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„Ein lachendes und ein weinendes Auge für das BSW“ – Knapp vor dem Einzug in den Bundestag

Knapp verpasst das BSW mit 4,97 Prozent den Einzug in den Bundestag – auf der Wahlparty schwanken die Emotionen zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Am Ende fehlen nur 13.400 Stimmen. Jetzt prüft die Partei rechtliche Schritte gegen das Wahlergebnis. Unsere Reporterin Lilia war am Wahlabend auf der Party des BSW und hat sich in den Reihen der Partei umgehört.

Bild: Jugendpresse Deutschland e. v. / Aušra Dilba

Hunderte Besucher*innen der BSW-Wahlparty blicken neben klobigen Kameras nervös auf den  meterlangen Fernseher, der um 18 Uhr die erste Prognose ankündigt. Eine Frage füllt den gesamten Kosmos-Saal: Schafft das BSW noch den Einzug in den Bundestag? Auf einmal ist nicht einmal das allgegenwärtige Klirren der Gläser zu hören. Das BSW hat bisher 4,7 Prozent. Das Lächeln verschwindet von den Gesichtern der Zuschauer*innen und stattdessen bricht lautstarkes Fluchen aus. Die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali ermutigt ihre Unterstützer*innen: „Wir schaffen das! Wir waren bei einigen Sendern bei fünf Prozent.“ Als die nächste Hochrechnung 20 Minuten später 5,0 Prozent zeigt, atmet das Publikum erleichtert auf. Bis zum Ende der Wahlparty um 21 Uhr bleibt die Hochrechnung konstant. Doch am nächsten Morgen folgt eine Überraschung: Mit einem Ergebnis von 4,97 Prozent verpasst das BSW gerade die Fünfprozenthürde.

Innerhalb drei intensiver Monate versuchte das BSW bei seiner ersten Bundestagswahl neue Wähler*innen zu gewinnen. Trotz kaltem Wetter verteilten Unterstützende Material, hängten Plakate auf und führten Infostände. Sahra Wagenknecht, Co-Vorsitzende des BSWs beschreibt, der verfrühte Bundestagswahlkampf „hat uns natürlich schon auf dem kalten Fuß erwischt. Wir hatten ja noch nicht mal 16 Landesverbände. Wir hatten noch keine Wahlstrategie, wir hatten kein Geld, wir hatten keine Strukturen, wenig Personal.” Trotz diesen Herausforderungen hat sich das BSW nach einem knappen Jahr schon als bekannte Partei etabliert.

Berg- und Talfahrt

Obwohl das BSW es nicht in den Bundestag geschafft hat, ist das Ergebnis gut für eine neue Partei. Zum Vergleich hatten die Grünen bei ihrer ersten Bundestagswahl drei Prozent bekommen, bevor sie in den Bundestag eingezogen sind. „Hier ist es gelungen, eine Partei neu zu gründen und innerhalb von wenigen Monaten nicht nur in Landtage einzuziehen, sondern sogar in Landesregierungen aufzurücken. Auch die 4,97%, die das BSW bei dieser Wahl bekommen hat, sind für jede neue Partei exorbitant gut” erklärt der Politikwissenschaftler Michael Kolkmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Andererseits sieht sich das BSW mit bedeutsamen Verlusten konfrontiert. Im Sommer 2024 stand das BSW immerhin in Umfragen bei neun Prozent und hatte zehn Abgeordnete im Bundestag. Die Schuld für die schlechten Umfragewerte während des Wahlkampfs wird bei den Umfrageinstituten gesucht. “Umfragen sollen bewusst verunsichern und taktische Spielchen erzeugen, ohne zu wissen, was denn in Realität passieren wird.“, behauptet Luca Saß, der Bundestagskandidat für das BSW aus Jena.

Viel fehlt nicht

Nur 13 400 Stimmen fehlten dem BSW, um in den Bundestag zu kommen. Tausende Auslandsdeutsche erhielten vermeintlich ihre Wahldokumente nicht rechtzeitig. Könnte das BSW also mithilfe dieser Stimmen fünf Prozent erreicht haben? Aufgrund dieser Möglichkeit prüft das BSW momentan, ob es rechtliche Schritte gibt, um das Wahlergebnis anzufechten. Denn das Bundesverfassungsgericht könnte das Ergebnis für ungültig erklären, falls es mit den verlorenen Stimmen anders ausgefallen wäre. 

Forderung nach einem Wechsel in der Verteidigungsstrategie

Für 51% der Wähler*innen war das Thema Sicherheit und Krieg am entscheidendsten für ihre Wahlentscheidung. Das ist auch im BSW ein zentrales Thema, wie auch die Buttons der Unterstützer*innen mit pink-orangener Friedenstaube zeigen. Im Wahlprogramm des BSWs steht die Begrenzung der deutschen Beteiligung in außenpolitischen Konflikten im Vordergrund. Das stellt das BSW auf seinen Plakaten zugespitzt als die einfache Auswahl “Krieg oder Frieden?” dar. Auch in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sieht das BSW die Verteidigung der Ukraine kritisch. Daher lehnt es Waffenlieferungen an die Ukraine, sowie Sanktionen für Russland ab. “Ohne Frieden ist alles nichts. Und wir brauchen eine Partei, die konsequent ist und sich auch von mir aus gegen alle anderen Parteien stellt, die das gerade tun. Und deswegen unterstütze ich das BSW.“, erzählt der 17-jährige BSW-Unterstützer Mertcan Yildiz.  

