Alle diskutieren darüber, wie Deutschlands Wirtschaft wachsen kann – aber brauchen wir überhaupt mehr Wachstum? Arratz Stammen vom Verein “Konzeptwerk neue ökonomie” will, dass sich Wirtschaft mehr an den menschlichen Bedürfnissen orientiert.

Arratz Stammen hat in deren Workshop auf den JPT über Degrowth und Utopien aufgeklärt. (Foto: Jugendpresse Deutschland/Caroline Sauter)
Wirtschaft ohne Wachstum klingt für viele erstmal schwer vorstellbar, vielleicht sogar unmöglich. Die Vertreter*innen von Degrowth sehen das anders. Wirtschaft verfolgt ihrer Meinung nach das Ziel, die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Seit den 1970er Jahren warnt die Bewegung vor den Folgen von unbegrenztem Wachstum und möchte Alternativen leben. Denn Armut, unfaire Verteilung von Ressourcen, Umweltzerstörung und überlastete Arbeiter*innen sprechen wohl kaum für gesteigerte Lebensqualität.
Arratz Stammen hat Degrowth wortwörtlich studiert. Eigentlich in einer konservativ-liberalen Familie aufgewachsen, hat dey sich früh für Politik und Wirtschaft interessiert. Wie die meisten Menschen, dachte dey lange, dass genug Fortschritt den Klimawandel und weitere Krisen lösen wird. Auch für Kunst hat sich Arratz immer begeistert. Im Studium musste dey feststellen: „Es gibt keinen nachhaltigen Kunstsektor. Aber wozu Kunst auf einem toten Planeten?“
Für die Degrowth-Bewegung heißt Wohlstand nicht unbedingt viel Geld zu haben
Mit diesem Gedanken zog es Arratz nach Barcelona, in die einzige Stadt in der Degrowth damals als Master angeboten wurde. Hier haben sich Bänker*innen, IT-Menschen und Aktivist*innen zusammengefunden, um über Wachstumskritik und Alternativen zu diskutieren. „Degrowth rückt eine ganz andere Vorstellung von Wohlstand ins Zentrum.“ Das kann zum Beispiel bedeuten, wieder genug Zeit für die persönlichen Interessen, Freund*innen und Familie zu haben. Arratz ist davon überzeugt, dass eine andere Form des Zusammenlebens als die der kapitalistischen Gesellschaft möglich ist. „Es ist das System, dass uns egoistisch und konkurrenzgetrieben macht, nicht unsere menschliche Natur.”
Nach diesem Gedanken lebt Arratz seit einiger Zeit. Zwei Jahre wohnte dey in der Wüste Almerías in Süd-Ost-Spanien, um gegen die Ausbeutung der andalusischen Region zu kämpfen. „Ich habe dort zwar gearbeitet, aber eben nicht für Lohn“, berichtet dey. „Wir haben von anderen Ressourcen gelebt als von Geld.“ Essen hat die Gruppe teils selbst angebaut, teils in der Nachbarschaft ertauscht. „Es war spannend zu sehen, wie viel Raum die zwischenmenschlichen Beziehungen und auch die Beziehungen zum Fluss und zur Natur dort eingenommen haben.“
Ein Verein klärt in Schulen und Kultureinrichtungen über Degrowth auf
Seit zwei Jahren arbeitet dey beim “Konzeptwerk neue ökonomie“, um deren Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Das basisdemokratische Kollektiv besteht aus 25 Mitarbeiter*innen und setzt sich in Arbeitskreisen mit verschiedenen Aspekten von Degrowth auseinander. In Schulen, Unis, Kultureinrichtungen und auf Festivals gibt das Konzeptwerk Workshops. Außerdem produzieren die Mitarbeiter*innen einen Podcast über feministische Ökonomie.
Die Degrowth-Bewegung hat die klare Vision einer Zukunft in Gemeinschaft und Balance mit den natürlichen Ressourcen. Wie der große Wandel geschehen kann, bleibt offen. In Form von Protest, solidarisch organisierten Events oder eben in der Wüste Andalusiens lassen sich kleine Degrowth-Gesellschaften bereits jetzt in der Realität finden.