Der uralte Hass brodelt wieder

Die „Querdenken“-Bewegung hat uralte, antisemitische Verschwörungsmythen wieder salonfähig gemacht. Politikorange-Redakteurin Anna Rumpf hat mit Jüd*innen darüber gesprochen. Sie sind besorgt, aber nicht überrascht.

Das Porträt zeigt die Präsidentin der "Jüdischen Studierendenunion Deutschland", Anna Staroselski, die gerade in die Kamera blickt.
Anna Staroselki nutzt ihre junge, jüdische und selbstbewusste Stimme in Deutschland / Foto: Rina Gechtina

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verkündete am 21. Februar 2021 feierlich den Beginn des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Die Auftaktveranstaltung war der Anfang einer Reihe von geplanten Festen und Veranstaltungen, die sich rund um die jüdische Gemeinschaft in Deutschland drehen sollen. Die Präsidentin der Jüdischen Studierenden Union Deutschland (JSUD) Anna Staroselski nimmt das zum Anlass, die Karten auf den Tisch zu legen: „Es darf keine weiteren 1700 Jahre dauern, bis jüdische Menschen sich sicher fühlen, in Freiheit ihre jüdische Identität auszuleben.“ Sie betont, dass Antisemitismus kein Problem der Vergangenheit sei. Im Gegenteil: Seit einigen Jahren beobachten Jüd*innen besorgt eine Radikalisierung antisemitischer Vorfälle in Deutschland. Gleichzeitig entfernt sich der Traum von Freiheit immer weiter.

Staroselski wuchs in einer gläubigen jüdischen Familie in Stuttgart auf. Sie engagierte sich bereits im Alter von 14 Jahren politisch. Heute lebt sie in Berlin und ist seit 2018 in der JSUD aktiv. Dort setzt sie sich unter anderem für ein positives Narrativ des jüdischen Lebens und Empowerment von Frauen ein. Obwohl die junge Jüdin mit ihren blonden Haaren und blauen Augen kein klassisches Ziel antisemitischer Angriffe ist, erzählt sie: „Wenn man sich als jüdisch zu erkennen gibt, muss man mit Gegenwind rechnen.“ Dieser Gegenwind bläst meist online in Form von Hassnachrichten und obskuren Vorwürfen.

Das schwarz weiße Porträt zeigt Juna Grossmann, welche in die Kamera lächelt.
Juna Grossmann bietet in ihrem Blog eine neue Perspektive auf jüdisches Leben / Foto: Ralf Steeg

Juna Grossmann beschreibt ähnliche Erfahrungen. Die Berlinerin ist Mitte 40, seit drei Jahren bloggt sie über ihr Leben als Jüdin. Dabei fokussiert sie sich auf ihre alltäglichen Erlebnisse und persönlichen Gedanken. Sie ist so häufig Hassnachrichten ausgesetzt, dass diese ihr fast schon „normal“ erscheinen. Wie Staroselski nimmt auch sie die Radikalisierung der letzten Jahre als besorgniserregend wahr. Der Auslöser der verschärften Situation ist für sie ohne jeden Zweifel die AfD. Die Partei würde „den Hass grundsätzlich immer mehr salonfähig machen“, so Grossmann. „Leute sagen mittlerweile Dinge, die man nicht mal denken sollte.“ Im letzten Jahr verschärfte die Pandemie diese Entwicklung. Philipp Hecht, Ansprechpartner des Projekts „Rote Karte gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus” des Vereins Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, beschreibt die Wirkung der Pandemie als „Brandbeschleuniger für Antisemitismus“.

Wo kommt der Hass auf einmal wieder her?

