Die ukrainische Flagge ist überall zu sehen. Doch warum wird sie aufgehängt und welche Bedeutung hat sie für die Ukrainer*innen?
Die Fahne: symbolisch und persönlich
Seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 ist die ukrainische Flagge weltbekannt. Überall strahlt es gelb-blau als Zeichen der Solidarität. Für ukrainische Geflüchtete eine berührende Geste. Viele sind begeistert, bei ihrer Flucht nach Deutschland von ukrainischen Farben begrüßt zu werden.
Die Flagge gebe ihnen ein Gefühl für Sicherheit, sie verbinden gute Zeiten mit ihr. Denn auch wenn sie nur aus zwei Farben besteht, hat die Fahne eine tiefe, symbolische Bedeutung für Ukrainer*innen. Nicht nur, weil die beiden Farben eine typische ukrainische Aussicht darstellen, blauer Himmel und ein goldenes Getreidefeld. Die Flagge ist ein Symbol der Freiheit.“
Die Flagge erinnert mich immer an meine Kindheit bei meiner Oma auf dem Dorf. Sie weckt in mir warme Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit meinen Freund*innen, an die Momenten der absoluten Freiheit, als ich die Sonnenblumen sammelte und entlang der endlosen Kornfelder lief,“ erzählt Djamilia, eine Besucherin im Café Ukraine.
Auch Inna gibt die Flagge Kraft und Hoffnung auf eine freie Zukunft ihrer Heimat. Sie ist sehr dankbar für die Solidarität und all die Unterstützung, die sie bekommt.
Julia erzählt, wie sich ihre Wahrnehmung der Flagge verändert habe. Früher sei sie etwas Selbstverständliches für sie gewesen. Nun habe die 72-Jährige selbst eine kleine Fahne auf der Fensterbank stehen. Sie ist stolz auf die Tapferkeit ihres Volkes.
War die Flagge immer selbstverständlich?
Der Ursprung der ukrainischen Flagge liegt weit in der Vergangenheit. Schon die Kosaken aus Zaporozhye verwendeten im 16. Jahrhundert Fahnen in blau-gelben Tönen. Die Flagge, wie man sie heute kennt, wurde dann zwei Jahrhunderte später erstmals dokumentiert als sie am 25. Juni 1848 am Rathaus in Lwiw aufgehängt wurde. Seitdem wurde sie immer beliebter innerhalb der ukrainischen Bevölkerung. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde sie zur Nationalflagge der ukrainischen Volksrepublik.
Doch wenig später sollte sich das ändern, als die Bolschewiki die Macht übernahmen und die ukrainische Sprache und Kultur stark unterdrückt wurden. Dies wirkte sich ebenfalls auf die nationalen Symbole aus: Die Flagge wurde rot. Blau und gelb wurden verboten. Sogar in Landschaftsbildern, erinnert sich Julia.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 erlangte die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Dennoch war die zarische und sowjetische Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten. Zwar gab es in den folgenden zwei Jahrzehnten keine gravierenden Auseinandersetzungen, dennoch war der Einfluss der russischen Welt spürbar. In den Jahren verstärkte sich die ukrainische Identität, trotz dessen oder genau deswegen.
Blau und Gelb im Kampf um die Freiheit
Mit der Unabhängigkeit der Ukraine kommen auch die typischen Farben wieder zurück. Im selben Jahr noch, wurde die blau-gelbe Fahne als offizielle Landesflagge vom ukrainischen Parlament, die Werchowna Rada, eingeführt. Julia wird dieses Ereignis nie vergessen: Zum ersten Mal wurde bei ihr ein starkes Nationalgefühl geweckt.
Die Bedeutung der nationalen Flagge steigt, während der Maidan Revolution 2013 bis 2014 (auch „Revolution der Würde“ genannt), bei der die Protestierenden einen Rücktritt der Regierung sowie eine Demokratisierung des Landes forderten. Sogar die brutale Gewalt während der Proteste, konnte die Ukrainer*innen nicht dazu zwingen, ihre Sehnsucht nach Freiheit und eigene Identität aufzugeben. Djamilia wollte unbedingt vor Ort sein, um für die Freiheit zu kämpfen.
Die Stimmung ist auch nach mehr als 400 Tagen Krieg nicht anders: Die Fahne steht buchstäblich für die Freiheit, indem sie auf die zurückeroberten Gebiete von den ukrainischen Soldaten aufgesetzt wird. Man kann nur hoffen, dass die ganze Ukraine bald wieder in gelben und blauen Tönen leuchtet.