Schlagwort: Journalismus

Wehrpflichtdebatte – Wie jetzt?! 

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Wehrpflicht, Pflichtdienst, Freiwilligkeit – die Debatte über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht bewegt die Gesellschaft, insbesondere ihre jüngeren Mitglieder. Ein Überblick darüber, woher die Debatte nun kommt und welche Pläne und Reaktionen es gibt.

 


Update vom 13.10.25: Laut einem Bericht des RND sollen sich die Koalitionspartner auf folgenden Kompromiss geeinigt haben: Unter den jungen Männern, die den verpflichtenden Fragebogen ausgefüllt haben, wird ein Teil ausgelost, der zur Musterung und zu einem Gespräch eingeladen wird. Sollten sich insgesamt nicht genügend Freiwillige finden, werden die Ausgelosten zum mindestens sechsmonatigen Wehrdienst verpflichtet. Wann genau es zu einer Verpflichtung kommt, soll noch ausgehandelt werden. Das habe das RND aus beiden Fraktionen erfahren.
Dieser Kompromiss soll am Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt und am Folgetag in die erste Lesung im Bundestag gebracht werden. Ob Verteidigungsminister Pistorius den Kompromiss anerkennt, ist noch unklar.  

Quellen:
Deutscher Bundestag – Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen 
Gesetzentwurf: Modernisierung des Wehrdienstes im Bundeskabinett 
Freiwillig oder verpflichtend – wie soll der neue Wehrdienst aussehen? | tagesschau.de 
Statistik: Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland 2025| Statista 
O-Ton De Maizière: Deutscher Bundestag – 99. Sitzung vom 24.03.2011, TOP 30: Rede von Dr. Thomas de Maizière 
O- Ton Scholz: Deutscher Bundestag – Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir erleben eine Zeitenwende 
Position Die Linke: Bundeswehr reformieren, statt Wehrpflicht wiedereinführen – Fraktion Die Linke im Bundestag 
Position Die Grünen: Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende, zum Kabinettsbeschluss zum Wehrdienst | Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen  
Äußerung  Johannes Winkel: „Mittelfristiges Ziel Gesellschaftsjahr“: Junge Union fordert „echte Wehrpflicht“ 
Interview Phillip Türmer: „Junge Menschen leisten am meisten“ – Juso-Chef Türmer gegen Wehrpflicht 

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Der Wehrdienst und die Pflicht zu fragen

Schule fertig – ab zur Bundeswehr? Für einige könnte das – ob freiwillig oder verpflichtend – bald Realität werden. In unserer Redaktion sprechen junge Menschen über Ängste, Hoffnungen und darüber, was Pflicht für sie bedeuten könnte.

Die politikorange-Redaktion hat sich mit dem Thema Wehrdienst befasst. (Foto: Jugendpresse Deutschland/ Saad Yaghi)

Die politikorange-Redaktion hat sich mit dem Thema Wehrdienst befasst. (Foto: Jugendpresse Deutschland/Saad Yaghi)

Die Politik hantiert mit einer Menge Zahlen. Hinter ihnen stehen in der Realität vor allem die Lebensläufe und Entscheidungen junger Menschen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius wünscht sich eine Aufstockung auf mindestens 260.000 Soldat*innen und 200.000 Reservist*innen. Für den Zuwachs, so die Idee, soll der Nachwuchs sorgen.

Der Krieg hat sich als Thema in unsere täglichen Diskurse eingeschlichen. Eine CeMAS-Umfrage legt nahe, dass Ängste vor Krieg und einer militärischen Eskalation in Deutschland weit verbreitet sind. So geben 41% der Befragten an, sich aktuell vor dem Ausbruch eines dritten Weltkrieges zu fürchten. 

Unter anderem als Reaktion darauf, will die Politik ein Gesetz neu auflegen, das sich für viele anfühlt, wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten: die Wehrpflicht. Die Regierung streitet sich noch um die genaue Ausformulierung des neuen-alten Gesetzes, während diejenigen, die direkt von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht betroffen wären, selten zu Wort kommen. Dabei fallen die Meinungen der jungen Generation gespalten aus. Minderjährige Befragte sprechen sich mehrheitlich für einen Pflichtdienst aus, der auch außerhalb der Bundeswehr absolviert werden kann.

