesellschaft auseinandersetzen sollte. Wilhelm interessiert sich für alles rund um Bildung, Nachhaltigkeit und die Kombination aus beidem: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Bekämpfung von Rassismus und Sexismus sowie die Rolle von Bildung in diesem Kontext sind Themen, die Celina wichtig sind. Meryem ist gespannt auf die Bildungsministerin und die Workshops. Sie nimmt am Angebot „Empowered Voices of BIPoC“ teil und hofft, dort viele neue coole Leute kennenzulernen und sich austauschen zu können. 

Darauf freuen sie sich am meisten: 
Almut ist sehr gespannt auf die Workshops. Sie besucht zwei Veranstaltungen zur Tauben Community. Außerdem hofft sie, dass bei den Gesprächen in den Kaffeepausen ein Netzwerk junger Menschen entsteht, die sich in ihrer Region politisch engagieren und gemeinsam an einer gerechten Zukunft für alle arbeiten wollen. Wilhelm liebt es allgemein, neue Menschen kennenzulernen und freut sich auf die Workshops sowie die Podiumsdiskussionen. Sein Highlight ist die morgige Führung im Bundeskanzleramt. Celina ist gespannt auf die Bildungsministerin, was sie erzählt und welche Fragen die jungen Menschen ihr stellen. Feminismus, auch in Bezug auf marginalisierte Gruppen sind Aspekte, die Meryem besonders interessieren. Sie hofft, dass sie im Laufe des Wochenendes Gleichgesinnte findet. 

Der 19-jährige Karl Rödiger ist schon zum zweiten Mal bei den JPT dabei.

Darum ist Karl hier: 
Karl ist aus zwei Gründen hier: Er war schon vor zwei Jahren Teilnehmer und hat sich dieses Jahr erneut dazu entschieden, an den JPT teilzunehmen. Von der Organisation ist er sehr überzeugt. Er freut sich auf die Versorgung mit Getränken und Snacks. Außerdem ist Karl hier, um zu diskutieren und andere Meinungen und Ansichten kennenzulernen. „Das heißt nicht unbedingt, dass sich meine Meinung ändert, das kann auch heißen, dass ich selbst neue Argumente finde, mit denen ich meine eigene Meinung stärken kann“, betont er. 

Diese Themen sind ihm besonders wichtig: 
Karl interessiert sich besonders für Wirtschaft und Finanzen. Er hätte sich zwar noch mehr Workshops in diesem Bereich gewünscht, lässt sich aber auch für andere Themen begeistern. So nimmt er an einer Veranstaltung zur Endlagersuche für hoch radioaktiven Abfall teil. „Es ist spannend, dass dieses Thema mit Jugendlichen diskutiert wird.“ Außerdem findet Karl die Art der Berichterstattung über den Osten wichtig. Es macht ihn immer ein bisschen traurig, wenn westdeutsche Journalisten über den Osten berichten, ohne jemals dort gewesen zu sein. 

Darauf freut er sich am meisten: 
Karl freut sich besonders auf den Austausch mit anderen jungen Menschen über die Ost-Berichterstattung. In Ostthüringen hätten die Menschen das Problem, dass die Tageszeitungen verschwinden, und diese durch „AfD-Zeitungen, die unterschwellig Wahlwerbung verbreiten“ ersetzt werden würden. 

Sandra Kopa (19) aus Munster, Julia Witzku (21) aus Dresden und Elea Bolhuis (17) aus Aurich freuen sich auf die Workshops.

Darum sind Julia, Elea und Sandra hier: 
Julia möchte die Möglichkeit nutzen, sich mit anderen jungen Menschen über Politik ins Gespräch zu kommen und ihre eigenen Positionen zu teilen. Sie möchte Neues lernen und hat Lust sich bei den Workshops mit ganz anderen Themen zu beschäftigen, als die, mit denen sie sich normalerweise auseinandersetzt. Elea ist bei den JugendPolitikTagen, weil sie es wichtig findet, sich politisch zu engagieren. Sie ist dankbar für die Möglichkeit, selbst mitmischen zu können. Ähnlich geht es auch Sandra. Sie ist hier, weil sie sich auf den Austausch mit Leuten in ihrem Alter freut, und wünscht sich, etwas aus den Gesprächen und Workshops mitzunehmen. 

