Laschet, Baerbock, Scholz – die Spitzenkandidat*innen haben in diesem Wahlkampf die politischen Inhalte verdrängt. Anna Rumpf sieht den stark personalisierten Wahlkampf kritisch. Ein Kommentar.
Mutti hört auf. Das freiwillige Politik-Aus von Angela Merkel führte in diesem Wahlkampf gleich mehrfach zu einer historisch erstmaligen Situation: Noch nie traten gleich drei Kanzlerkandidat*innen an. Noch nie ging davon keine*r mit Amtsbonus ins Rennen. Und noch nie war der Wahlausgang im Vorfeld so offen. Doch schnell wurde klar: Das wird kein Kampf der Inhalte, sondern ein Talentwettbewerb der Charaktereigenschaften und Selbstpräsentation mit Aussichten auf einen Personality-Award. Das Problem: Am Ende des Tages haben wir ein sympathisches, fotogenes und medienwirksames Regierungsoberhaupt, aber keine konkrete Vorstellung, für welche Inhalte dieser politische Star überhaupt steht.
Inhalte entscheiden über die Zukunft
Deutschland hätte dieses Jahr so viel Inhalt wie möglich gebraucht. Schließlich geht es um entscheidende Zukunftsfragen. Die Worte Klimaschutz, Rente und europäische Außenpolitik fielen zwar häufig, doch letztendlich standen die Sympathiepunkte, Fehler und taktischen Fähigkeiten der drei Spitzenkandidat*innen im Fokus. „Politik entwickelt sich mehr und mehr zu einem taktischen Spiel, bei dem es eher darum geht, Vorteile an der Wahlurne und Umfragen zu erzielen, anstatt tatsächliche Probleme zu lösen“, erklärt der Politikwissenschaftler Rüdiger Schmitt-Beck im Gespräch mit politikorange.
Wir sind mittlerweile über jedes kleinste Detail von Annalena Baerbocks Lebenslauf, Armin Laschets Humor und Olaf Scholz‘ möglicher Verantwortung im Wirecard-Skandal aufgeklärt. Wir wissen allerdings nicht, wie die Grünen als selbsternannte Klimaschutz-Partei das 1,5 Grad Ziel erreichen möchten, ausreichende Vorschläge dazu fehlen. Es ist weiterhin ein Rätsel, wie die CDU ihre geplanten Investitionen in Forschung, Bildung und Klimaschutz überhaupt finanzieren möchte. Wir wissen nicht einmal, ob die SPD lieber mit den Linken oder der FDP koalieren würde, obwohl die beiden Parteien inhaltlich kaum weiter auseinander liegen könnten. Weniger Inhalt war selten.
Persönlichkeit statt Perspektive
Problemorientiert kann man diesen Wahlkampf nicht nennen. Auf der Straße lächeln übergroße die Spitzenkandidat*innen von Plakaten herunter, die mit inhaltsleeren Floskeln bedruckt sind. Gut, dass Partei und Kandidat so groß sind, sonst wüsste man nicht, wer mit welchem Spruch wirbt. Phrasen wie „Gemeinsam für ein modernes Deutschland“ und „Respekt für Dich“ sind ja nett gemeint, bei der rationalen Wahlentscheidung helfen sie aber nicht weiter.
Das gleiche gilt für die medial aufgebauschten Trielle. Für die Minderheit, die tatsächlich etwas von EEG-Umlagen, den wirtschaftlichen Auswirkungen eines Mindestlohns und den Schwierigkeiten des Glasfaserausbaus versteht, mögen die Debatten bei der Wahlentscheidung geholfen haben. Doch der Großteil, der eine verständliche, richtungsweisende Diskussion erwartet hatte, wurde hauptsächlich von Olaf Scholz mit Hinweisen auf seine vielen politischen Erfolge oder von Laschet mit Warnungen über Baerbocks mangelnde Erfahrung überschüttet. Nach dem ersten Triell wurden die Zuschauer*innen nach Sympathie, Kompetenz, Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit der Kandidat*innen befragt. Die konkrete inhaltliche Position wurde in der Folge einfach unter Persönlichkeitsfragen und trivialen Details begraben. Wie sollen Wähler*innen auf dieser Basis eine inhaltlich fundierte Entscheidung treffen?
Stereotype, here we go again
Mit den drei Spitzenkandidat*innen im Fokus der Aufmerksamkeit wurde überdeutlich: Auch 16 Jahre Kanzlerin haben nichts an der Tatsache geändert, dass Männer bei politischen Machtspielchen einen Vorsprung haben. Scholz (63) und Laschet (60) bedienen das alteingesessene Politiker-Image einwandfrei. Baerbock (40) hingegen sah sich im Internet gefälschten Nacktbildern und sexistischen Hassnachrichten ausgesetzt. Hätte man sich mehr auf relevante Inhalte fokussiert, wäre Sexismus kaum ein Thema gewesen. Die Klimakrise oder die Rente lassen sich nun mal schwierig sexualisieren.
Dieser Wahlkampf wäre auch die Chance gewesen, junge Themen und Stimmen in der Politik groß rauszubringen. Dieses Jahr trat eine historisch große Anzahl von Mitgliedern der Jugendorganisationen der Parteien für die Bundestagswahl an. Doch im Schatten der drei Mediensternchen hatten Kühnert, Kuban, Rosenthal und Co. kaum eine Chance, ihre Themen ins Scheinwerferlicht zu rücken.
Heckmeck ohne Zukunft
Viele vergessen scheinbar, dass es sich bei Demokratie eben nicht um ein Wettrennen von Personen handelt, bei dem am Ende ein Pokal für Sympathie oder die beste Floskel wartet. Es geht um nicht weniger als die Gestaltung der Zukunft unseres Landes, kurz: Wir brauchen zukunftsfähige politische Inhalte der Parteien. Genau darauf hätte sich der Wahlkampf fokussieren sollen.