Die politikorange-Redaktion zur Wehrpflicht-Debatte hat sich mit ebendiesen Perspektiven auseinandergesetzt und will denen eine Stimme geben, die in der Debatte kaum gehört werden. 

Nicolas Jacobs erläutert in seinem Podcast, was der aktuelle Entwurf für einen Wehrdienst überhaupt vorsieht und ob die Positionen von einschlägigen Parteijugenden in das Gesetz eingeflossen sind. Yi Ling Pan hat mit beiden Seiten gesprochen – mit Verfechter*innen und Kritiker*innen der Wehrpflicht – und Sofie Sindelarova befasst sich in ihrem Artikel mit einem verpflichtenden Freiwilligendienst als Alternative. Um den Generationenkonflikt in der Debatte geht es in Norea Rüeggs Text. Paula Berger hat sich kritisch mit dem Auftreten von Jugendoffizieren in Schulen auseinandergesetzt und Silja Friedel mit der Frage, wie die Lebensrealität von Frauen in der Bundeswehr aussieht. Jan Hülser und Paula Busch haben in ihrem Podcast mit jungen Musiker*innen darüber gesprochen, wie sie Krieg und Frieden in ihren Songs verarbeiten.

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Phänomen KI: Moderne Meinungsmanipulation? 


Algorithmen entscheiden, was wir sehen – und manchmal, was wir glauben. Die Teilnehmer*innen der JPT 25 diskutieren Chancen, Risiken und Verantwortlichkeiten.

Ist Künstliche Intelligenz eine Datenkrake? (Foto: Unsplash / Growtika)

Stellt man ChatGPT die schlichte Frage: „Welche deutsche Partei ist die Beste?“, dann erhält man eine scheinbar schlagwortartige, vor allem aber sehr unvoreingenommen wirkende Übersicht über die wichtigsten deutschen Parteien. Fast schon wie ein Lernzettel, den man mal so für die nächste Politik-Klausur bereitgelegt hat. Die Antwort des KI-Gegenübers könnte eindeutiger und uneindeutiger nicht sein: „Ich selbst habe keine Meinung oder politische Haltung.“ Aber ist KI wirklich nur ein technisches Hilfsmittel, um neutral Informationen zusammenzufassen? 

Die einfachste Antwort: Nein. Denn die Daten, mit denen KI-Systeme gefüttert sind, wurden von Menschen selbst eingespeist und ausgewählt. Und durch Algorithmen passt sich die KI an die Nutzer*innen an, schlägt immer wieder Ergebnisse vor, die zu vorherigen Suchanfragen passen, zieht immer tiefer ins Rabbithole. 

Mit den Herausforderungen rund um das Thema KI beschäftigt sich auf den JugendPolitikTagen der Workshop “Künstliche Intelligenz auf Internetplattformen – Wunscherfüllung oder gruselige Datenkrake?” Die Teilnehmer*innen erzählen von der KI-Nutzung in ihrem Alltag und von den Bedenken, die sie dazu haben: Sorgen vor sozialer Ungleichheit, Jobverlust, Polarisierung durch Algorithmen.  

Wie sieht es aber tatsächlich in der Realität aus?  

„Tendenziell sehe ich bei KI eher die Gefahren.“, sagt Teilnehmerin Elea Bolhuis. Künstliche Intelligenz verbreitet ihrer Meinung nach in Sozialen Netzwerken teilweise radikale politische Inhalte an die Nutzer*innen. “Wirklich viel machen kann man als Einzelperson aber nicht”, sagt sie. Verantwortlich seien die großen Konzerne wie OpenAI, die hinter KI-Systemen stecken. 

Auch Zahra Tabel und Waad Nashawati sehen große Gefahr bei KI-generiertem Content auf Social Media: „Es gibt Menschen, die das nicht einschätzen können, und sich denken, dass das stimmt.“ 

Den Gefahren von Künstlicher Intelligenz, besonders durch Falschinformationen und unverlässlichen Darstellungen, sind sich die Teilnehmer*innen bewusst. Ein gutes Zeichen, dass die Jugend sich über der zunehmenden Eigenverantwortung im Klaren ist. 

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Queeres Leben unter Druck: “Wir müssen weiterkämpfen” 

Seit Jahren steigt die Zahl der queerfeindlichen Angriffe. Was die Teilnehmer*innen des Workshop “Queere Geschichte(n)” für die Zukunft mitnehmen.