Die Zukunft des BSW bleibt ungewiss. Wagenknecht hat bereits betont, dass eine Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist, kaum als relevante Stimme wahrgenommen wird. Dennoch zeigt sich das BSW trotz dieser Niederlage optimistisch: “Das BSW ist gekommen, um zu bleiben“, verkündet Luca Saß.

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Mehr Follower, mehr Wähler*innen? Der digitale Wahlkampf der Linken 

©️ Carlo Rückamp / Jugendpresse Deutschland e.V.

Wie können Parteien Social Media am besten nutzen? Und bedeuten mehr Follower auch direkt mehr Stimmen bei der Wahl? Genau das hat sich politikorange Redakteurin Berit Böbel am Fallbeispiel die Linke angesehen und Mitarbeiter*innen des Social Media Teams auf der Wahlparty interviewt. 

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Von Grünen zur Linken: Die Stimme der Linksliegengelassenen

©️ Lennart Jördens / Jugendpresse Deutschland e.V.

Die Linke feiert nach den Ergebnissen der Bundestagswahl, bei den Grünen deutet sich ein Personalwechsel an. Die Begründung von Robert Habeck für den Boom der Linken: Junge Menschen wollten nicht Friedrich Merz, also haben sie die Linke gewählt. Ich habe mich bei jungen Menschen umgehört: Wie viel ist an dieser Erklärung wirklich dran?

Hochgerissene Hände, strahlende Gesichter, Jubelschreie: Es ist der Abend der Bundestagswahl auf der Wahlparty der Linken. Das vorläufige Ergebnis von 8,8% ist überraschend für viele. Besonders auffällig ist, dass die Linke von vielen jungen Menschen gewählt wurde. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ist die Linke bei dieser Bundestagswahl stärkste Kraft. Mit Blick auf die Wählerwanderung zeigt sich, dass der größte Zuwachs der Linken von den Grünen kommt.

Gegen rechts, links?

Noch am Wahlabend erklärt Robert Habeck im heute journal: „Durch das Abstimmen von Friedrich Merz mit der AfD haben sehr viele, wahrscheinlich vor allem junge, Leute gesagt: So, gegen rechts, links.“ Man habe keine Möglichkeiten gehabt, gegen diese Wählerwanderung anzugehen. Doch der Trend deutete sich schon vor der Wahl an. Auch in meinem Bekanntenkreis überlegten zahlreiche junge Menschen, statt den Grünen bei dieser Wahl die Linke zu wählen. Im Gespräch mit ihnen entsteht jedoch ein anderes Bild als das, welches Habeck zeichnet: Die Stimme für die Linke war für die wenigsten eine reine Proteststimme gegen rechts. Der Klimaschutz, für den die meisten die Grünen 2021 gewählt hatten, war in den letzten Jahren von anderen Themen überlagert worden. Die Linke habe glaubhaft gemacht, dass sie soziale Ungleichheit bekämpfen möchte. Dieses Thema hat für viele an Relevanz gewonnen. Eine Freundin sagte mir, man merke ja schon im Supermarkt, dass alles teurer geworden sei. Die Grünen haben bei der sozialen Gerechtigkeit und Umverteilung nicht ernsthaft vermitteln können, dass sie sich für diese Themen einsetzen. Auch wenn Robert Habeck während des Wahlkampfs schon im Dezember eine Milliardärssteuer gefordert hatte.

Zudem haben mir viele junge Wähler*innen erzählt, dass es sie enttäuscht habe, wie sich die Grünen in der Migrationsdebatte positioniert haben. Die Kompromissbereitschaft der Grünen in der Migrationspolitik, z.B. der GEAS Reform, habe den Eindruck geweckt, die Partei sei insgesamt weiter nach rechts gerückt. Ein Großteil der jungen Menschen, die sich bei dieser Wahl für die Linken entschieden haben, schilderten mir ihren Eindruck, dass die Grüne sich in der Ampel-Regierung nicht genug durchsetzen konnte und zu viele Kompromisse zu Lasten der eigenen Werte gemacht habe.

Kompromissbereitschaft statt linker Themen

Auf gerade diese Kompromissbereitschaft setzten die Grünen jedoch in ihrem Wahlkampf. „Zusammen“ war auf den grünen Plakaten zu lesen. Der Versuch, Bereitschaft für eine weitere Regierungsbeteiligung zu signalisieren? Leon Matella, Sprecher der jungen Grünen im Kreisverband München-Land, findet das war der richtige Weg für die Grünen. „Die Grünen sind die Partei, die am verlässlichsten eine Linie fahren“, meint er. Dabei ginge es jedoch nicht darum das eigene Parteiprogramm durchzudrücken, sondern Kompromisse zu schließen. Besonders der vorangetriebene Ausbau der erneuerbaren Energien sei den Grünen zu verdanken. Dass Klimaschutz nicht mehr das zentrale Thema im Wahlkampf war, hat den Stimmenfang für die Grünen erschwert. Eigene Erfolge waren so kaum nach außen zu tragen. Im Gegensatz zur Linken habe sich die Grüne in ihrem Wahlkampf stärker daran orientiert, welche Themen die Gesellschaft bewegen. Die Wahlkampfstrategie der Linken findet er mutig. „Die Linken haben überlegt: Was sind unsere Themen – und damit gehen wir groß raus“, so Matella. Damit sei man ein Risiko eingegangen, was sich jedoch ausgezahlt habe.

Linken-Boom: Momentum oder Trendwende?