Diese Themen sind ihnen besonders wichtig: 
Julia studiert Psychologie. Sie beschäftigt die Versorgung mit Therapieplätzen und die Finanzierung der Psychotherapieausbildung. Für Elea ist die Bekämpfung sozialer Ungleichheit sehr wichtig. Die Umwelt- und Wirtschaftspolitik sind entscheidend, um den Wohlstand und die Umwelt schützen Sandra kann sich bei beidem nur anschließen. Sie hatte den Eindruck, dass vor allem das Thema Asyl im Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat, während Themen, die die Gesellschaft eigentlich umtreiben sollten, in den Hintergrund geraten sind. Das sind zum Beispiel Gleichberechtigung und psychische Gesundheit.  

Darauf freuen sie sich am meisten: 
Julia ist morgen bei einer Walking-Tour über Belarus dabei. Sie ist total gespannt, wie die Veranstaltenden Belarus mit Berlin in Verbindung bringen. Elea freut sich am meisten auf die Diskussion und Gespräche mit verschiedenen Politiker*innen und Jugendorganisationen. Für Sandra sind die Gespräche zwischen den Programmpunkten sehr wichtig. Sie freut sich auch auf den Workshop der Tauben Community. Bisher hat sie kaum Berührungspunkte mit diesem Thema und freut sich deshalb umso mehr, teilzunehmen und andere Perspektiven kennenzulernen.

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JugendPolitikTage 2025 sind gestartet: Wie viel Platz bleibt für die Themen junger Menschen?

Auf den JugendPolitikTagen diskutieren 500 junge Menschen in Berlin – über Themen, die sie betreffen und die sonst oft zu kurz kommen. Die politikorange-Redaktion ist das ganze Wochenende eng mit dabei. 

Teamer der Jugendpolitiktage lächeln in die Kamera.

Die Teamer*innen der Jugendpresse freuen sich auf die Teilnehmer*innen. (Foto: Jugendpresse Deutschland/Lennart Jördens)

 

Überall gehen die Boomer bald in Rente, doch die Politik ist noch voll von ihnen – und wird immer voller. Während in der Ampelregierung mit den Grünen und der FDP noch zwei Parteien vertreten waren, die am häufigsten von jungen Menschen gewählt wurden, landeten die neuen Regierungsparteien Union und SPD 2025 bei den 18- bis 24-Jährigen nur noch auf Platz drei und vier.

Die neue Regierung will die Wirtschaft in Deutschland ankurbeln und Migration begrenzen. Merz gilt ohnehin als „Außenkanzler“, dessen Fokus eher auf der Außen- statt der Innenpolitik liegt. Wie viel Platz ist da noch für die Bedürfnisse junger Menschen? Und kann eine Regierung, die so kaum von der Jugend gewählt wurde, ihr trotzdem gerecht werden?

Darüber diskutieren bei den JugendPolitikTagen vom 19. bis 21. Juni 2025 wieder 500 junge Menschen mitten in Berlin. Mit Vertreter*innen aus Ministerien, Jugendorganisationen und Gewerkschaften erarbeiten sie Lösungsstrategien für die Themen, die sie betreffen: Klimawandel, künstliche Intelligenz, Desinformation. Aber auch: mentale Gesundheit oder Female Empowerment.

Bei einem Paneltalk mit Finanzexpert*innen diskutieren die Teilnehmer*innen Fragen wie: Wo will die Regierung einsparen? Wie geht es mit der Schuldenbremse weiter? Und wie sollen Bafög, Deutschlandticket und Co trotz des neuen Sparkurses weiterfinanziert werden? In verschiedenen Workshops lernen die Teilnehmer*innen außerdem neue Perspektiven zu Erinnerungskultur, Queerness, Jugendbeteiligung, Bildung oder Migration kennen.

Auch politikorange begleitet in diesem Jahr wieder die JugendPolitikTage mit einer Redaktion. Unsere Redakteur*innen sprechen mit den Politiker*innen, Expert*innen und Teilnehmer*innen, begleiten Workshops und geben in Texten und Podcasts Einblicke hinter die Kulissen. Über die folgenden Tage werden alle unsere Interviews, Podcasts oder Analysen hier auf politikorange.de zu lesen sein.

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Freie Fahrt für alle? Warum wir mehr kostenlose Fahrkarten brauchen

Busse und Bahnen sollen Menschen bewegen, doch für viele ist der Zugang eine Hürde. Senior*innen und Menschen mit Unterstützungsbedarf stehen oft vor Schwierigkeiten, wenn es um Mobilität geht. Eine einfache, kostenfreie Fahrkarte für diese Gruppen wäre ein Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit.