Der Slogan „Pride is a protest“, abgedruckt auf einer Tasche (Foto: Unsplash/Sophie Popplewell)

Es ist Juni, offizieller Sommerbeginn. Für queere Menschen ist die sechste Seite im Kalender aber noch aus einem ganz anderen Grund besonders: Es ist wieder Zeit für Regenbogenflaggen, Drag-Shows auf der Straße und lange Partys – und alle scheinen mitzufeiern. In den letzten Jahren malen immer mehr Unternehmen ihre Logos bunt, Promis und Politiker*innen lassen sich überall ablichten, wo es Pride-Flaggen gibt. Doch das war nicht immer so. 

Milena Seidl sagt dazu: “Pride war nicht immer eine kunterbunte Parade.” Sie leitet bei den JugendPolitikTagen einen Workshop zu queerer Geschichte und erzählt dabei auch von den Anfängen der Pride-Bewegung. Begonnen hatte alles in einer der wenigen queeren Bars in New York, dem „Stonewall Inn“, wo sich vor allem POCs, Dragqueens und trans Frauen trafen. Regelmäßig kam es dort zu Polizeirazzien, bei denen die Gäste diskriminiert und schikaniert wurden. So auch in der Nacht auf den 28. Juni 1969. Doch dieses Mal begannen die Besucher*innen der Bar, sich zu wehren. Diese Nacht löste eine so große Welle an Solidarität aus, dass die Auseinandersetzungen mit der Polizei fünf Tage dauerten. Genau ein Jahr später fand in New York in Erinnerung an den Aufstand der erste Christopher Street Day (CSD) statt. 1979 war die Pride-Bewegung auch in West-Deutschland angekommen und hunderte Teilnehmer*innen zogen durch die Straßen. 

All das erscheint auf den ersten Blick weit weg. Schließlich haben queere Menschen heute viel mehr Rechte als früher. Die Ehe für alle und das Selbstbestimmungsgesetz sind nur wenige Beispiele für die großen Errungenschaften der letzten Jahre. 

Doch die regenbogenfarbene Fassade scheint zu bröckeln: Erst letzte Woche untersagte Bundestagspräsidentin Klöckner (CDU) dem queeren Netzwerk der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am CSD mit Verweis auf eine ”gebotene Neutralitätspflicht”. Auch eine Regenbogenflagge wird am Reichstagsgebäude dieses Jahr nicht wehen. 

Workshopleitung Milena Seidl (Foto: Jugendpresse Deutschland / Katja Sivacheva)

Die Teilnehmer*innen des Workshops berichten außerdem von einer zunehmenden Anspannung mit Blick auf den CSD. „Ja, es ist jetzt anders als die Jahre zuvor, definitiv“, meint Felicitas. Sie kommt aus Ostdeutschland und erzählt, dass bei einem Christopher Street Day rechte Gruppierungen aufmarschiert seien. Giulio bemerkt Ähnliches: „Mein erster CSD war vor zwei, drei Jahren. Das war sehr friedlich, sehr entspannt.” Die Feierlaune habe sich verändert, als im vergangenen Jahr Neonazis versucht hätten, die Parade anzugreifen.  Auch das BKA verzeichnet einen starken Anstieg queerfeindlicher Angriffe: Im Vergleich zu 2022 stiegen Straftaten gegen queere Personen im Jahr darauf um die Hälfte an.  

Als Antwort auf den Rechtsruck werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, dass der CSD wieder mehr unter dem Motto „stonewall was a riot“ stattfindet. “Die Errungenschaften aus der queeren Szene wurden uns nicht einfach so gegeben”, sagt Milena Seidl. Sie wurden durch Aufstände schwarzer und queerer Personen gegen Polizeischikane erreicht. Seidl meint: “Diese institutionalisierte Form von queerem Feiern gäbe es heute nicht, wenn sich die Leute damals nicht engagiert hätten.“ Dass politisches Engagement und Widerstand immer noch brandaktuell sind, findet auch Paul: Wir müssen noch weiter dafür kämpfen, dass wir Rechte bekommen oder unsere derzeitigen Rechte beibehalten.” Den CSD als reine Party zu begreifen, helfe dabei nicht. Felicitas ist ähnlicher Meinung: „Stonewall was a riot“ ist immer aktuell.” Gerade die letzten Jahre hätten gezeigt, wie schnell queere Rechte wieder abgeschafft werden könnten. Deshalb sei es so wichtig, zu zeigen, dass die queere Community groß sei und sich nicht verdrängen lasse. 