Die Gespräche, die ich mit jungen Menschen geführt habe, zeigten jedoch: die meisten, die zu den Linken gewandert sind, haben sich nicht komplett von den Grünen abgewendet. Damit sie ihr Kreuz wieder bei den Grünen setzen, forderten jedoch viele, dass die Partei wieder zu ihren sozialpolitischen Themen zurückkehre und sich auch glaubwürdig dafür einsetze. Ob dies passiert, ist fraglich. Die Journalistin Tanja Tricarico, Leiterin des Politik-Teams der wochentaz, hält die Linke aktuell für die größte Konkurrenz der Grünen. Die beiden Parteien konkurrieren größtenteils um dasselbe Wähler*innenmilieu. Tricarico kann sich vorstellen, dass nun innerhalb der Grünen sich ein erneuter Streit zwischen dem linken Lager der Partei und den sogenannten Realos entwickeln wird, in dem es darum geht, in welche Richtung sich die Partei nach der Bundestagswahl entwickeln soll. Auch der Politikwissenschaftler Dr. Michael Kolkmann hält dies für möglich. Entscheidend sei vor allem, welche Personen in Zukunft das Gesicht der Partei sind. Kolkmann sieht jetzt insbesondere die Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak in der Verantwortung. Sie haben die Aufgabe den Diskurs innerhalb der Partei zu führen und mögliche Unstimmigkeiten zu kanalisieren. Denkbar wäre laut dem Politikwissenschaflter von der Universität Halle Dr. Michael Kolkmann, dass erfahrene Politiker*innen aus der Landesebene auf Bundesebene geholt werden. Zudem hält er es für möglich, dass Ricarda Lang eine zentrale Rolle in der Partei übernimmt.

Wie sich die Grünen entwickeln, bleibt abzuwarten. Klar ist: Robert Habeck wird keine führende Rolle im möglichen Richtungsstreit führen. Er hat am Tag nach der Bundestagswahl angekündigt, sich aus der Spitzenpolitik zurückzuziehen.

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Jung, weiblich, politisch – Wird die Bundestagswahl 2025 feministisch?

©️ Carlo Rückamp / Jugendpresse Deutschland e.V.

,,Meine Großmutter hat mich bewegt in die Politik zu gehen, sie wollte Ungerechtigkeiten nie wieder hinnehmen“. Auf der Podiumsdiskussion am Donnerstag vor der Bundestagswahl 2025 enthüllt die Direkt-Kandidatin der SPD Berlin-Mitte Annika Klose ihre Beweggründe für ihr politisches Engagement. Auf einen Vermerk des Moderators in Bezug auf Scholz‘ Antwort auf die Frage, was er von Frauen* lernen könne, antwortet Frau Klose, dass er Feminist sei.  

Obwohl Aktivist*innen und Politiker*innen junge Frauen empowern wollen, sich zu engagieren und nicht nur alle vier Jahre ein Kreuz zu setzen, kann die politische Landschaft Deutschlands keineswegs als feministisch und gleichberechtigt bezeichnet werden. Das gilt auch, wenn sich der Regierungschef selbst als Feminist bezeichnet. Kurz vor der Bundestagswahl hoffen viele Frauen*, dass die Wahl einen feministischen Wandel in der Politik bewirken wird. Aber ist diese Hoffnung realistisch? 

Mehr Kandidierende, weniger Vielfalt? Ein Blick auf die Bundestagswahl-Bewerber*innen 

Ob feministische Ziele mit der Bundestagwahl umgesetzt werden können, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die verschiedenen Positionierungen und Quoten müssen untersucht werden, um dies feststellen zu können.  

Laut der Bundeswahlleiterin Dr. Ruth Brandt traten am 23.02 insgesamt 4.506 Wahlbewerber*innen an. Davon nur 1.422 Frauen – das sind knapp 31,6 Prozent. Noch 0,4 Prozentpunkte weniger als vor 4 Jahren zur Bundestagswahl 2021. 

Während Bündnis 90/Die Grünen mit einem Frauen*anteil von 52,7 Prozent an der Spitze stehen, folgen die Linken mit 44,5 Prozent weiblich gelesenen Personen. Die CDU/CSU mit 41,9 Prozent und SPD mit 40,4 Prozent. Deutlich schlechter schneidet die AfD ab: Nur 12,4 Prozent der Kandidierenden sind Frauen. Damit bleibt die Partei weit hinter den anderen großen Fraktionen zurück und unterstreicht einmal mehr ihr strukturelles Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung. 

Eine verbindliche Quote für Wahllisten zur Bundestagswahl haben nur Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD. Grüne und Linke setzen auf eine gleichwertige 50-Prozent-Quote, während die SPD 40 Prozent der Listenplätze für Frauen* vorsieht. Die Union vermeidet klare Vorgaben für Wahllisten und beschränkt sich auf interne Parteigremien, während FDP sowie AfD keinerlei Maßnahmen zur Förderung von Frauen* ergreifen und weiterhin auf männlich dominierte Listen setzen. 

Auch wenn eine Quote vielversprechend klingen mag, ist diese leider keine Garantie für eine feministische Politik nach der Bundestagswahl. Der Bundestag ist ein männlich geprägter Ort: nur 35,7 Prozent der Abgeordneten sind weiblich. Prognosen von Abgeordnetenwatch zeigen, dass dieser Anteil nach der kommenden Wahl weiter sinken könnte – auf nur noch 31,5 Prozent. Dies ist primär den hohen Umfragewerten der AfD geschuldet, welche die geringste Frauenquote aufweist. Doch selbst eine verhältnismäßig hohe Frauenquote – wie bei der CDU suggeriert nicht automatisch eine feministische Programmatik.  