Antisemitismus ist jedoch bei weitem nichts Neues. Bereits im Mittelalter hat man jüdische Menschen für die Pest verantwortlich gemacht und ihnen unterstellt, sie hätten sich gegen den Rest der Bevölkerung verschworen. Lisa Geffken, Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung, beschäftigt sich mit Verschwörungsideologien und erklärt den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Verschwörungserzählungen: „Die Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung ist die Basisverschwörung, die die allermeisten Verschwörungserzählungen auch heute noch prägt.“ Ob Mythen um den jüdischen Milliardär George Soros oder Q-Anon: Die Begriffe hätten sich geändert, die Muster seien seit Jahrhunderten dieselben.

Laut Geffken seien Menschen gerade in Krisenzeiten anfälliger für einfache Erklärungsmuster. Die sogenannte Querdenken Bewegung – ein Zusammenschluss von frustrierten Bürger*innen, Impfgegner*innen, Verschwörungsideolog*innen und Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum – bietet den Menschen seit Beginn des Jahres 2020 genau diese simplen Erklärungen häufig in Form antisemitisch geprägter Narrative rund um die Corona-Pandemie. Sigmount Königsberg, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, erklärt: „Zuvor unauffällige Menschen könnten sich durch gegenseitige Bestätigung schnell radikalisieren und greifen immer mehr antisemitische Bilder auf.“ 

Es ist jedoch auch wichtig, zu differenzieren. Nicht alle, die an einer Querdenken-Demo teilnehmen, sind überzeugte Antisemit*innen. Das Problem sei jedoch, so Geffken, dass man antisemitische Stereotype auch unbewusst reproduziere. Entscheidend sei das „objektive Vorhandensein antisemitischer Einstellungen“, erläutert sie. Das bedeutet: Egal ob unverblümt oder unterbewusst, wenn man Verschwörungserzählungen verbreitet, verbreitet man gleichzeitig antisemitische Denkmuster. 

Jüd*innen zeigen sich besorgt gegenüber „Querdenken“

Spätestens seit den großen Demonstrationen im August 2020 hat „Querdenken“ die gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit auf sich gezogen. JSUD-Präsidentin Staroselski und Bloggerin Grossmann beschreiben die Bilder der Demos als erschreckend. Neben antisemitischen Parolen und Verschwörungsideologien sieht man auch regelmäßig Davidsterne mit den Worten „ungeimpft“ in der Menge aufblitzen. Sie vergleichen damit die Markierung als Jüd*in durch den Davidstern mit der angeblichen „Markierung“ durch das Tragen einer Maske. Die Gleichsetzung mit Widerstandskämpferin Sophie Scholl oder Holocaust-Opfer Anne Frank sind ebenfalls häufig in der Szene zu sehen. „Das geht einem sehr, sehr nah“, beschreibt Staroselski. „So eine Verfälschung der Geschichte ist als jüdische Person unerträglich zu sehen.“

Für Grossmann ist es allerdings keine Überraschung, dass Jüd*innen von „Querdenker*innen“ als Sündenböcke für die Krise benutzt werden. Die letzten Jahrhunderte ließen dies erwarten. „Querdenken“ bringt allerdings auch eine neue Dimension in den Antisemitismus. Anstatt hinter verschlossenen Türen tragen Querdenker*innen Antisemitismus auf die Straße und machen ihn in der Öffentlichkeit wieder salonfähig, erläutert Staroselski. „Das macht natürlich etwas mit dem Sicherheitsgefühl von jüdischen Menschen hier zu Lande“, so Staroselski. Antisemitismusbeauftragter Königsberg benutzt ein aussagekräftiges Bild, um die Veränderung der Stimmung in Deutschland zu beschreiben: „1945 saßen jüdische Familien bildlich auf gepackten Koffern, in den 80er und 90er Jahren hat man diese Koffer ausgepackt und verstaut. Man war angekommen. In den letzten Jahren schauen immer mehr Menschen wieder: Wo sind die Koffer? Man holt sie noch nicht raus, aber man überlegt es schon.“