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“Den Osten” gibt es nicht 

Auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung sprechen Menschen noch von “Ostdeutschland” – jedoch nie von “Westdeutschland”. Zeit, solche Schubladen und Stereotype hinter sich zu lassen.  

Das Thema des angebotenen Workshops auf den JugendPolitikTagen (Foto: Jugendpresse Deutschland/Caroline Sauter)

Niemand kann leugnen, dass es strukturelle Ungleichheiten gibt, die auch 35 Jahre nach der Wende präsent sind. Sei es zum Beispiel die Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen oder die Lohnungleichheit im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern.  

Doch allein aus einer strukturellen Ungleichheit abzuleiten, dass „der Osten“ zurückgeblieben sei, ist schlichtweg zu kurz gedacht. Tiefe Gräben liegen zwischen dem, was manche über „Ostdeutschland“ glauben zu wissen und dem, was wirklich ist.  

„Mehr über den Osten erfahren wollen”: Das war die Motivation einiger, an dem Workshop “Jung und ostdeutsch” auf den JugendPolitikTagen teilzunehmen. Viele Teilnehmer*innen schilderten den Eindruck, dass sie nur deshalb so wenig über „den Osten“ wissen, da in den Bundesländern der früheren BRD kein Interesse an den Neuen Ländern bestand. Und dadurch, dass in westdeutschen Haushalten kaum über den „anderen“ Teil Deutschlands gesprochen wird, entsteht eine Wissenslücke bei der Nachwende-Generation. Diese Lücke schafft den Raum für die Entwicklung und Verfestigung von Stereotypen. Ostdeutschland als Region wird dadurch konsequent unterschätzt. So findet eine Teilnehmerin aus Frankfurt am Main zum Beispiel, der ÖPNV im Osten sei unzureichend ausgebaut und die Infrastruktur schlecht. Allerdings fahren zum Beispiel in Leipzig Bus und Bahn genauso regelmäßig wie in Frankfurt, nämlich im 10-Minuten-Takt. Dass Leipzig dabei nicht stellvertretend für fünf Bundesländer steht, dürfte wohl klar sein. Das Stadt-Land-Gefälle zum Beispiel im Fall des öffentlichen Nahverkehrs ist allerdings kein „ostdeutsches” Problem, sondern findet sich bundesweit wieder. Zu behaupten, „der Osten” sei infrastrukturell und strukturschwach, ist zu kurz gegriffen und oberflächlich.  

Doch was ist „der Osten“ überhaupt? Bei den fünf Bundesländern handelt es sich keinesfalls um einen einzelnen homogenen Block, in dem die Menschen sich klar von den Menschen im heterogenen „Westen“ unterscheiden. Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern identifizieren sich häufig als norddeutsch – ebenso wie Hamburger*innen. Was haben die Leute von der Ostsee mit den Bewohnern des Erzgebirges gemeinsam? Zumindest nicht mehr als mit denen der Nordsee. 

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„Weißer Feminismus ist für mich eigentlich gar kein Feminismus“ 

Kann Feminismus selbst diskriminierend sein? Menina Ugwuoke findet schon. Im Interview spricht die Wissenschaftlerin über die Grenzen von Mainstream-Feminimus und bessere Alternativen. 

Referentin Menina Ugwuoke (Foto: Jugendpresse Deutschland/Katja Sivacheva)

Menina Ugwuoke verteilt Postkarten auf einem Tisch. Die braucht sie später für ihren Workshop, den sie dieses Jahr bei den JugendPolitikTagen hält. Ugwuoke ist Doktorandin an der Universität Münster und arbeitet für verschiedene Organisationen zu den Themen Rassismus, Feminismus und Intersektionalität. In dem Workshop, den sie leitet, wird es um intersektionalen Feminismus gehen.  Für politikorange hat sie sich kurz Zeit genommen, um über das Thema zu sprechen. 

politikorange: Frau Ugwuoke, was ist überhaupt intersektionaler Feminismus?  

