Wie wird Wohnen wieder bezahlbar? In Berlin ist das eine der drängendsten Fragen zur Wahl. Lotte Ziegler berichtet über Lösungsansätze für die deutsche Wohnungsnot – von Bürokratieabbau bis Enteignung.
Deutschland braucht mehr Wohnraum. Rund 670.000 Wohnungen fehlen zurzeit, in der letzten Legislaturperiode sind hunderttausende Wohnungen weniger entstanden als im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Vor allem an Sozialwohnungen mangelt es. Diese ernüchternde Bilanz zog im Februar das Bündnis „Soziales Wohnen“, zu dem unter anderem der Deutsche Mieterbund und die IG Bau gehören.
Mietendeckel – Der Berliner Sonderweg?
In Berlin ist die Wohnungsnot besonders groß, seit Jahren wollen vor allem viele junge Leute in die Hauptstadt ziehen – mehr, als es Wohnungen gibt. Dadurch haben sich die Mietpreise im letzten Jahrzehnt fast verdoppelt. Der rot-rot-grüne Senat versuchte deshalb schon im Februar 2020, den angespannten Mietmarkt in der Hauptstadt selbst zu zügeln. Mit der Einführung des sogenannten Mietendeckels wurden die Mieten für etwa 1,5 Millionen Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. So wurden die Mietkosten bei rund jeder*m dritten Mieter*in um etwa 150 bis 200 Euro pro Monat abgesenkt. Doch ein gutes Jahr später erklärte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für nichtig: Die Mieten zu begrenzen, sei nicht Aufgabe der Länder, sondern des Bundes – so die Karlsruher Richter*innen.
Tausende Mieter*innen mussten daraufhin die Differenzen nachzahlen, die durch den Deckel eingespart worden waren. Schätzungen zufolge wären zwischen 300.000 und 500.000 Wohnungen von der Rückabwicklung betroffen gewesen, einige Unternehmen verzichteten jedoch freiwillig auf Nachzahlungen. Berliner Grüne, Linke und SPD bedauerten das Urteil und forderten, jetzt bundesweite Regelungen einzuführen. Die Fraktionen der FDP und CDU/CSU, von denen die Klage initiiert worden war, zeigten sich indes erleichtert über die Entscheidung des Gerichts. Sie sprachen von einer „guten Nachricht”, auch für Berliner Mieter*innen: Der Mietendeckel habe nur für Unsicherheit auf den Wohnungsmärkten gesorgt und Investitionen ausgebremst.
Union und FDP: Bauen, bauen, bauen
Maßnahmen wie der Mietendeckel oder die Mietpreisbremse seien ohnehin „rechtlich fragwürdig und ungeeignet”, heißt es auch im Bundestagswahlprogramm der Union. Laut der FDP sorgten solche Eingriffe sogar „letztlich für weniger Wohnraum”, weil Investitionen weniger attraktiv würden. CDU/CSU und FDP setzen in der Wohnpolitik klar auf Neubau, der unter anderem durch bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und beschleunigte Genehmigungsverfahren gefördert werden soll. Die Union will so bis 2025 über 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen lassen. In der FDP will man mehr Bauland ausweisen und den Dachausbau vereinfachen. Einkommensschwachen Mieter*innen will die FDP den Zugang zum „freien Wohnungsmarkt” mithilfe des Wohngeldes erleichtern. Dieses will die Union in Zukunft regelmäßig anpassen und zudem den sozialen Wohnungsbau fördern – mit wie vielen Wohnungen, ist jedoch unklar.
Mit diesen Maßnahmen zeigen Union und FDP eine klare Kante hin zum rot-grünen Lager. Wie stark die Parteienlandschaft beim Thema Wohnen gespalten ist, zeigt sich besonders klar im Berliner Abgeordnetenhaus, wo aktuell SPD, Grüne und Linke regieren. Zu deren Mietenpolitik der letzten Jahre sagte Christian Gräff, baupolitischer Sprecher der CDU, im August dem Tagesspiegel: „Mit der Mietendeckel-Täuschung und Enteignungsfantastereien” habe der Senat „alles dafür getan, den Neubau zu behindern, die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen ist in diesem Jahr um 28 Prozent gesunken.”