Mit Bargeld können Fahrgäst:innen in Hamburger Bussen kein Ticket mehr kaufen.
©️ Alina Henning / Jugendpresse Deutschland e.V.

„Ältere Menschen und Menschen mit Unterstützungsbedarf werden stark abgehängt“, kritisiert Martina B. Sie betreut eine Wohngruppe für psychisch kranke Menschen und sieht im bargeldlosen System ein Problem. Seit Anfang 2024 kann in Bussen des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) nicht mehr mit Bargeld bezahlt werden.

„Ich würde sagen, die meisten meiner Klient[*innen] fahren schwarz – nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen, indem ihnen der Zugang zu einer regulären Fahrkarte nicht ermöglicht wird.“ Eine Prepaidkarte sei oft die einzige Option. Das sei zu kompliziert und schrecke viele ab. Zwar existieren Sozialrabatte für das Deutschlandticket, aber um davon zu profitieren, wäre ein Konto erforderlich, da der Betrag monatlich abgebucht wird. 

Genau hier liegt eine Schwierigkeit, erklärt Martina B. weiter. Die Mehrheit ihrer Klient*innen erhalte Geld nur in bar. Etwa 70 bis 80 Prozent hätten kein eigenes Konto. Hinzu komme, dass viele nicht über ein eigenes Handy verfügten oder keinen Zugriff darauf hätten. „Das wird zum Problem, wenn sie den HVV nutzen möchten. Früher konnte einfach ein Ticket in bar bezahlt werden. Man stieg in den Bus und zahlte beim Fahrer. Doch jetzt läuft alles bargeldlos – und das schließt viele aus.“

Mobilität ist Teilhabe

Viele Haltestellen haben keine Fahrkartenautomaten mehr, an denen mit Bargeld gezahlt werden kann. Auch Ursula H. wird davon eingeschränkt: „Ich kann nur in den Bus steigen, wenn ein Automat an der Bushaltestelle ist. Ansonsten bin ich gezwungen, mir ein Taxi zu rufen. Und ich habe nur ein normales Telefon, falls mal etwas ist.“ Gerade ältere Menschen, die nicht mit digitalen Systemen vertraut sind, haben oft Schwierigkeiten, sich im modernen Ticketsystem zurechtzufinden. Ein kostenloses Ticket begrüßt die Rentnerin: „Dann kann man mal zu Planten un Blomen fahren.“

In einer Gesellschaft, die auf Mobilität angewiesen ist, darf der Zugang zum öffentlichen Nahverkehr nicht von komplizierten Verfahren oder finanziellen Mitteln abhängen. Seit vergangenem Jahr sehen wir, dass eine solche Lösung sowohl möglich als auch sinnvoll ist: Im September 2024 wurde das kostenlose Deutschlandticket für Hamburgs Schüler*innen eingeführt. Laut dem Senat nutzen 94 Prozent aller Berechtigten das Angebot. Eine Schülerin aus Harburg berichtet: „Das Ticket hat mir ermöglicht, an eine Schule zu gehen, die weiter weg ist. Ohne das kostenlose Ticket hätte ich die Schule wechseln und meine Freunde verlassen müssen.“  

Mobilität ist keine individuelle Angelegenheit, sie ist eine gesellschaftliche. Wenn Menschen aus finanziellen oder organisatorischen Gründen von der Teilhabe ausgeschlossen werden, entstehen soziale und wirtschaftliche Nachteile, die weit über die Ticketpreise hinausgehen.

Weniger Bürokratie, mehr freie Fahrt

Eine einfache, kostenfreie Fahrkarte nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Rentner*innen und Menschen mit Unterstützungsbedarf wäre ein bedeutender Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Statt hoher Preise, komplizierter Antragsverfahren oder der Notwendigkeit, Karten regelmäßig aufzuladen, sollte ein Ticket automatisch zugeschickt werden. Das würde nicht nur den Alltag vieler Menschen spürbar erleichtern, sondern auch verhindern, dass finanzielle Hürden oder bürokratische Prozesse über ihre Mobilität entscheiden. Eine echte Entlastung für diejenigen, die sie am meisten brauchen.

Denn wer Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe ernst meint, muss Mobilität ermöglichen – einfach, direkt und ohne Barrieren.

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