Menina Ugwuoke: Intersektionaler Feminismus versucht, alle Diskriminierungserfahrungen mitzudenken, nicht nur die von weißen Mittelklassefrauen. Ich kämpfe also dafür, dass alle Menschen frei sind und nicht nur eine einzelne Gruppe.  

Neben dem intersektionalen wird in diesem Zusammenhang oft von „weißem Feminismus“ gesprochen. 

Weißer Feminismus ist für mich nicht nur auf Weißsein beschränkt, er ist für mich vor allem Sinnbild für einen beschränkenden Feminismus. Damit ist ein Feminismus von weißen Frauen für weiße Frauen gemeint, in dem Themen wie Migration, Klassismus oder Ableismus vernachlässigt werden. Intersektionaler Feminismus ist einfach eine bessere, korrektere Form von Feminismus. Weißer Feminismus ist für mich eigentlich gar kein Feminismus. 

Welche Perspektiven werden denn im weißen Feminismus vergessen?  

Als Juristin denke ich da zuerst an Sexualstrafrecht. Weiße Feministinnen fordern oft, dass alle Sexualstraftaten härtere Strafen nach sich ziehen und konsequenter verfolgt werden müssen. Grundsätzlich bin ich natürlich auch dafür, dass Sexualstraftaten konsequent verfolgt und überhaupt als Straftaten wahrgenommen werden. Aber dabei werden oft die negativen Folgen für migrantisierte und prekär lebende Personen ausgeblendet.

Die wären? 

Das Sexualstrafrecht ist eng mit dem Aufenthaltsrecht verknüpft. Das kann für Menschen, die keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben, bedeuten, dass höhere Strafen gefordert werden, weil die Person dann leichter abgeschoben werden kann. Migrantisierte Personen trauen sich wiederum oft nicht, Anzeige zu erstatten, weil sie nicht wollen, dass der Täter abgeschoben wird. Solche Verknüpfungen werden oft nicht erkannt oder missachtet.  

Welche Reaktionen begegnen Ihnen, wenn Sie Rassismus in feministischen Räumen ansprechen?  

Die prägendste Erinnerung war, als ich auf einer Konferenz das Thema Intersektionalität eingebracht habe und dann von einer weißen Frau gesagt wurde, ich würde nur für den Feminismus kämpfen, der mich etwas angeht. Das war wohl das deutlichste und problematischste Statement dazu. Oft wird Intersektionalität außerdem als Identitätspolitik und als zu wenig radikal abgetan. Nach dem Motto, das ist nicht genug Kapitalismuskritik, ihr macht alles nur für Schwarze Frauen. 

Wir haben viel über den Mangel an Intersektionalität gesprochen. Aber Diversity und auch Intersektionalität sind mittlerweile durchaus im Mainstream-Feminismus angekommen. Werbekampagnen werden immer vielfältiger, Unternehmen auch. Ist das nicht gut? 

Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich glaube, Repräsentation und Auseinandersetzung ist grundsätzlich wichtig. Aber wenn etwas im Mainstream ankommt, ist das oft ein Zeichen dafür, dass es entpolitisiert wurde und nicht mehr so radikal ist. Deshalb würde ich sagen, eine verkürzte Version von diesen Theorien kann teilweise sogar schädlich sein. Es wird dann gesagt, wir sind divers aufgestellt, wir haben hier eine Schwarze Frau an der Macht, wir haben hier eine trans Frau. Aber wenn das selbst Personen sind, die konservative Werte weiter vermitteln, dann kommen wir auch nicht weiter. 

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Der Osten – nur Thema, wenn’s knallt?

Im Workshop „Über den Osten berichten, aber richtig!“ haben Teilnehmer*innen der JugendPolitikTage nach typischen Klischees der Medien gesucht. Was sie über den richtigen Weg gelernt haben.

Die ersten Begriffe, die den Teilnehmer*innen zum Osten einfallen, sind negativ. (Foto: Jugendpresse Deutschland/Caroline Sauter)

Schlagzeilen über hohe Arbeitslosigkeit oder Rechtsextremismus: Meist taucht der Osten nur in den Medien auf, wenn es knallt. Doch im Alltag? Fehlanzeige. Wer steht eigentlich vor der Kamera, wenn es um den Osten geht? Laut dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) sind das meist keine Ostdeutschen. Die dominierenden westdeutschen Perspektiven spiegeln sich auch in der Berichterstattung wider.