„Die Mietenpolitik radikal verändern”
Solche von Gräff verpönten „Enteignungsfantastereien” fordern tatsächlich hunderttausende Berliner*innen, die das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen” unterschrieben haben: Über 240.000 Wohnungen sollen aus dem Besitz von großen Immobilienkonzernen vergesellschaftet werden, basierend auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dieser besagt, dass Grund und Boden „zum Zwecke der Vergesellschaftung” in Gemeineigentum überführt werden können, solange ein Gesetz die entsprechende Entschädigung regelt. Ob Enteignungen nach diesem Prinzip tatsächlich rechtmäßig sind, ist allerdings noch umstritten.
Die Initiative möchte sich alle Konzerne vorknöpfen, die über 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen – derzeit sind das zwölf Unternehmen mit zusammen rund 240.000 Wohnungen. Ein großer Teil davon gehörte lange dem Land Berlin, bis der Senat in den 90er und 00er Jahren hunderttausende Wohnungen aus Geldnot verkaufte. „Wir wollen uns diese Wohnungen jetzt zurückholen”, sagt Patricia Machmutoff. Die 24-jährige arbeitet im Kampagnenbüro der Initiative und hat auf den Straßen Berlins viele hundert Unterschriften für das Volksbegehren gesammelt.
Wenn die Wohnungen wieder in die öffentliche Hand kämen, könnten diese gemeinwirtschaftlich verwaltet werden. Das würde nicht nur die Mieten in den Wohnungen der großen Konzerne senken, sondern über den Mietspiegel auch Auswirkungen auf den restlichen Wohnungsmarkt haben – so Machmutoff. „Das könnte die Mietenpolitik in ganz Deutschland radikal verändern.” Im Juni wurden für das Volksbegehren die geforderten 180.000 Unterschriften eingereicht, sodass es jetzt zum Volksentscheid kommt. Parallel zur Wahl des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses stimmen die Berliner*innen am 26. September nun auch über den Volksentscheid „DW & Co. Enteignen” ab.
Grüne und SPD: Neue Wohngemeinnützigkeit
Die Berliner Grünen-Fraktion jedenfalls unterstützt die Enteignungs-Initiative öffentlich. Auf Bundesebene sucht man im Wahlprogramm allerdings vergeblich nach Vergesellschaftung. Stattdessen soll ein ganzes Bündel an Maßnahmen bundesweit die Mietpreise regulieren – unter anderem durch Mietobergrenzen und eine entfristete und verschärfte Mietpreisbremse. Diese gilt derzeit in knapp 300 deutschen Städten und soll dafür sorgen, dass die Miete nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Dabei gelten allerdings Ausnahmen bei Modernisierungen oder für möblierte Wohnungen. Solche Schlupflöcher möchten die Grünen stopfen, ähnlich wie die SPD im Bund. Zusätzlich wollen die Sozialdemokrat*innen mindestens 300.000 Wohnungen und 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr bauen. Die Grünen wollen bis 2031 eine Million neue Sozialwohnungen schaffen. Beide Parteien wollen eine neue Wohngemeinnützigkeit, also ein Förderprogramm für Sozialwohnungen, einführen.
Die AfD konzentriert sich indes auf den „Traum vom Eigenheim”, wobei sie für Ausländer*innen deutlich höhere Steuern fordert als für Deutsche. Zudem will die AfD die Energieeinsparverordnung vollständig streichen, mit der aktuell die Energieeffizienz von Gebäuden geregelt wird, und Standards im Brand-, Wärme- und Schallschutz absenken. Den sozialen Wohnungsbau hält die AfD für gescheitert. In der Linkspartei hingegen will man 15 Millionen Euro jährlich in Sozialwohnungen investieren. Sie fordert einen bundesweiten Mietendeckel und die Absenkung besonders hoher Mieten. Zusätzlich will die Linke die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen weitgehend verbieten und eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft aufbauen. Die Linke ist Teil der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen” und will ein Vergesellschaftungsgesetz einführen.
Alle Parteien sind sich also einig: Es muss mehr gebaut werden, mit Ausnahme der AfD wollen auch alle den sozialen Wohnungsbau fördern. Und doch sind die Differenzen riesig: Bundesweiter Mietendeckel, stärkere Mietpreisbremse, Vergesellschaftung? Oder doch weniger Steuern und Bürokratie beim Häuserbau?
