Die Mehrheit der Jugendlichen fühlt sich von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt. Damit sich das ändert, muss es mehr Partizipationsmöglichkeiten geben, kommentiert Anne Wolff.
66 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 17 Jahren sagen, dass Politiker*innen ihre Wünsche und Anliegen bisher nicht ausreichend berücksichtigt haben. Das geht aus dem Kinderreport 2022 des Deutschen Kinderhilfswerks hervor. Und das, obwohl wir durchaus Lust haben, uns zu beteiligen: Der Wunsch nach politischer Partizipation wächst, wie die Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2019 zeigt. Während im Jahr 2002 nur 30 Prozent der Jugendlichen politisch interessiert waren, sagten im Jahr 2019 bereits 41 Prozent, dass sie beteiligt werden wollen.
Jugendliche unter 18 Jahren machen aktuell etwa ein Sechstel der deutschen Bevölkerung aus. Dass so viele von uns sich nicht beachtet fühlen, hängt damit zusammen, dass die meisten Erwachsenen nicht mit, sondern über uns und unsere angeblichen Probleme reden. Dabei sind wir die Politiker*innen von morgen und haben noch am längsten Zeit, die Zukunft zu gestalten. Wenn Erwachsene wollen, dass Jugendliche Vertrauen in die Politik haben, müssen sie uns mehr Möglichkeiten bieten, uns zu beteiligen.
Das sollte bereits im Kindesalter beginnen: Die Wahl eines Klassensprechers oder einer Klassensprecherin ist essentiell wichtig, um ein Verständnis von Demokratie und Verantwortung zu bekommen. Die Wahl des Mandats ist aber nur in vier Bundesländern ab der ersten Klasse verpflichtend; in allen anderen Bundesländern muss erst ab der dritten, vierten oder manchmal sogar erst ab der fünften Klasse gewählt werden.
Zudem wird Jugendlichen unter 18 Jahren in allen deutschen Bundesländern verwehrt, ein politisches Mandat im Kreis-, Stadt- oder Gemeinderat auszuüben. Das vermittelt den Eindruck, dass ein Sechstel der Meinungen unserer Gesellschaft egal ist. Warum sollen wir überhaupt unsere Meinung äußern, wenn sowieso andere Menschen über unser Leben bestimmen?
Ein besonders gutes Beispiel für fehlende Partizipationsmöglichkeiten und Bevormundung unserer Generation ist die Corona-Pandemie. Während wir allein in unseren vier Wänden saßen und uns gefragt haben, wann der Wahnsinn endlich ein Ende findet, haben “alte weiße Männer“ irgendwo im Land über unser Leben und unsere Einsamkeit entschieden. Niemand hat uns gefragt, was wir uns wünschen oder ob wir einen Vorschlag haben, wie unser Leben gerade gestaltet werden könnte. Auch unsere Lehrer*innen schwafelten nur über den schrecklichen Verlust unserer Jugend. Sie bemitleideten uns, aber fragten uns nicht nach Lösungen. Niemand wird jemals erfahren, ob ich vielleicht die ausschlaggebende Idee für eine Corona-geschützte Unterrichtsform gehabt hätte.
Die Beteiligung von jungen Menschen ist keine Frage finanzieller Mittel, sondern eine des politischen Willens. Es ist eine Ausrede, zu behaupten, dass wir erst die neuesten Laptops besitzen oder einen monatlichen Beitrag bezahlen müssen, um uns politisch zu beteiligen. Politiker*innen müssen ermöglichen, dass es auch ohne geht.
In jeder Schule sollte es eine Schüler*innenvertretung geben, die effektiv arbeitet und sich für die Anliegen, Wünsche und Sorgen der Schüler*innen einsetzt. Zudem sollte es regelmäßigen Austausch zwischen uns Schüler*innen und den Abgeordneten geben. Politiker*innen sollten uns fragen, was uns beschäftigt, was wir verändern wollen und wie sie uns dabei am besten unterstützen können. Diese Kooperation wäre eine einfache Form der Jugendpartizipation und sollte verpflichtend werden. Denn in meiner Heimat gibt es kein Jugendparlament oder Jugendbeirat. Die Abgeordneten meines Wahlkreises sind meine einzige Chance, etwas zu verändern.
Falls Jugendliche künftig nicht besser an der Politik beteiligt werden, bleiben ihre Probleme weiter liegen und werden nur von Generation zu Generation weitergegeben, während “alte weiße Männer” regieren. Denn es liegt nicht an uns Jugendlichen, dass sich die deutsche Politik nicht weiterentwickelt und es nicht mehr Partizipationsmöglichkeiten gibt, sondern an denen, die an der Macht sind. Die Einbindung von Jugendlichen muss ausgebaut werden, damit meine Generation zukünftig wieder mehr Vertrauen in die Politik hat.
Transparenzhinweis: Anne ist Schülersprecherin an ihrer Schule.
Disclaimer: Der Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin wider und nicht die der Projektpartner*innen des Jugendmedienworkshops im Deutschen Bundestag 2023 (Jugendpresse e.V., Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Bundestag).