Deutschland stürzt im Ranking der Pressefreiheit weiter ab. Politikorange hat sich in Leipzig auf die Suche nach den Gründen dafür begeben. Besonders Fragen nach Repressionen gegen Journalist*innen haben uns beschäftigt: Wie können sich Journalist*innen vor Angriffen auf Demonstrationen schützen? Wer berät bei Unterlassungsklagen? Und welchen Zusammenhang gibt es zwischen der prekären ökonomischen Situation von Journalist*innen und der schwindenden Pressefreiheit?
Diktaturen, Morddrohungen, Haftstrafen, Überwachung – oft sind das die ersten Assoziationen, die in den Sinn kommen, wenn von eingeschränkter Pressefreiheit die Rede ist. An Deutschland wird dagegen wohl kaum gedacht. Immerhin ist die Freiheit der Presse hierzulande ein in Artikel 5 des Grundgesetzes geschütztes Gut. Eine in der Demokratie garantierte Voraussetzung, die nötig ist, damit Bürger*innen sich frei informieren und eine eigene Meinung bilden können. So weit, so gut also? Mitnichten.
Auch in Deutschland grenzen vor allem Hassrede, tätliche Angriffe und Einschüchterungsklagen die freie Berichterstattung immer weiter ein. Um Licht ins Dunkel dieser besorgniserregenden Entwicklung zu bringen, sprach die Projektredaktion in Leipzig mit Expert*innen aus dem Medienrecht und zivilgesellschaftlichen Organisationen, einer sächsischen Politikerin sowie mit von Repressionen betroffenen Journalist*innen.
Den Anfang machte ein Besuch im Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF). Mit Geschäftsführer Lutz Kinkel sprachen wir über die Studie „Feindbild Journalist“ und darüber, wie Medienhäuser ihre Angestellten vor Repressionen schützen können. Außerdem lernten wir die verschiedenen Hilfsprogramme kennen, mit denen die Non-Profit-Organisation Journalist*innen im Exil Schutz bietet. Anja Pasquay, Pressesprecherin des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), berichtete dabei über das Pilotprojekt von Netzwerk Recherche „Helpline“, bei dem Journalist*innen sich gegenseitig in psychischen Ausnahmesituationen unterstützen.
Lotte Laloire von Reporter ohne Grenzen lieferte Einblicke, wie ihr jährliches Ranking entsteht und Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, gab in einem Workshop Schritt für Schritt Anleitungen, was in Bedrohungssituationen zu tun sei. Beide erzählten dabei von der Zunahme der sogenannten „Strategic Lawsuits against Public Participation “ kurz SLAPPs, also präventiven Anwaltsstrategien um Berichterstattung im Keim zu ersticken. Dass Redaktionen sich von Klagen wie diesen nicht einschüchtern lassen sollten, erläuterte Gostomzyk zusätzlich anhand seiner Studie „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“. Tags darauf sprach unsere Redaktion mit den Lokaljournalist*innen Kili Weber und Bastian Raabe, die von Angriffen auf ihre Berichterstattung über Rechtsextremismus auf „Querdenken“- und „Friedens“-Demos in und um Leipzig erzählten.
Entstanden sind Interviews, Porträts und Features – fünf Artikel, die Bedrohungen der Pressefreiheit aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Jacqueline Scholtes zieht in ihrem Feature Bilanz, wie Journalist*innen bei der Berichterstattung über Lützerath eingeschränkt wurden. Clara Baldus hat mit Claudia Maicher über ihre Arbeit als Vorsitzende des Medienausschusses im Sächsischen Landtag gesprochen. Einen Blick über den europäischen Tellerrand wagt Rebekka Schäfer mit einem Porträt über Azad, der vor sechs Monaten Land und Familie verlassen musste, um weiter kritisch über die Regierung in seiner Heimat Bangladesch berichten zu können. Hannah Sturm blickt in ihrem Interview mit Lotte Laloire hinter die Kulissen bei Reporter ohne Grenzen. Und wie Pressearbeit sich seit Beginn der „Querdenken“-Proteste verändert hat, beleuchtet Lisa Schmachtenberger in einem Feature über Journalismus in Ostdeutschland.
Viel Spaß beim Lesen, einen umfassenden Einblick in die Thematik und viele Anstöße für eine freiere Berichterstattung im nächsten Jahr wünscht die politikorange-Chefredaktion zum Tag der Pressefreiheit.