In Berlin wird sich am 26. September gleich dreifach zeigen, was auf Mieter*innen in den nächsten Jahren zukommt: Ob der Druck aus der Berliner Bevölkerung groß genug ist, um den Senat einen Entwurf für die Vergesellschaftung von Wohnungen vorlegen zu lassen, wie es der Volksentscheid vorsieht. Ob das neu gewählte Abgeordnetenhaus aus Parteien besteht, die solche Vorschläge auch umsetzen würden. Und natürlich, ob die Regierungskoalition im Bundestag in den nächsten vier Jahren Mieten gesetzlich regulieren wird oder nicht. Und diese Entscheidung wird nicht nur die Hauptstadt betreffen, sondern Mietpreise in ganz Deutschland.
Im Detail: Das steht in den Wahlprogrammen der Parteien
Die CDU und CSU wollen den Neubau fördern, unter anderem durch bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und beschleunigte Genehmigungsverfahren. So sollen bis 2025 über 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Maßnahmen wie der Mietpreisdeckel lehnt die Unionspartei ab, sie seien „rechtlich fragwürdig und ungeeignet”. Für geringverdienende Mieter*innen will die Union das Wohngeld anpassen sowie den sozialen Wohnungsbau fördern – mit wie vielen Wohnungen, ist jedoch unklar.
Die SPD will mindestens 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Außerdem könnte es mit der SPD wieder eine Art Mietendeckel geben: In angespannten Lagen soll ein zeitlich befristeter Mietenstopp eingeführt werden. Die bundesweite Mietpreisbremse will die SPD nachschärfen und entfristen. Außerdem wollen die Sozialdemokraten eine neue Wohngemeinnützigkeit, also ein Förderprogramm für Sozialwohnungen, einführen. Die Gemeinnützigkeit der Wohnungswirtschaft war in Deutschland vor 30 Jahren abgeschafft worden.
Auch im Wahlprogramm der Grünen ist die neue Wohngemeinnützigkeit zentral – bis 2031 soll sie für eine Million neue Mietwohnungen mit dauerhafter Sozialbindung sorgen. Zusätzlich wollen die Grünen das Recht auf Wohnen im Grundgesetz verankern und den Verlust von Wohnungen in Krisenzeiten verhindern. Mit einem Bündel an Maßnahmen sollen bundesweit die Mietpreise reguliert werden, unter anderem durch Mietobergrenzen für Bestandswohnungen sowie eine Entfristung und Verschärfung der Mietpreisbremse.
Anders sieht es bei der FDP aus: Laut Wahlprogramm sorgten Eingriffe wie Mietpreisbremse und Mietendeckel „letztlich für weniger Wohnraum”. Ähnlich wie die CDU/CSU setzen die Freien Demokraten vor allem auf Neubau, wollen Genehmigungsverfahren beschleunigen und Steuererleichterungen erhöhen und entbürokratisieren. Zudem soll neues Bauland mobilisiert werden, etwa durch eine engere Kooperation von Bund und Ländern. Zahlungsschwache Wohnungssuchende sollen mithilfe des Wohngeldes unterstützt werden.
Die AfD konzentriert sich auf den „Traum vom Eigenheim” für Einheimische, wobei Ausländer deutlich mehr Grunderwerbssteuern zahlen sollen. Zudem will sie die Energiesparverordnung vollständig streichen, mit der aktuell die Energieeffizienz von Gebäuden geregelt wird, Standards im Brand-, Wärme- und Schallschutz deutlich absenken. Den sozialen Wohnungsbau hält die AfD für gescheitert, das Wohngeld möchte sie erhöhen.
Die Linke hingegen will 15 Millionen Euro jährlich in Sozialwohnungen investieren. Sie fordert einen bundesweiten Mietendeckel und zusätzlich eine Absenkung besonders hoher Mieten. Außerdem will die Linkspartei die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen weitgehend verbieten und eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft aufbauen, mit der Wohnungen in öffentliches Eigentum umgewandelt werden sollen. Die Partei ist Teil der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen” und spricht sich für ein „Recht auf Mietstreik“ aus.