Social Media als Waffe & Plattform für feministische Bewegungen 

Ein Social Media Post der Linken vergleicht die feministischen Anteile in den Parteiprogrammen der Parteien. Dabei wird deutlich, dass die CDU wenig, bis keine feministische vertritt. Wenn im Wahlkampf doch über Feminismus gesprochen wurde, lief dies meist auf eine Diskussion über die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hinaus. Die Linke, SPD, Grüne sowie das BSW stehen für eine Streichung. Wohingegen Union, FDP und auch AfD sich klar gegen die Selbstbestimmung der Frau in Bezug auf ihren Körper positionieren. Die Tatsache, dass dieses Thema in allen Parteiprogrammen vertreten ist, zeigt, dass eine neutrale Haltung dazu nicht möglich ist.  

Politik bleibt Männersache – doch junge Frauen fordern Veränderung 

Während Deutschland über Gleichstellung diskutiert, bleibt der Bundestag ein Ort, an dem Frauen* weiterhin unterrepräsentiert sind. Bei der Bundestagswahl 2025 steht nicht nur die Sitzverteilung zur Debatte, sondern auch, inwieweit feministische Anliegen in der politischen Landschaft wirklich Gehör finden. Ein Gespräch mit jungen Politikwissenschaftlerinnen zeigte, dass diese eine klare Vorstellungen davon haben, was sich ändern muss. 

Gleichberechtigung – ein politisches Randthema? 

„Mich interessiert besonders, wie Parteien mit dem Thema Gleichberechtigung umgehen und welche politischen Konzepte sie tatsächlich umsetzen“, erklärt eine der jungen Frauen*. Neben klassischen sozialpolitischen Fragen, Bildung und Umweltpolitik sind es vor allem frauenrechtliche und antifaschistische Themen, die sie bewegen. Wie viel Aufmerksamkeit erhalten diese Anliegen? Und vor allem: Wer setzt sich tatsächlich dafür ein? 

Die Realität sieht ernüchternd aus. Frauen sind nicht nur im Bundestag unterrepräsentiert, sondern erleben auch im politischen Diskurs große Herausforderungen. „Als Frau wird man seltener ernst genommen und muss oft härter kämpfen, um gehört zu werden“, so Frau Sommer*. Der Zugang zur Politik bleibt schwer – besonders im ländlichen Raum fehlt es an Anlaufstellen. Nicht selten kommt der stärkste Gegenwind aus dem eigenen familiären Umfeld. 

Die Macht der Social-Media-Filterblasen 

Die politische Meinungsbildung junger Frauen* findet heute vor allem in den Sozialen Medien statt. „Ich bin in vielen politischen Bubbles unterwegs und habe das Gefühl, dass meine Probleme dort wahrgenommen werden“, erzählt Frau Winter*. Doch gleichzeitig zeigen Plattformen wie TikTok und Instagram, wie stark sich politische Lager voneinander abschotten. „Bei der AfD sieht man kaum Frauenstimmen in Kommentaren oder Interviews – das spricht Bände.“ 

Soziale Medien bieten zwar Zugang zu politischen Debatten, verstärken aber oft bestehende Überzeugungen. Während linke Stimmen auf Plattformen wie Instagram dominieren, bleibt konservative oder rechtspopulistische Politik in diesen Kreisen nahezu unsichtbar. Rechte Diskurse scheinen in den Medien zu verschwinden. „Ich folge vielen politischen Influencer*innen und Expert*innen, die in Worte fassen, was ich denke. Das hilft mir, meine Meinung zu festigen und zu artikulieren.“ Doch wie viel Einfluss hat diese digitale Aktivität auf reale politische Teilhabe? 

Was sich in der Parteienlandschaft ändern muss 

Die Forderungen sind klar: „Es braucht mehr Frauen in politischen Ämtern, sonst bleiben die Gesetze, die unser Leben bestimmen, weiterhin von Männern dominiert.“ Besonders besorgniserregend finden die Politikwissenschaftlerinnen, dass Parteien wie die AfD offen ein veraltetes Frauenbild vertreten. „Wenn eine Partei fordert, dass Frauen zurück in traditionelle Rollen gedrängt werden, ist das nicht nur antifeministisch, sondern ein direkter Angriff auf unsere Freiheit.“ 

Doch nicht nur rechte Parteien stehen in der Kritik. Feministische Politik müsse mehr sein als ein Wahlkampfslogan – es brauche konkrete Konzepte. Mehr Repräsentation, verbindliche Quoten, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – all das sind die Voraussetzungen, um langfristig mehr Frauen für politische Ämter zu gewinnen. 

Ein langer Weg zur gleichberechtigten Demokratie 

Die Wissenschaftlerinnen sind sich einig: es braucht einen fundamentalen Wandel in der politischen Landschaft. Politik muss für junge Frauen* zugänglicher werden und Vorbilder schaffen. „Nur wenn mehr von uns mitentscheiden, bleibt die Politik am Puls der Zeit.“ Denn solange feministische Anliegen nicht konsequent vertreten werden, bleibt die Gleichstellung ein Versprechen ohne Fundament. 