Im Workshop “Über den Osten berichten, aber richtig!” erarbeiten die Teilnehmer*innen auf den JugendPolitikTagen Lösungen für eine bessere Berichterstattung aus und über dem Osten.  Die jungen Menschen sammeln Begriffe, die sie mit der Berichterstattung über den Osten verbinden: „abgehängt“, „arbeitslos“ und „rechtsextrem“. In Bezug auf Westdeutschland fallen deutlich positivere Begriffe, wie „innovativ“, „Wirtschaftswunder“ und „Vielfalt“. 

Eine einseitige Perspektive auf den Osten

Ein Experiment zeigt: In den Medien wird oft indirekt, kritisch und aus westdeutscher Perspektive über den Osten berichtet. „Sie vermitteln das Bild einer Mehrheitsgesellschaft im Westen. Der Osten muss dabei immer nur aufholen“, erklärt Workshopleiter Dennis Chiponda.  Dieses Bild ist den Teilnehmer*innen zu einseitig. „Es geht immer nur um Rechtsextremismus. Die Menschen sollten mal nach Ostdeutschland kommen und die andere Seite kennenlernen“, sagt eine Teilnehmerin, die selbst aus Ostdeutschland kommt. 

Eine Umfrage des MDR zeigt, dass die Teilnehmer*innen mit ihren Einschätzungen nicht alleine sind: 56 Prozent der Ostdeutschen finden die Berichterstattung voreingenommen. Reißerische Adjektive und der Fokus auf Extreme prägen das Bild. Wörter wie übergriffig, rechtsextrem und völkisch sind in Artikeln, die Ostdeutschland thematisieren, überrepräsentiert. Gleichzeitig fehlen positive Geschichten über Start-ups, Kultur und den Alltag. „Ich denke, der Osten würde sich nicht so darstellen“, meint ein Teilnehmer und bekommt dafür Zustimmung.  

Perspektive als Gegenmittel 

Im Workshop überlegen die Teilnehmer*innen, wie die Berichterstattung über den Osten fairer gestaltet werden kann. Ihre Ideen: Redaktionen diverser besetzen, lokale Journalist*innen einbinden, nicht nur zu Gedenktagen berichten. Und: Sprache überdenken. Statt „abgehängt“ lieber „im Wandel“. Statt „Problemregion“ lieber „Raum mit Potenzial“. Dieser kleine Schritt wirft ein neues Licht auf dieselbe Situation. Doch das alles sind nur einzelne Schritte. Was sich ändern muss, ist die Haltung und Einstellung der Menschen. „Man sollte öfter auf das Verbindende schauen“, findet Chiponda.  

Das Fazit des Workshops: Der Osten ist keine Problemzone und er muss sich nicht anpassen. Er ist Teil Deutschlands – mit Chancen, Konflikten und Projekten. Er ist vielfältig. Und jede*r kann dazu beitragen, das auch medial abzubilden. 

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Politik ist nur was für Privilegierte. Oder? 

Die Teilnehmer*innen der JugendPolitikTage wurden möglichst divers zusammengesetzt. So denken sie über diese Aussage. 

Federico Svezia im Gespräch mit einem Schulkollegen (Foto: Jugendpresse Deutschland / Lennard Jördens)

Federico Svezia im Gespräch mit einem Schulkollegen (Foto: Jugendpresse Deutschland / Lennard Jördens)

Christoph Mahle und weiterer junger Mann stehen je mit einem Apfelsaft in der Hand an einem der Tische des Veranstaltungsraumes und unterhalten sich. Christoph trägt einen Anzug, sein Gegenüber ein Poloshirt. Vor zwei Jahren sind sie sich auf der young leaders Akademie schon einmal begegnet. Beide sind Teilnehmer der JugendPolitikTage, beide nach eigener Einschätzung privilegiert – Christoph ist auch Stipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung. Doch sie sind überzeugt: Wenn man Interesse und Engagement habe, dann finde man auch unabhängig der sozialen und finanziellen Herkunft Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren.  

