„Alle Menschen machen im Laufe ihres Lebens früher oder später die Erfahrung, wie wichtig eine gute Gesundheitsversorgung ist“. So steht es in einer Infobroschüre zum deutschen Gesundheitssystem, die auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zu finden ist. Kein Wunder also, das das Thema auch die junge Generation beschäftigt. In der AG „Krankes Gesundheitssystem“ haben einige Teilnehmer*innen der JPT23 Probleme des Systems diagnostiziert und gemeinsam nach Lösungen gesucht.
„Leistungsstark, sicher, bewährt“ soll die gesundheitliche Versorgung in Deutschland laut der Ministeriumsbroschüre sein. Dagegen sprechen 307.000 Pflegekräfte, die nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bis 2035 fehlen werden. Zudem können sich nur 30% der Ärzt*innen und Pflegekräfte vorstellen, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben. Doch Pflegenotstand und Fachkräftemangel sind bei weitem nicht das einzige Problem. Viele der gesetzlichen Krankenkassen sind verschuldet, wie AG-Leiter Ben Grell erzählt. Er schließt gerade sein Staatsexamen zum Pflegefachmann ab und berichtet, dass eine zehn bis zwölf Tageswoche in diesem Berufszweig der Standard sei. Arbeitsbedingungen, Versorgungsmangel, Lieferengpässe oder Gender Health Gap – die Liste an weiteren Problemen, die von Teilnehmer*innen während des Einstiegsgesprächs aufgezählt werden, ist lang. Und das, obwohl die Pflege nach wie vor der Größte Berufszweig in Deutschland ist.
Symptome und Diagnose
Wie all diese Probleme sich auf die Realität von Patient*innen auswirken können, veranschaulicht Ben an eindrücklichen Beispielen aus dem Krankenhaus, in dem er selbst arbeitet. So kann beispielsweise ein aufgrund von Personalmangel vergessenes EKG dazu führen, dass ein Herzinfarkt nicht mehr rechtzeitig erkannt wird. Und dann wären da noch die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatient*innen. Viele der AG-Mitglieder haben selbst schon Erfahrungen mit dieser Ungleichbehandlung machen müssen.
„Das Hauptproblem ist, dass der Profit über den Menschen steht.“
AG-Leiter Ben Grell
Die Probleme, da ist sich die AG einig, bleiben trotzdem und müssen verbessert werden. Die Ursachen? Vielfältig. Zu hohe Anforderungen an den Nachwuchs, geringe Bezahlung von Pflegekräften, oder nach Profit strebende Krankenhäuser. Auch, dass politische Entscheider*innen oft wenige reale Berührungspunkte mit dem Gesundheitssystem haben, sei ein Problem: „Eigentlich müsste jeder, der in der Politik Entscheidungen trifft, mal auf Station gewesen sein“, findet Ben.
Und nun? Welche Lösungen gibt es also?
Diese Fragen wurden am zweiten AG-Tag gemeinsam von der Gruppe diskutiert. Dies ist sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn um Bedürfnisse darzustellen und Probleme zu verbessern braucht es Patientenbeteiligung. „Das gilt natürlich auch für Kinder und Jugendliche“ findet Dr. med. Theda Wessel vom BMG, die seit Januar das Referat für Kinder- und Jugendmedizin leitet. In ihrem Vortrag stellen sie und ihre Kollegin Judith Scherr, fünf Handlungsfelder der Kinder-und Jugendmedizin vor, für die eine interministerielle Arbeitsgruppe (zusammen mit dem BMFSJ) einen Plan erarbeitet hat. So sollen zum Beispiel ab dem Schuljahr 2023/24 Mental Health Coaches an den Schulen bereitstehen und lange Wartezeiten im ländlichen Raum reduziert werden. Auch ein Lieferengpass-Gesetzesentwurf, der bereits vom Kabinett verabschiedet wurde, soll nun umgesetzt werden.
„Die Entmonetarisierung des Gesundheitssystems“
… antwortet ein Teilnehmer auf die Frage, was er tun würde, wenn er eine Sache am Gesundheitssystem sofort verändern könnte. Auch „bessere Arbeitsbedingungen und Löhne für das Personal“ und „weniger Zentralisierung von großen Krankenhauskomplexen“ wünschen sich Teilnehmer*innen im Gespräch mit der politikorange-Redaktion. Zu sieben Bereichen wurden in der letzten AG-Phase konkrete Lösungsvorschläge gesucht – und gefunden. Um die Versorgungssicherheit in der Kinder- und Jugendmedizin sicherzustellen, sollen europäische Firmen gefördert und die gesundheitliche Bildungsarbeit in Schulen ausgeweitet werden. Außerdem schlagen die Teilnehmer*innen vor, das Erste-Hilfe-Angebot zu verbessern. Das könnte z.B. durch einen Erste-Hilfe-Ausweis passieren, der ähnlich wie ein Blutspende-Ausweis funktionieren würde. Um die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatient*innen abzuschaffen, könnten Terminvergaben anonymisiert und verhältnismäßig verteilt werden. Im Bezug auf genderspezifische Forschung wünscht sich die Jugend vor allem mehr Geld und ein breiteres Forschungsspektrum, bei dem alle Menschen berücksichtigt werden sollen. Und dann wäre da zuletzt noch die mangelnde Attraktivität von medizinischen Berufen. Bessere Bezahlung, fixe und planbare Arbeitszeiten, die durch eine unabhängige Kommission kontrolliert werden, sowie verpflichtende Sozialpraktika an Schulen sollen hier zu einer Lösung des Problems beitragen.
Die zentrale Forderung an die Politik, die bei allen diesen Vorschlägen anklingt, wird von einer Teilnehmerin in zwei Worten zusammengefasst: mehr Gerechtigkeit.
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Toller Beitrag!