Jung, weiblich, politisch – Ein Gespräch mit Politikerin Annika Klose 

Annika Klose äußerte sich nach der Podiumsdiskussion am Donnerstag vor der Bundestagswahl. Neben den üblichen Themen, wie Migration, Sicherheits- und Außenpolitik, wurde kaum über Sozialpolitik und überhaupt nicht über Feminismus gesprochen. Für eine junge Politikerin, die sich aktiv für Gleichberechtigung einsetzt nicht zufriedenstellend. 

Auf die Frage, welche feministischen Anliegen im aktuellen Wahlkampf ausreichend vertreten sind, fällt die Antwort deutlich aus: „Überall gibt es Nachholbedarf.“ Zwar sei das Abtreibungsverbot endlich in den politischen Diskurs gerückt. Doch ohne eine Mehrheit im Bundestag blieb es bislang bei einem symbolischen Schritt. „Es ist gut, dass darüber gesprochen wurde, aber es reicht nicht.“ 

Andere feministische Themen fehlen im Wahlkampf komplett. „Lohngerechtigkeit, Gewaltschutz, strukturelle Benachteiligung – es gäbe so viel zu tun, doch es passiert kaum etwas.“ Zwar wurde das Gewalthilfegesetz beschlossen, aber umfassende Maßnahmen, zum Schutz von Frauen* fehlen weiterhin.  

Ein zentraler Faktor für mehr Gleichberechtigung bleibt die politische Repräsentation. Doch wie lassen sich mehr Frauen für Ämter gewinnen? „Das ist eine schwierige Frage“, räumt Frau Klose ein. Eine Quote sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Immerhin hat die SPD bereits eine für die Aufstellung von Wahllisten eingeführt. Doch das reicht nicht. „Wir brauchen ein Paritätsgesetz, damit Parlamente endlich gleichmäßig besetzt werden.“  

Darüber hinaus müsse auch auf Landesebene nachgesteuert werden. „Viele Direktkandidaturen gehen nach wie vor an Männer, weil diese in aussichtsreicheren Wahlkreisen antreten.“ Hier braucht es verbindliche Vorgaben für Landesverbände. Ein weiterer Punkt: Frauen werden oft nicht ausreichend auf politische Ämter vorbereitet. „Ich wünsche mir für meine eigene Partei Förderprogramme für Frauen – Sie brauchen mehr strukturelle Unterstützung“ 

Der Weg in die Politik bleibt für viele junge Frauen steinig. Doch was braucht es, um sie trotz möglicher gesellschaftlicher Gegenströmungen zu mobilisieren? Kloses Aufruf ist klar: „Macht das auf jeden Fall – eure Stimme wird dringend gebraucht.“ Sich nicht unterkriegen zu lassen und sich gezielt Verbündete zu suchen, sei essenziell. Frauensolidarität und Netzwerke seien unfassbar wertvoll. 

Die abschließende Botschaft ist unmissverständlich: „Solidarisiert euch und kämpft zusammen, denn gemeinsam können wir mehr erreichen.“ In einer politischen Landschaft, die noch weit von echter Gleichstellung entfernt ist, bleibt das ein entscheidender Schlüssel für Veränderung.  Angesicht des Wahlergebnisses gehört der 23. Februar nicht zu den erfolgreichen Tagen des Feminismus. Die beiden stärksten Parteien positionieren sich gegen das Abtreibungsverbot und dämpfen dabei die Hoffnungen vieler Frauen*. Aber genau deshalb ist es so wichtig seine Stimme jenseits von Wahlen zu nutzen.  

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Ampel-Aus, Vertrauensfrage, Neuwahlen. Aber wie könnte die nächste Koalition aussehen? 

©️ Carlo Rückamp / Jugendpresse Deutschland e.V.

Im November 2024 zerbrach die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Das Ergebnis: Bundeskanzler Olaf Scholz stellt die Vertrauensfrage am 16. Dezember 2024. Das Vertrauen wird ihm mit einer Mehrheit von 394 Abgeordneten verweigert. Am 23. Februar 2025 finden Neuwahlen statt. Ein neuer Wahlkampf beginnt. Geprägt wird dieser von Vielem. Die Abstimmung zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Fraktion der CDU/CSU mit Stimmen der AfD, der Besuch des US-Vizepräsidenten JD Vance in München, Alice Weidel und Elon Musk im Interview, mehrere Anschläge in Deutschland. Aber was bedeutet das alles für die Bundestagswahl und mögliche Koalitionen hinterher? 

Dazu hat politikorange-Redakteurin Nadgemi Bonanga unterschiedliche Stimmen gesammelt. Zunächst wurden Einschätzungen aus der Bundespolitik eingeholt, zu den zwischenparteilichen Beziehungen, Ereignissen, die diese in letzter Zeit geprägt haben, und möglichen Koalitionen. Geäußert haben sich Akteure auf der Wahlparty von der Partei die Linke, Armand Zorn von der SPD, Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen, Sören Henschel von der FDP und Lasse Hansen von der CDU. Vom Bündnis Sahra Wagenknecht gab es keine Zusage für ein Interview und von der AfD keine Antworten auf Interviewanfragen. Hinzu kommt eine Einordnung des Politikwissenschaftlers Dr. Michael Kolkman von der Universität Halle und Stimmen junger Menschen aus ganz Deutschland. 

