„Viele denken, linker Aktivismus sei immer ernst und frustriert“

„Geht alle wählen!“, dröhnt es aus den Boxen der bunt geschmückten Wagen. „Wählt klimafreundlich, wählt demokratisch, wählt antifaschistisch“, vervollständigt sich der Ausruf. Die Sonne strahlt, der Bass vibriert, Menschen tanzen: Ein Ort an dem die Stimmung elektrisiert, das ist die Tolerade.

Sie wird organisiert vom Bündnis Tolerave e.V., welches Kulturschaffende Dresdens vereint und das Ziel hat, Toleranz in der Clubkultur zu fördern und sich Ignoranz entgegenzusetzen. Ein Tag vor den Landtagswahlen ziehen sie als Tanzparade durch Dresden. Politikorange hat sich mit Organisator Lennart Happe am Ende der Demo getroffen.

politikorange: Techno ist dafür bekannt politisch zu sein. Was hat diese Musikszene mit Politik zu tun?

Lennart: Techno entstand in einer Schwarzen Community in den USA. Es war von Anfang an ein Freiraumgedanke da, um sich der Mainstream-Gesellschaft und ihren Repressionen, besonders gegenüber marginalisierten Gruppen, zu entziehen. Auch bei uns sind viele politische Menschen, die in der Feierszene gelandet sind, und die dieses politische Bewusstsein nicht hinter sich lassen wollen.

politikorange: Und wie kam es zur Tolerade?

Lennart: Als 2014 die Pegida in Dresden aufkam, war schnell klar: Das lassen wir nicht stehen. Was können wir am besten? Partys! Also nutzen wir die Kapazitäten der Szene – große Anlagen, Veranstaltungsskills – und setzen ein starkes Zeichen gegen die rechte Scheiße von Pegida.

politikorange: Was unterscheidet die Tolerade von anderen politischen Demonstrationen?

Lennart: Der größte Unterschied ist, dass die Leute hier eine Menge Spaß haben. Wir laden den Raum politisch auf, durch starke Dekorationen und Strukturen. Einmal im Jahr schließen wir uns zusammen und machen ein geiles Event, bei dem viele Leute den Tag genießen können. Trotzdem bleibt es ein linker Raum, wo Rassismus nicht geduldet wird und Antifaschismus Konsens ist.

politikorange: Warum ist das wichtig?

Lennart: Viele denken, linker Aktivismus sei immer ernst und frustriert, weil alles so schlecht läuft. Und keine Frage, es läuft einiges verkehrt. Aber wir haben einen Modus gefunden, in dem viele korrekte Leute mitmachen und am Ende des Tages das Gefühl haben: Das war ein geiler Tag. Nicht wie die tausendste Nazi-Gegendemo, bei der man irgendwie versucht, zu blockieren, und es dann doch nicht klappt. Was natürlich überhaupt nicht heißen soll, dass diese Aktionsformen schlecht oder weniger wertvoll wären.

Feiernde Menschen vor den Wagen. Foto: Jasper Kortmann
politikorange: In den letzten Jahren fand die Tolerade ausschließlich im Monat Mai statt, dieses Jahr aber im August, einen Tag vor der Landtagswahl. Ist das ein Zufall?

Lennart: Nein, das ist kein Zufall. Wir haben uns gedacht, dass die Landtagswahlen wahrscheinlich nicht gut laufen werden, und es war wichtig, vorher noch mal zusammenzukommen. Wir haben viel Mühe investiert, ein großes Netzwerk zu schaffen und uns, bevor es ab September vielleicht noch schlimmer wird, zusammenzubringen. Wir gehen nirgendwo hin und wir halten uns auch weiter den Rücken frei, wenn es anfängt ernst zu werden.

politikorange: Die Route geht durch verschiedene Teile Dresdens, nicht ausschließlich durch die Neustadt, die dafür bekannt ist „das Szenenviertel der Linken“ zu sein. Warum?

Lennart: Das Geilste ist eigentlich immer, wenn man die ganzen Touris sieht, die durch die Altstadt schlendern, und auf einmal kommen wir um die Ecke und alle denken: „Was zum Teufel geht hier ab?“ Genau das ist der Punkt: Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen und zu zeigen, dass in Dresden auch noch etwas anderes passiert. Wir wollen deutlich machen, dass es nicht nur Fascho-Nasen hier gibt und dass es auch nicht immer deren Provokation braucht, damit wir uns auf die Straße trauen, um für unsere Werte einzustehen. Auch am Landtag zogen wir dieses Jahr symbolisch vorbei.

Es geht weiter nach der Kundgabe am Goldenen Reiter. Foto: Vivien Sehn
politikorange: Die Musikszene trägt ja auch zu einem Gemeinschaftsgefühl und Solidarität bei. Erfahrt ihr Anfeindungen, etwa von der rechtsextremen Szene?

Lennart: Natürlich ist es schwierig, aber wir fliegen bei den Rechten etwas unter dem Radar. Es gibt andere Feindbilder, die für sie schlimmer sind, wie etwa CSDs und Queer-Demos, die wirklich angegriffen werden. Bei uns sind die Angriffe eher im erträglichen Maße und hauptsächlich auf Social Media.

politikorange: Also habt ihr euch weniger Sorgen vor Gegendemos und eurer Sicherheit gemacht?

Lennart: Ursprünglich war eine Pegida-Demo geplant, die aber abgesagt wurde. Wir hatten schon Sorge, dass es zu Problemen kommen könnte, weil es von dort aus nicht weit bis auf unsere Route gewesen wäre und es dann zu einem Sammelpunkt gekommen wäre. Letztlich war es aber ruhig. Die Polizei hat auch einen ordentlichen Job gemacht, unsere Zusammenarbeit ist immer ziemlich gut und unsere Bedenken haben sie ernst genommen.

Die Sonne ist untergegangen, es wird kühler, die Musik geht aus. Ein langer Tag voller Energie, Begegnungen und Statements endet, doch die Botschaft hallt nach.

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