
©️ Carlo Rückamp / Jugendpresse Deutschland e.V.
Im November 2024 zerbrach die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Das Ergebnis: Bundeskanzler Olaf Scholz stellt die Vertrauensfrage am 16. Dezember 2024. Das Vertrauen wird ihm mit einer Mehrheit von 394 Abgeordneten verweigert. Am 23. Februar 2025 finden Neuwahlen statt. Ein neuer Wahlkampf beginnt. Geprägt wird dieser von Vielem. Die Abstimmung zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Fraktion der CDU/CSU mit Stimmen der AfD, der Besuch des US-Vizepräsidenten JD Vance in München, Alice Weidel und Elon Musk im Interview, mehrere Anschläge in Deutschland. Aber was bedeutet das alles für die Bundestagswahl und mögliche Koalitionen hinterher?
Dazu hat politikorange-Redakteurin Nadgemi Bonanga unterschiedliche Stimmen gesammelt. Zunächst wurden Einschätzungen aus der Bundespolitik eingeholt, zu den zwischenparteilichen Beziehungen, Ereignissen, die diese in letzter Zeit geprägt haben, und möglichen Koalitionen. Geäußert haben sich Akteure auf der Wahlparty von der Partei die Linke, Armand Zorn von der SPD, Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen, Sören Henschel von der FDP und Lasse Hansen von der CDU. Vom Bündnis Sahra Wagenknecht gab es keine Zusage für ein Interview und von der AfD keine Antworten auf Interviewanfragen. Hinzu kommt eine Einordnung des Politikwissenschaftlers Dr. Michael Kolkman von der Universität Halle und Stimmen junger Menschen aus ganz Deutschland.
Einschätzungen aus den Parteien
„Nach jedem Anschlag gab’s immer irgendwelche Lippenbekenntnisse”, so Lasse Hansen von der CDU zum Thema Migration, als er die politikorange-Redaktion für ein Interview besucht. Zum ‚Zuwanderungsbegrenzungsgesetz‘ fügte er an, dass Friedrich Merz ja auch bedauert habe, dass die AfD mitgestimmt hat. Dann kommt von Seiten der Redakteure eine Frage zu den thematischen Ähnlichkeiten der Union und der AfD. „Sonst wären nicht so viele Wähler dahin abgewandert“, antwortet er. Die Brandmauer sei am Ende auch ein Instrument, um die CDU kleiner zu halten. Die nächste Regierungsbildung schätze er folgendermaßen ein: „Eine Minderheitsregierung ist natürlich eine Option” Eine Koalition mit der AfD würde er kategorisch ausschließen. „Ansonsten würde ich vom demokratischen Ansatz her keine ausschließen” Dann fügte er noch hinzu: „Gut also, die Linke muss auch nicht sein”
„Wir kommen rein”: So zuversichtlich schien Sören Henschel (FDP) einen Tag vor der Bundestagswahl zu sein, dass die FDP in die nächste Regierungskoalition kommt. Als seine „Wunschkoalition“ gibt er Schwarz-Gelb an. Dies hält er allerdings für unwahrscheinlich, von Seiten der Union. Das betonte er mit einem Zitat von Friedrich Merz: „4% sind 4% zu viel für die FDP” Henschel vermutet: „Wenn wir reinkommen, gibt es eine Deutschlandkoalition“ Am 23. Februar dann die Ernüchterung auf der Wahlparty der FDP, laut der Prognosen wird sie nicht in den Bundestag einziehen.
Anton Hofreiter von der Partei Bündnis 90/Die Grünen äußerte sich dahingegen so: „Die FDP hat durch ihren fatalen Vertrauensbruch letztlich das Bündnis unhaltbar gemacht. Ein kategorisches Ausschließen potenzieller Partner – wie es die Union, insbesondere die CSU, praktiziert hat – schadet der Demokratie. Gleichzeitig gibt es klare rote Linien: Die Linke vertritt in Fragen der sozialen Gerechtigkeit vernünftige Positionen, ihre Außenpolitik hingegen ist fatal und stellt eine große Gefahr für die Ukraine sowie die europäische Sicherheitsarchitektur dar. Eine Koalition mit ihr wäre daher schwierig. Die AfD ist der innere Feind Deutschlands. Sie biedert sich Russland an, ist in Spionageaffären mit China verstrickt und zeigt klare faschistische Charakteristika. Ihr Einfluss stellt eine direkte Gefahr für unser Land dar.“
Armand Zorn von der SPD schätzt die Lage am Vormittag des Wahltages so ein: „Ich glaube, dass das politische Klima in letzten Jahren und letzten Monaten sich erheblich verschlechtert hat. Und das ist natürlich auch eine Belastung für die Zusammenarbeit zwischen den Parteien. Ich glaube, dass dieser Wahlkampf sehr intensiv geführt wurde und, dass er auch eher geprägt war von Aussagen, die meines Erachtens polarisierend waren und das macht es natürlich schwierig zusammenzuarbeiten.” In Bezug auf mögliche Koalitionen teilt er mit: „Aber ich würde auch sagen, Deutschland basiert darauf, dass Parteien zusammenarbeiten müssen. Am Ende kann man das sich auch gar nicht so aussuchen, weil der Wähler oder die Wähler entscheiden. Ich persönlich würde mir eine rot-grüne Regierung wünschen. Mit der AfD kann ich mir gar keine Zusammenarbeit vorstellen.”