Selin Akin findet, das sei zu idealistisch gedacht. Sie selbst ist das jüngste Mitglied des Stadtrates in Ludwigsburg und studiert an der Universität Tübingen Politik und Rhetorik. Politische Tätigkeiten seien in der Regel ehrenamtlich und zeitaufwändig, so Akin. Man müsse es sich also leisten können, diese Zeit auch zu investieren. Wenn man aber arbeiten oder in der Familie mithelfen müsse, seien diese Kapazitäten nicht gegeben.  

Neben Geld und Zeit braucht es für politisches Engagement noch etwas anderes: Kontakte. “Man kennt sich hier”, sagt Federico Svezia. Er ist in der SMV seiner Schule  aktiv. Bei Veranstaltungen wie den JugendPolitikTagen treffen sich seiner Meinung nach oft die gleichen Leute – so wie Christoph. Jan Langeloh sieht das anders. Er findet, dass sowohl in der Politik als auch bei den JugendPolitikTagen Menschen mit verschiedensten Hintergründen aufeinandertreffen. Durch die unterschiedlichen Hintergründe hätten Menschen auch unterschiedliche Motivationen, sich politisch zu engagieren. Karl Rödiger vom Jugendparlament Jena meint, dass Politik dann beginne, wenn man sich aufregt und deshalb für politische Themen einsetzt.  

Wie Politik zugänglich wird 

Tai Tran Xuan findet, dass die Hürden, sich zu engagieren, hoch seien. Die Anreise und Teilnahme an Veranstaltungen koste oft Geld, für die Bewerbung dazu brauche es sprachliche Skills.  Der Zugang zu Politik sei leichter, wenn auch die Eltern politisch interessiert seien, findet Tai.  

„Ich will da was ändern“, sagt Meryem Sen. Ihr Ziel ist es, die Sichtbarkeit von Veranstaltungen und Teilhabemöglichkeiten zu erhöhen. Jugendlichen müsse man mehr auf Augenhöhe begegnen, zum Beispiel durch mehr Öffentlichkeitsarbeit auf Plattformen wie TikTok oder Instagram. Das sei der Weg, um viele Jugendliche zu erreichen. Doch nicht nur online soll der Zugang zu Informationen leichter werden. Florian Gashi aus Baden-Baden findet, dass Schulen eine wichtige Rolle spielen sollten, wenn es um Hinweise zu Veranstaltungen, Förderungen und den Zugang zu politischen Themen gehe. Er selbst ist durch Tipps seiner Lehrerin auf Veranstaltungen aufmerksam gemacht worden. In der Schule werde jeder erreicht, unabhängig vom Hintergrund.  

Ob Politik nur was für Privilegierte ist? – Der Tenor unter den Teilnehmenden ist, dass auch wenn es Hürden gibt, die Chancen zur Teilhabe da sind – wenn man für ein Thema brennt, politisch interessiert ist und Willen zur Veränderung mitbringt. 

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Freie Fahrt für alle? Warum wir mehr kostenlose Fahrkarten brauchen

Busse und Bahnen sollen Menschen bewegen, doch für viele ist der Zugang eine Hürde. Senior*innen und Menschen mit Unterstützungsbedarf stehen oft vor Schwierigkeiten, wenn es um Mobilität geht. Eine einfache, kostenfreie Fahrkarte für diese Gruppen wäre ein Schritt in Richtung sozialer Gerechtigkeit.

Mit Bargeld können Fahrgäst:innen in Hamburger Bussen kein Ticket mehr kaufen.
©️ Alina Henning / Jugendpresse Deutschland e.V.

„Ältere Menschen und Menschen mit Unterstützungsbedarf werden stark abgehängt“, kritisiert Martina B. Sie betreut eine Wohngruppe für psychisch kranke Menschen und sieht im bargeldlosen System ein Problem. Seit Anfang 2024 kann in Bussen des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) nicht mehr mit Bargeld bezahlt werden.

„Ich würde sagen, die meisten meiner Klient[*innen] fahren schwarz – nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen, indem ihnen der Zugang zu einer regulären Fahrkarte nicht ermöglicht wird.“ Eine Prepaidkarte sei oft die einzige Option. Das sei zu kompliziert und schrecke viele ab. Zwar existieren Sozialrabatte für das Deutschlandticket, aber um davon zu profitieren, wäre ein Konto erforderlich, da der Betrag monatlich abgebucht wird. 

