Ist der progressive Wandel der Show wirklich glaubwürdig? Welche Beweggründe stecken hier dahinter? Unser Redakteur Jona blickt hinter die Fassade der augenscheinlich so vorbildlichen Kultsendung.
„Mir war es immer schon wichtig, so unterschiedliche Mädchen wie möglich die Chance zu geben, Germany’s next Topmodel‘ zu werden“, sagte Heidi Klum im Jahr 2021. Gut, Germany’s Next Topmodel vor zehn Jahren war wohl für einiges bekannt – Diversity gehörte nicht dazu. Im Vordergrund standen damals wie heute persönliche Geschichten, Konflikte zwischen Teilnehmer*innen und ja irgendwo auch das Modeln an sich. Moralische Überzeugungen mussten sich hierbei der Quote unterordnen. So wurde beispielsweise eine Teilnehmerin in der 8. Staffel (2013) öffentlich bloßgestellt, nur weil sie zwei Kilo zunahm. Ähnlich respektlos war die Aussage eines Jurors aus der gleichen Staffel: „Wenn du mir sagst, dass du zwei, drei Kilo zugenommen hast, dann kannst du dir nicht, wenn wir Mittag essen, die Pommes reinpfeifen mit kräftig Mayo und Ketchup. Ich hab wirklich gedacht, ich fall‘ vom Stuhl.“ Ob also Heidi schon immer Diversity bei ihren Teilnehmer*innen gesucht hat, könnte man zumindest anzweifeln.
Im krassen Gegensatz dazu steht die aktuelle Staffel. Diversity wird so großgeschrieben, dass jetzt sogar Männer von Heidi objektifiziert werden dürfen. Natürlich sollte erwähnt werden, dass dieser Wandel im Allgemeinen komplett zu begrüßen ist. Unsere Gesellschafft ist divers – das sollte sich das auch in solchen Reality-TV Formaten widerspiegeln. Eine Fernsehsendung, die Kindern und Jugendlichen einredet, Mayo würde ihren Körper und somit ihren Selbstwert zerstören hat und hatte noch nie eine Berechtigung. Warum diese progressiven Werte nun plötzlich auch bei Heidi angekommen sind, sollte man sich trotzdem noch einmal etwas genauer anschauen.
Nur die Quote zählt
Auch wenn GNTM unbestreitbar einen Kultstatus besitzt, sank die Quote nach 2011 kontinuierlich – irgendwann hält sich die Empathie beim 12. Umstyling eben in Grenzen. Um schlussendlich die Quote doch noch zu retten, reagierte die Show auf die Kritik und gab sich einen neuen Anstrich. Ganz selbstlos gibt Heidi Menschen (fast) jeden Alters sowie Körpertyps, ungeachtet ihrer Herkunft, die Chance, in die Modewelt – oder zumindest in die Reality-TV-Welt – einzutreten. Die neuen progressiven Werte zahlen sich aus, weshalb der Auftakt zur aktuellen Staffel mit 23,3 Prozent Marktanteil den besten Start seit 15 Jahren markierte. Auch Dr. Laura Sūna, Medienwissenschaftlerin an der Uni Siegen, verwies im Gespräch mit der politikorange-Redaktion auf die Strategie von Produktionsfirmen die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Themas Diversity erkannt zu haben und deshalb dieses Thema in den Sendungen aufzugreifen. Diversity ist somit eher der Marketingspruch einer profitorientierten Produktion, als der progressive Wert als der er gerne dargestellt wird.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Ramon Wagner, der für seine humorvollen Reaktionen zu Reality-Formaten in den sozialen Medien bekannt ist. Vor allem durch sein Branchenwissen kann man ihn gut und gerne auch als Experten in der Reality-TV Bubble bezeichnen. „Man passt sich halt dem aktuellen Zeitgeist an, wenn man so ein Format so lange am Leben erhalten will“, antwortete er auf die Frage, wie sich GNTM über die Jahre verändert hat. Als Grund für diesen Wandel sieht er ein rein wirtschaftliches Interesse, wie bei allen anderen Shows. „Wenn heute Curvy angesagt ist, machen alle Curvy. Wenn morgen Size Zero angesagt ist, machen alle Size Zero. Man passt sich halt dem Zeitgeist an und natürlich steht da das Geld im Mittelpunkt.“
Wir bestimmen, was ausgestrahlt wird
Dass das finanzielle Interesse bei diesem Wandel an oberster Stelle ist, steht wohl außer Frage. Aber wie ist das einzuordnen? Natürlich sind die Sender in unserem System profitorientiert, daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Moral meist hinter dem Geld einordnen muss. Dementsprechend wird von einem Sender ausgestrahlt, was von den Zusehenden erwartet wird. Darin liegt aber auch eine riesige Chance! Wir als Zusehende können mit unserer persönlichen Entscheidung ein Format anzuschauen oder es zu ignorieren beeinflussen, was produziert wird. GNTM hat sich ja auch größtenteils durch die Kritik von außen und die damit verbundenen fallenden Quoten gewandelt. Somit sollten wir akzeptieren, dass sich bestehende Formate wohl kaum aus innerer Überzeugung wandeln werden – wir jedoch alle durch unseren persönlichen Konsum die Wahl haben, wie das Reality-TV von morgen aussieht.