Am 23.02 kurz vor 18 Uhr sagte der Bundesgeschäftsführer Janis Ehling auf der Wahlparty der Linken, dass es seit dem Ampel-Aus „mehr neue Mitglieder als alte Mitglieder” gab, „Die Eintritte gibts grad überall, das gibt Hoffnung“. Als dann um 18h die Prognosen verkündet wurden, lag die Linke bei 8,5 Prozent. Der Jubel war groß. Kurz danach verkündete Spitzenkandidat Jan van Aken auf der Bühne: „Wir werden die Regierung von Friedrich Merz richtig kontrollieren.“ Ines Schwerdtner: „Wir sagen, wir sind die Brandmauer und wir werden gegen die Faschisten im Parlament kämpfen. Wir sind jetzt eine starke soziale Opposition im Bundestag und wir werden es nutzen, um eine starke gesellschaftliche Kraft zu sein und um wirklich etwas in der Gesellschaft zu verändern.”
Einordnung des Politikwissenschaftlers Dr. Michael Kolkmann
Am Morgen des 24. Februar hielt der Politikwissenschaftler Dr. Michael Kolkmann von der Universität Halle einen Vortrag zur Einordnung der Wahlergebnisse im Redaktionsraum der politikorange-Redaktion zur Bundestagswahl. „Heute morgen werden ein paar Konturen klar“, schätze er ein. Der Wahlkampf sei geprägt von einem Spagat der Parteien zwischen Wechsel- und Stammwählern, zudem gäbe es die ‚unpopulärsten Kanzlerkandidaten, die wir jemals hatten‘. Mit der FDP sei eine ganze Fraktion weg und auch das BSW sei am Bundestageinzug gescheitert, so Kolkmann. „Die Union mag gewonnen haben, aber das macht das Regieren jetzt nicht unbedingt einfacher“ Er betont dies damit, dass Friedrich Merz zum Beispiel im Bundesrat auf Stimmen von anderen Parteien angewiesen sei. In Bezug auf mögliche Koalitionen sagte er: „Wir finden Minderheitsregierungen immer sehr unstabil und wir brauchen Stabilität” Er folgert: „Da wird man als Union der SPD sehr weit entgegenkommen müssen. Wenn das scheitert, wird vielleicht der Bundespräsident interessant.” Man müsse zwischen den Parteien zusammenarbeiten, so Kolkmann. „Das wird nun auch die neue Regierung unter Friedrich Merz prägen“
Junge Stimmen
Eine Person betont den Rechtsruck: „Ehrlicherweise macht mir die ganze politische Situation zurzeit echt Angst und ich frage mich oft, wie es weitergehen wird. Der Rechtsruck ist etwas, was ich ganz einfach nicht verstehe, weil ich nicht wirklich begreife, wie Menschen nicht sehen können, wie schlimm solche radikalen Ansichten und die daraus folgenden Taten sind. Ich hoffe einfach, dass nach der Wahl eine Regierung gebildet wird, mit der eine gute Zukunft möglich ist, auch wenn ich selber nicht genau weiß, wie so eine Regierung aussehen soll, außer dass die AfD definitiv nicht Teil davon sein sollte.“
Ein anderer stellt Widersprüche im Parlament in den Vordergrund: „Deutschland mag zwar als „sicheres Land“ gelten, aber angesichts der Politik und der jüngsten Ereignisse, mag ich dies bezweifeln. Wenn sich Mitglieder des Bundestags so sehr widersprechen (insbesondere Merz bezüglich der Koalition mit der AfD) frage ich mich persönlich, wie wir jemanden wählen sollen, bei dem wir nicht wissen, was er nun eigentlich will.“
Ein Weiterer erhofft sich eine gute Zusammenarbeit: „Ich hoffe, dass wir mal eine Koalition bekommen, die in eine klare Richtung geht. Das hat mir bei der Ampelregierung gefehlt. Es waren Parteien, die an sich nicht wirklich zusammenpassten, wodurch keiner wirklich etwas durchsetzen konnte und die Regierungsparteien wie drei Hunde an einer Leine in verschiedene Richtungen zogen.“