Genau hier liegt eine Schwierigkeit, erklärt Martina B. weiter. Die Mehrheit ihrer Klient*innen erhalte Geld nur in bar. Etwa 70 bis 80 Prozent hätten kein eigenes Konto. Hinzu komme, dass viele nicht über ein eigenes Handy verfügten oder keinen Zugriff darauf hätten. „Das wird zum Problem, wenn sie den HVV nutzen möchten. Früher konnte einfach ein Ticket in bar bezahlt werden. Man stieg in den Bus und zahlte beim Fahrer. Doch jetzt läuft alles bargeldlos – und das schließt viele aus.“

Mobilität ist Teilhabe

Viele Haltestellen haben keine Fahrkartenautomaten mehr, an denen mit Bargeld gezahlt werden kann. Auch Ursula H. wird davon eingeschränkt: „Ich kann nur in den Bus steigen, wenn ein Automat an der Bushaltestelle ist. Ansonsten bin ich gezwungen, mir ein Taxi zu rufen. Und ich habe nur ein normales Telefon, falls mal etwas ist.“ Gerade ältere Menschen, die nicht mit digitalen Systemen vertraut sind, haben oft Schwierigkeiten, sich im modernen Ticketsystem zurechtzufinden. Ein kostenloses Ticket begrüßt die Rentnerin: „Dann kann man mal zu Planten un Blomen fahren.“

In einer Gesellschaft, die auf Mobilität angewiesen ist, darf der Zugang zum öffentlichen Nahverkehr nicht von komplizierten Verfahren oder finanziellen Mitteln abhängen. Seit vergangenem Jahr sehen wir, dass eine solche Lösung sowohl möglich als auch sinnvoll ist: Im September 2024 wurde das kostenlose Deutschlandticket für Hamburgs Schüler*innen eingeführt. Laut dem Senat nutzen 94 Prozent aller Berechtigten das Angebot. Eine Schülerin aus Harburg berichtet: „Das Ticket hat mir ermöglicht, an eine Schule zu gehen, die weiter weg ist. Ohne das kostenlose Ticket hätte ich die Schule wechseln und meine Freunde verlassen müssen.“  

Mobilität ist keine individuelle Angelegenheit, sie ist eine gesellschaftliche. Wenn Menschen aus finanziellen oder organisatorischen Gründen von der Teilhabe ausgeschlossen werden, entstehen soziale und wirtschaftliche Nachteile, die weit über die Ticketpreise hinausgehen.

Weniger Bürokratie, mehr freie Fahrt

Eine einfache, kostenfreie Fahrkarte nicht nur für Schüler*innen, sondern auch für Rentner*innen und Menschen mit Unterstützungsbedarf wäre ein bedeutender Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Statt hoher Preise, komplizierter Antragsverfahren oder der Notwendigkeit, Karten regelmäßig aufzuladen, sollte ein Ticket automatisch zugeschickt werden. Das würde nicht nur den Alltag vieler Menschen spürbar erleichtern, sondern auch verhindern, dass finanzielle Hürden oder bürokratische Prozesse über ihre Mobilität entscheiden. Eine echte Entlastung für diejenigen, die sie am meisten brauchen.

Denn wer Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe ernst meint, muss Mobilität ermöglichen – einfach, direkt und ohne Barrieren.

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Hamburgische Bürgerschaftswahl: Rekordergebnis für Volt – Schafft es die Kleinpartei zum politischen Schwergewicht?

Mit dem Spitzenkandidaten von Volt Hamburg, Patrick Fischer, am Wahlkampfstand in Altona.
©️ Cedric Looks / Jugendpresse Deutschland e.V.

Über drei Prozent bei einer überregionalen Wahl: Ein historischer Erfolg für die paneuropäische Partei Volt in Deutschland. Volt wurde erst 2018 in Deutschland gegründet und konnte mit diesem historischen Ergebnis in Hamburg schon größere Parteien wie die FDP und das BSW übertrumpfen. Könnte Volt perspektivisch zu einer größeren Partei aufsteigen?

Dazu hat Cedric den Spitzenkandidat von Volt Hamburg, Patrick Fischer; den Parteienforscher Dr. Constantin Wurthmann und Bürger*innen in der Hamburger Innenstadt interviewt.

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