Einschätzungen aus den Parteien 

„Nach jedem Anschlag gab’s immer irgendwelche Lippenbekenntnisse”, so Lasse Hansen von der CDU zum Thema Migration, als er die politikorange-Redaktion für ein Interview besucht. Zum ‚Zuwanderungsbegrenzungsgesetz‘ fügte er an, dass Friedrich Merz ja auch bedauert habe, dass die AfD mitgestimmt hat. Dann kommt von Seiten der Redakteure eine Frage zu den thematischen Ähnlichkeiten der Union und der AfD. „Sonst wären nicht so viele Wähler dahin abgewandert“, antwortet er. Die Brandmauer sei am Ende auch ein Instrument, um die CDU kleiner zu halten. Die nächste Regierungsbildung schätze er folgendermaßen ein: „Eine Minderheitsregierung ist natürlich eine Option” Eine Koalition mit der AfD würde er kategorisch ausschließen. „Ansonsten würde ich vom demokratischen Ansatz her keine ausschließen” Dann fügte er noch hinzu: „Gut also, die Linke muss auch nicht sein” 

„Wir kommen rein”: So zuversichtlich schien Sören Henschel (FDP) einen Tag vor der Bundestagswahl zu sein, dass die FDP in die nächste Regierungskoalition kommt. Als seine „Wunschkoalition“ gibt er Schwarz-Gelb an. Dies hält er allerdings für unwahrscheinlich, von Seiten der Union. Das betonte er mit einem Zitat von Friedrich Merz: „4% sind 4% zu viel für die FDP” Henschel vermutet: „Wenn wir reinkommen, gibt es eine Deutschlandkoalition“ Am 23. Februar dann die Ernüchterung auf der Wahlparty der FDP, laut der Prognosen wird sie nicht in den Bundestag einziehen. 

Anton Hofreiter von der Partei Bündnis 90/Die Grünen äußerte sich dahingegen so: „Die FDP hat durch ihren fatalen Vertrauensbruch letztlich das Bündnis unhaltbar gemacht. Ein kategorisches Ausschließen potenzieller Partner – wie es die Union, insbesondere die CSU, praktiziert hat – schadet der Demokratie. Gleichzeitig gibt es klare rote Linien: Die Linke vertritt in Fragen der sozialen Gerechtigkeit vernünftige Positionen, ihre Außenpolitik hingegen ist fatal und stellt eine große Gefahr für die Ukraine sowie die europäische Sicherheitsarchitektur dar. Eine Koalition mit ihr wäre daher schwierig. Die AfD ist der innere Feind Deutschlands. Sie biedert sich Russland an, ist in Spionageaffären mit China verstrickt und zeigt klare faschistische Charakteristika. Ihr Einfluss stellt eine direkte Gefahr für unser Land dar.“ 

Armand Zorn von der SPD schätzt die Lage am Vormittag des Wahltages so ein: „Ich glaube, dass das politische Klima in letzten Jahren und letzten Monaten sich erheblich verschlechtert hat. Und das ist natürlich auch eine Belastung für die Zusammenarbeit zwischen den Parteien. Ich glaube, dass dieser Wahlkampf sehr intensiv geführt wurde und, dass er auch eher geprägt war von Aussagen, die meines Erachtens polarisierend waren und das macht es natürlich schwierig zusammenzuarbeiten.” In Bezug auf mögliche Koalitionen teilt er mit: „Aber ich würde auch sagen, Deutschland basiert darauf, dass Parteien zusammenarbeiten müssen. Am Ende kann man das sich auch gar nicht so aussuchen, weil der Wähler oder die Wähler entscheiden. Ich persönlich würde mir eine rot-grüne Regierung wünschen. Mit der AfD kann ich mir gar keine Zusammenarbeit vorstellen.” 

Am 23.02 kurz vor 18 Uhr sagte der Bundesgeschäftsführer Janis Ehling auf der Wahlparty der Linken, dass es seit dem Ampel-Aus „mehr neue Mitglieder als alte Mitglieder” gab, „Die Eintritte gibts grad überall, das gibt Hoffnung“. Als dann um 18h die Prognosen verkündet wurden, lag die Linke bei 8,5 Prozent. Der Jubel war groß. Kurz danach verkündete Spitzenkandidat Jan van Aken auf der Bühne: „Wir werden die Regierung von Friedrich Merz richtig kontrollieren.“ Ines Schwerdtner: „Wir sagen, wir sind die Brandmauer und wir werden gegen die Faschisten im Parlament kämpfen. Wir sind jetzt eine starke soziale Opposition im Bundestag und wir werden es nutzen, um eine starke gesellschaftliche Kraft zu sein und um wirklich etwas in der Gesellschaft zu verändern.” 

Einordnung des Politikwissenschaftlers Dr. Michael Kolkmann  

Am Morgen des 24. Februar hielt der Politikwissenschaftler Dr. Michael Kolkmann von der Universität Halle einen Vortrag zur Einordnung der Wahlergebnisse im Redaktionsraum der politikorange-Redaktion zur Bundestagswahl. „Heute morgen werden ein paar Konturen klar“, schätze er ein. Der Wahlkampf sei geprägt von einem Spagat der Parteien zwischen Wechsel- und Stammwählern, zudem gäbe es die ‚unpopulärsten Kanzlerkandidaten, die wir jemals hatten‘. Mit der FDP sei eine ganze Fraktion weg und auch das BSW sei am Bundestageinzug gescheitert, so Kolkmann. „Die Union mag gewonnen haben, aber das macht das Regieren jetzt nicht unbedingt einfacher“ Er betont dies damit, dass Friedrich Merz zum Beispiel im Bundesrat auf Stimmen von anderen Parteien angewiesen sei. In Bezug auf mögliche Koalitionen sagte er: „Wir finden Minderheitsregierungen immer sehr unstabil und wir brauchen Stabilität” Er folgert: „Da wird man als Union der SPD sehr weit entgegenkommen müssen. Wenn das scheitert, wird vielleicht der Bundespräsident interessant.” Man müsse zwischen den Parteien zusammenarbeiten, so Kolkmann. „Das wird nun auch die neue Regierung unter Friedrich Merz prägen“ 