Ein Plakat mit der Aufschrift: "Verschwörungsideologien können tödlich sein #hanau #halle" ist in der Mitte des Bildes zu sehen. Am linken Rand der Pappe sowie am unteren Ende sind Hände zu sehen, die das Plakat halten. Diese sind in schwarze Handschuhe eingepackt.
Wird es wieder Zeit, die Koffer zu packen? / Foto: David Reineke

Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem

„Es ist einfacher sich der Illusion hinzugeben, dass man Antisemitismus abgeschlossen hat und das Problem in der Vergangenheit zu verorten“, stellt Philipp Hecht vom Verein Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit fest. Doch eine Studie des World Jewish Congress (WJC) beweist das Gegenteil: Bei über 20 Prozent der Deutschen gehört Antisemitismus zum Gedankengut und ist folglich nicht nur ein Problem der rechtsradikalen Szene. Die Querdenken-Bewegung macht Antisemitismus sogar zu einer politischen Bewegung und bietet den Nährboden für antisemitische Gewalt. Daher sei sie eine Gefahr für die Demokratie, wie Geffken betont.

Jüd*innen geben nicht einfach auf

Neben zunehmender Angst und Sorge wächst aber auch der Kampfgeist von Jüd*innen gegen Antisemitismus. Die JSUD strahlt diesen als selbstbewusste, jüdische, junge Stimme aus. Deren Präsidentin Staroselski denkt nicht ans Aufgeben. Doch sie macht deutlich: „Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem und Jüdinnen und Juden können nicht die Einzigen sein, die gegen Antisemitismus kämpfen. Stattdessen muss dies ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag sein gerade in Deutschland.“ 

Ein Banner mit der Aufschrift: "Gegen jeden Antisemitismus! Hamburger Bündnis gegen Rechts" ist in der Mitte des Fotos platziert. In der linken Bildhälfte ist eine Hand zu erkennen, welche den Banner hält. Vor dem Banner auf dem Boden liegt eine rot schwarze Sporttasche sowie ein rotes Handtuch. Im Hintergrund sind rote Lichter zu erkennen und zwei eingefaltete Sonnenschirme.
Der Kampf gegen Antisemitismus muss gemeinsam angegangen werden / Foto: David Reineke

Staroselski betont, dass insbesondere im Netz Widerstand geleistet werden müsse und Verschwörungserzählungen nicht unkommentiert bleiben dürften. Eine bessere Sensibilisierung für Antisemitismus in der Bevölkerung sei dringend nötig. Besonders im Bereich der Sicherheitsbehörden und der Ausbildung von Lehrkräften und Beamten gebe es viel Nachholbedarf, so Staroselski. 

Mehr als nur Antisemitismus

Doch neben derartigen Reformen nennt die Präsidentin der JSUD noch ein weiteres wichtiges Anliegen: „Wir junge Juden wollen nicht nur mit der Schoah oder dem israel-palästinensischen Konflikt in Verbindung gebracht werden, sondern möchten eben auch das Positive hervorheben und zeigen, wie schön es ist, jüdisch zu sein.“ Das Bild, das in den Medien von Jüd*innen produziert werde, stütze sich zu häufig auf Stereotype und die Vergangenheit. Es gebe nicht die eine Jüdin oder den einen Juden sondern eine Vielzahl von jüdischen Identitäten. Grossmann empfiehlt den Kurzfilm „Masel Tov Cocktail“. Der preisgekrönte Film stellt mit viel Witz dar, was es eigentlich bedeutet, in Deutschland jüdisch zu sein.

Das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ bietet Gelegenheit, sich darüber bewusst zu werden und den Kampf gegen Antisemitismus noch einmal zu verstärken. Königsberg betont, es hänge von der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ab, wie sich der Einfluss der Querdenken-Bewegung entwickelt. Kurz: Ob Antisemitismus für weitere 1700 Jahre salonfähig bleibt – oder ob Jüd*innen sich sicher fühlen und ihre Identität frei ausleben können.

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