Die letzten Tage vor der Landtagswahl bedeuten für die Parteien Kampf um jede Stimme. Das Ergebnis ist dieses Jahr absehbar, dennoch gibt sich niemand ohne Kampf geschlagen. Redakteurin Antonia Tönnies durfte die letzten 48 Stunden der SPD exklusiv begleiten.
„Moin, wir sind von der SPD. Eine Rose für Sie?“
Mit Postkarten und Wahlprogramm-Heftchen gewappnet steht er vor dem Eingang. Thomas Losse-Müller, Spitzenkandidat der SPD in Schleswig-Holstein, hat es fast geschafft. Es ist bereits der vierte Supermarkt an diesem Samstag. Und auch, wenn schon jetzt vom schlechtesten Ergebnis der SPD in Schleswig-Holstein die Rede ist, lässt er sich keineswegs aus der Ruhe bringen.
Ohrenbetäubender Wahlkampf
Zwei Tage vor der Landtagswahl kam Olaf Scholz für eine Kundgebung nach Kiel. Nach Polizeischätzungen hatten sich an diesem Freitag über 1.200 Menschen auf dem Rathausplatz versammelt. Es war vermutlich eine der lautesten Veranstaltungen in diesem Wahlkampf. Neben der Bühne hatten sich etwa 50 Demonstrierende postiert, um sich ihren Frust aus der Seele zu schreien. Von Antikriegs-Demonstrant*innen, über Querdenker*innen bis hin zu Rechtsradikalen war alles vertreten. Umhüllt vom esoterischen Duft eines Räucherstäbchens, bewaffnet mit Tröten, Topfdeckeln und Megafonen, verschafften sie ihrem Ärger Gehör und den Journalist*innen im angrenzenden Pressebereich quasi einen Hörsturz. Gäste wie Lars Klingbeil, Serpil Midyatli oder Özlem Ünzal hatten Mühe, dagegen anzuschreien.
„Frieden schaffen ohne Waffen(…), das kann in dieser Situation keine Antwort sein!“, betont der Bundeskanzler in seiner Rede. „Lügner! Heuchler! Kriegstreiber!“, johlten seine Kritiker*innen. Immer wieder versuchten sie, die Redner*innen zu übertönen. Die SPD-Mitglieder ließen sich jedoch nicht beirren und zogen ihre Ansprachen durch.
Diese Wahlkundgebung wird Thomas Losse-Müller noch länger in Erinnerung bleiben. Auch einen Tag vor der Wahl erzählt er davon, wie er sich von der Bühne aus einen Überblick über die Anwesenden verschafft hat und er die SPD „in der Mitte der Gesellschaft“ wiederfand.
An diesem Samstag sind sie unter den ersten auf dem Eckernförder Marktplatz. Mit roten Rosen in der einen Hand und Flyern in der anderen. Der 49-jährige Sozialdemokrat wirkt in kurzen Momenten der Ruhe erschöpft und ist es auch. Es ist Endspurt und die letzten Energiereserven werden zusammengekratzt. Viele Wähler*innen haben bereits ihr Kreuzchen gemacht – das merkt die Wahlkampftruppe auch auf den Straßen. Einige haben kein Interesse, andere wissen bereits, wen sie am Wahltag wählen: „Wie immer“.
Mit Daniel Günther, einem der beliebtesten Ministerpräsidenten Deutschlands, steht Losse-Müller ein harter Kontrahent gegenüber in einer Wahl, die von Pandemie und Krieg geprägt ist. Es geht weniger um die Ziele der jeweiligen Parteien für Schleswig-Holstein, sondern um Persönlichkeiten und das Gefühl von Sicherheit. So ist laut einer Analyse der Tagesschau, die sich auf Ergebnisse von Infratest dimap stützt, Ministerpräsident Daniel Günther für mehr als die Hälfte der Unionswähler*innen der entscheidende Grund gewesen, das Kreuz bei der CDU zu setzen. Beide Kandidaten betonten im Wahlkampf das faire Miteinander. Trotzdem war es kein Kampf auf Augenhöhe. Daniel Günthers Kandidatenfaktor als Ministerpräsident spielt zweifelsohne eine entscheidende Rolle.
Auch heute trafen die beiden Politiker aufeinander, diesmal vor einem Supermarkt in Gettorf. Sie begrüßen sich wie alte Bekannte und lächeln gemeinsam für Fotograf*innen in die Kameras. Die Atmosphäre ist locker, beinah familiär – dörflich halt. Fragen wie: „Warum sollte ich genau Sie wählen?“, sind selten, denn hier weiß man, was die Nachbar*innen wählen.
Rund um die SPD-Stände werden Lutschbonbons und Kirschgummibärchen verteilt. Ein „Naschi“ findet über eine Kinderhand sogar seinen Weg zum Spitzenkandidaten der CDU. Ohne etwas zu sagen, hält das kleine Mädchen Daniel Günther den roten Bonbon entgegen. Er muss grinsen und nimmt das Geschenk dankend an. Den Spruch „jetzt weiß er, was er wählen soll“ lässt sich die SPD nicht entgehen.
Weg vom „Weiter so!“
Zurück ins Wahlkampfauto: An den Türen des E-Autos klebt Losse-Müller in Großaufnahme. Darunter der Spruch „Am 8. Mai SPD wählen!“. Der Spitzenkandidat nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und seufzt erschöpft. Für einen weiteren Kaffee ist es zu spät. Stattdessen soll es ein Feierabendbier am Eckernförder Strand werden. Gemeinsam mit SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wird mit Füßen im Sand auf die harte Arbeit der letzten Monate angestoßen: „Klopft euch mal auf die Schulter, küsst euch mal auf die Schulter“. Es herrscht Feierabend-, fast schon Urlaubsstimmung, „cooler kann es nicht sein“, meint Losse-Müller. Die Fraktionsmitglieder sind mit sich zufrieden, auch wenn sie ahnen, was ihnen bevorsteht.
Im Laufe des Wochenendes wird deutlich, wie stolz die Fraktion auf ihre Entwicklung ist. „Die Themen wurden gesetzt und sind super“. Eine Grunddevise: Weg vom „Weiter so!“ der CDU. Doch das positive Resümee zum Wahlkampf kann das historisch schlechte Ergebnis der SPD nicht kaschieren. „Seid nicht enttäuscht“, versucht Gesine Stück, Vorsitzende der Kieler SPD, präventiv die Gäste in der Räucherei aufzumuntern. Dass das Ergebnis nicht gut ausfallen wird, ist jedem im Raum bewusst, doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Schließlich ist es so weit. Die erste Prognose sieht die Sozialdemokrat*innen bei 15,5 Prozent. Es ist das bisher schlechteste Ergebnis der SPD in Schleswig-Holstein. Knapp 10 Prozent liegt es unter dem bisherigen Tiefstwert von 2009. Auf der Wahlparty in Kiel versucht man sich nichts anmerken zu lassen, aber die Enttäuschung ist nicht zu übersehen.
Räucherei ist geknickt. Mit so einem schlechten Ergebnis hatte wohl niemand
gerechnet. Foto: Antonia Tönnies
Es war ein „ungewöhnlicher Wahlkampf“, der für die SPD an diesem Sonntag mit einem „bitteren Ergebnis“ von letztlich 16 Prozent sein Ende findet. Doch für Thomas Losse-Müller steht fest, er hat sein Bestes gegeben. Und ob Juso, Kreis-Vorsitzende, Generalsekretär oder Bundeskanzler: Die SPD steht hinter ihrem Kandidaten.