Junge Stimmen 

Eine Person betont den Rechtsruck: „Ehrlicherweise macht mir die ganze politische Situation zurzeit echt Angst und ich frage mich oft, wie es weitergehen wird. Der Rechtsruck ist etwas, was ich ganz einfach nicht verstehe, weil ich nicht wirklich begreife, wie Menschen nicht sehen können, wie schlimm solche radikalen Ansichten und die daraus folgenden Taten sind. Ich hoffe einfach, dass nach der Wahl eine Regierung gebildet wird, mit der eine gute Zukunft möglich ist, auch wenn ich selber nicht genau weiß, wie so eine Regierung aussehen soll, außer dass die AfD definitiv nicht Teil davon sein sollte.“ 

Ein anderer stellt Widersprüche im Parlament in den Vordergrund: „Deutschland mag zwar als „sicheres Land“ gelten, aber angesichts der Politik und der jüngsten Ereignisse, mag ich dies bezweifeln. Wenn sich Mitglieder des Bundestags so sehr widersprechen (insbesondere Merz bezüglich der Koalition mit der AfD) frage ich mich persönlich, wie wir jemanden wählen sollen, bei dem wir nicht wissen, was er nun eigentlich will.“ 

Ein Weiterer erhofft sich eine gute Zusammenarbeit: „Ich hoffe, dass wir mal eine Koalition bekommen, die in eine klare Richtung geht. Das hat mir bei der Ampelregierung gefehlt. Es waren Parteien, die an sich nicht wirklich zusammenpassten, wodurch keiner wirklich etwas durchsetzen konnte und die Regierungsparteien wie drei Hunde an einer Leine in verschiedene Richtungen zogen.“ 

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Wie konstruktiv ist die Asyldebatte und welche Probleme sind zu lösen?

 © Pixabay

Migration hat wie kein anderes Thema den Wahlkampf dominiert. Anschläge in Magdeburg und anderen Städten haben die Debatte um Asyl befeuert, aber vor allem- den Ruf nach mehr Abschiebung verstärkt. Wie konstruktiv ist der aktuelle Diskurs? Migration wird gebraucht, aber rechte Kräfte sollen nicht weiter erstarken. Was ist langfristig die Lösung?  Unsere Reporterin Nelly hat sich auf den Straßen in Berlin umgehört und mit Tanja Tricarico von der taz und mit Migrationsforscher Daniel Kubiak gesprochen.

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Mit Anlauf über die 5% Hürde: Die Linke ist zurück 

Die Linke ist die insgeheime Gewinnerin der Bundestagswahl. Die Partei hat mit einem Ergebnis von 64 Sitzen im Bundestag ihre eigenen Erwartungen übertroffen und bejubelte ihren Sieg. Woher kommt dieser plötzliche Erfolg der Linken? Dieser Frage gehen wir in „Mit Anlauf über die 5%-Hürde: Die Linke ist zurück“ nach.

© Jennifer Kramer / Jugendpresse Deutschland e. v.

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Bonjour Berlin: Was denkt Frankreich über die Bundestagswahl? 

In Deutschland wurde gewählt. Doch was berichtet Frankreich darüber? Und welchen Einfluss könnte unsere Wahl auf sie haben? Diese Fragen beantwortet Politikorange-Redakteurin Hanna mit Hilfe von Adam Dardakh aus Paris, Frankreichkorrespondentin Annika Joeres und Politikwissenschaftlerin Jeanette Süß. 

© Lennart Joerdens, Hanna Lang / Jugendpresse Deutschland e.V.

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Bürgergeld: Sprungbrett in den Arbeitsmarkt oder soziale Hängematte?

Bild: Pixabay

„Ihr sagt Sozialstaat, ich sag nur Blabla“ – schon 2011 zweifelte Rapper Samy Deluxe daran, ob Deutschlands soziale Absicherung wirklich hilft. Heute, über ein Jahrzehnt später, ist das Bürgergeld zur neuen Grundsicherung geworden – und ein politischer Dauerbrenner. Während die Ampelkoalition es als Hilfestellung für Menschen in Not sieht, kritisieren CDU und FDP mangelnde Arbeitsanreize. Doch was steckt hinter den Debatten? Und ist das Bürgergeld wirklich eine „Hängematte“ – oder ein Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt?

Was ist das Bürgergeld?

Seit Januar 2023 ersetzt das Bürgergeld das frühere Hartz-IV-System. Alleinstehende erhalten aktuell 563 Euro pro Monat, dazu kommen Miet- und Heizkostenzuschüsse. Wer Bürgergeld bezieht, muss sich grundsätzlich um eine neue Arbeitsstelle bemühen – mit Ausnahmen für Alleinerziehende oder gesundheitlich eingeschränkte Personen. Wer Jobangebote ablehnt oder Termine versäumt, muss mit Kürzungen rechnen.

Wie geht es mit dem Bürgergeld weiter? Die Positionen der Parteien im Überblick 

  • SPD & Grüne: Unterstützung mit Augenmaß
    Hanna Steinmüller (Grüne) verteidigt das Bürgergeld entschieden gegen Kritik aus der Union. Sie betont, dass es ihrer Meinung nach nie als bedingungsloses Grundeinkommen gedacht worden wäre und die CDU mit falschen Behauptungen eine Hetzkampagne führe. Laut Steinmüller gehe es darum, Menschen zu helfen, die wirklich Unterstützung bräuchten. Gleichzeitig fordert sie eine bessere Ausstattung der Jobcenter, um Arbeitssuchende individueller fördern zu können. Ein großes Problem sieht sie auch in den schwierigen Bedingungen für Alleinerziehende und sogenannte Aufstocker*innen – also Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit zusätzlich Bürgergeld beziehen müssen.
  • CDU & CSU: Mehr Druck, mehr Anreize
    CDU-Direktkandidat Lasse Hansen ist skeptisch gegenüber dem Bürgergeld. Für ihn ist die Reform nicht effektiv genug, um Arbeitslose wirklich in Beschäftigung zu bringen. Seiner Meinung nach müsse das System Arbeit belohnen und nicht den Verbleib in der Sozialhilfe. Er fordert eine Reform der Arbeitsagenturen und stärkere finanzielle Anreize für Beschäftigung. Auch schärfere Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer hält er für notwendig: „Es kann nicht sein, dass der Steuerzahler für Menschen aufkommt, die gar nicht arbeiten wollen.“
  • FDP: Eigenverantwortung stärken
    Kerry Hoppe (FDP) unterstützt grundsätzlich die Idee des Bürgergeldes, warnt aber vor zu wenigen Anreizen zur Eigeninitiative: „Die Balance zwischen Fordern und Fördern muss stimmen“, sagt sie. Für die FDP ist es wichtig, dass Menschen sich aktiv um Arbeit bemühen – wer dies nicht tut, soll mit Leistungskürzungen rechnen. Hoppe setzt sich dafür ein, dass Arbeit sich finanziell stärker lohnt als der Bezug von Bürgergeld, indem Freibeträge für Erwerbstätige erhöht und die Steuerlast auf niedrige Einkommen gesenkt werden.
  • Die Linke: Höhere Regelsätze, bessere Arbeitsbedingungen
    Niklas Schenker (Die Linke) kritisiert das aktuelle Bürgergeld als unzureichend: „563 Euro reichen nicht aus, um ein menschenwürdiges Leben zu führen“, sagt er. Die Linke fordert eine Erhöhung des Bürgergeldes auf mindestens 800 Euro, wie es auch der Paritätische Wohlfahrtsverband empfiehlt. Darüber hinaus setzt sich die Partei für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen ein, um Langzeitarbeitslosigkeit langfristig zu verringern.

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Bürgergeld: Individuelle Schicksale statt einfache Lösungen

Wirtschaftsredakteurin Nicole Kohnert (ARD-Korrespondentin für Wirtschaft und Finanzthemen) weist darauf hin, dass das Bürgergeld nicht mit einfachen Maßnahmen reformierbar ist. Strengere Regeln, wie sie CDU und FDP fordern, könnten zwar theoretisch zu einer Reduktion der Empfängerzahlen führen, aber nicht zwangsläufig mehr Menschen in Arbeit bringen. „Viele Betroffene haben ganz individuelle Probleme, für die es keine Pauschallösung gibt“, so Kohnert. Sie nennt Beispiele wie alleinerziehende Mütter, die keinen Kitaplatz finden, oder pflegende Angehörige, für die eine Vollzeitstelle schlicht nicht realistisch ist. Auch die generelle Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien unter anderen Gründe, ob Menschen eine Vollzeitstelle annehmen können oder nicht.

Faktencheck: Mythen und Realität zum Bürgergeld 

Besonders aus Unionskreisen kommt die Kritik, Bürgergeld schaffe Anreize, nicht zu arbeiten. Zahlen zeigen jedoch ein differenzierteres Bild: Von vier Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldbeziehenden sind nur 1,7 Millionen offiziell arbeitslos. Viele andere sind Studierende, Alleinerziehende oder pflegen Angehörige. Nur 0,5 Prozent der Empfänger*innen werden tatsächlich für Arbeitsverweigerung sanktioniert.

Fazit: Braucht es eine ,,Reform der Reform”?

Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen – aber auch keine perfekte Lösung. Während die Ampel Parteien es als notwendige Unterstützung betrachten, bleibt die Kritik der Union laut: Zu teuer, zu wenig Anreize für Arbeit. Doch wie viel Kontrolle braucht der Sozialstaat? Und wie stark muss Arbeit belohnt werden? Die Antwort darauf wird nicht nur die Sozialpolitik der nächsten Jahre bestimmen – sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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Vielfalt verfehlt – Warum der Bundestag nicht repräsentativ für die Gesellschaft ist

Weiß, männlich, akademisch – die Abgeordneten im Bundestag spiegeln längst nicht die Vielfalt der Gesellschaft wider. Jan und Tara aus der Politikorange-Redaktion werfen zusammen mit Sabrina Schönewolf von Abgeordnetenwatch einen kritischen Blick darauf, wie der Mangel an Diversität politische Entscheidungen beeinflusst und warum sich vor allem eine bestimmte Gruppe den Weg in den Bundestag bahnt. Die Perspektiven vieler bleiben ungehört, und auch die Zukunft verspricht kaum Veränderung.

© Lennart Joerdens / Jugendpresse Deutschland e.V

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