Landrutsch: Hier verliert die CDU an Boden

Der Volksparteien-Status der Union bröckelt. Sichtbar wird das nicht nur an einem bundesweit historisch schlechten Ergebnis, sondern auf der Wahlkreiskarte. Julius Kölzer erklärt die Hintergründe.

Deutschlands 299 Wahlkreise waren noch nie so bunt. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Deutschland hat gewählt. Die Verschiebungen der Kräfteverhältnisse und die Veränderung des Parteiensystems drücken sich auch in der politischen Landkarte aus. Relevant sind hierbei vor allem die massiven Stimmenverluste der CDU: Sowohl bei Erst- und Zweitstimmen verliert die Partei jeweils 3,6 Millionen Stimmen. Von den bisher 185 Direktmandaten der CDU bleiben nach dem gestrigen Wahlabend gerade einmal 98 Wahlkreise übrig. Die Verluste der CDU auf der Wahlkreiskarte sind jedoch nicht nur reines Zahlenspiel, sondern Ausdruck einer zentralen politischen Veränderung: Der Volksparteienstatus der CDU ist noch nie so deutlich gebröckelt. Die Christdemokrat*innen verlieren dabei in verschiedene politische Richtungen in unterschiedlichen Regionen und müssen zudem selbst um ihre traditionellen Wählendenmileus kämpfen. In Bezug auf die Direktmandate stechen drei Trends hervor.

Stadtflucht

Was sich bereits bei der Europawahl 2019 abzeichnete, ist gestern Abend noch viel deutlicher geworden: Der Schwund der CDU in den Großstädten ist allgegenwärtig. Westdeutsche Ballungsräume gewinnen SPD und Grüne reihenweise von der CDU: Freiburg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln, Heidelberg, Osnabrück, Münster, Flensburg, Düsseldorf, Mannheim, München Süd, Hamburg-Nord, Erfurt, Halle, Chemnitz, sowie die Berliner Wahlkreise Tempelhof-Schöneberg, Charlottenburg-Wilmersdorf. Auch der Heimatwahlkreis von Armin Laschet, in Aachen, geht an die Grünen.

Ob Köln, Stuttgart oder Freiburg: die CDU verliert viele ihrer Großstadtmandate an SPD und Grüne. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Die CDU ist vor allem noch im ländlichen Raum mit geringer Bevölkerungsdichte vergleichsweise stark. Für eine Partei, der es zunehmend nicht gelingt, Menschen im urbanen Raum anzusprechen und für sich zu gewinnen, wird es zunehmend schwierig, für sich den Status einer integrationsfähigen Volkspartei zu reklamieren. Was für die CDU spätestens seit dem Wahlabend ein offensichtliches Problem ist, betrifft die CSU in Bayern bislang nicht: Von allen 46 bayrischen Direktmandaten, gewinnt die CSU 45. Lediglich den Wahlkreis München-Süd verliert sie an die Grünen. Grund für die anhaltende Dominanz der CSU auch im städtischen Bayern ist jedoch vor allem, dass sich Kandidierende der SPD und Grünen in vielen Wahlkreisen die Stimmen gegenseitig wegnehmen. CSU-Kandidierende werden so zu Wahlkreisgewinnern mit wenigen tausend Stimmen Abstand. Mit einem gemeinsamen Kandiderenden hätten SPD und Grüne etwa alle Wahlkreise in München, Nürnberg und Augsburg gewinnen können. 

Verluste im Osten trotz Kretschmer und Haseloff 

Die Wahlkarte in Deutschlands Osten ist blau. Die CDU schaffte es nicht, die AfD dort zurückzudrängen – trotz entsprechenden Hoffnungen nach den Wahlsiegen von Michael Kretschmer 2019 in Sachsen und Rainer Haseloff in Sachsen-Anhalt in diesem Jahr. Beispiel Sachsen: Von den 16 Direktmandaten gewinnt die CDU lediglich fünf und landet mit 17% der Zweitstimmen deutlich hinter der AfD (24%, zwölf Direktmandate). Gleiches gilt für Thüringen, wo die CDU fast alle Wahlkreise verliert und in der Zweitstimme deutlich hinter der AfD landet. Auch der Landesverband von Reiner Haselhoff in Sachsen-Anhalt schafft trotz des guten Ergebnisses bei der Landtagswahl im Juni nur Drei ihrer neun Wahlkreise zu verteidigen. 

Problemfall AfD Während die CDU Mandate an SPD und Grüne verliert, ist der Gegner im Osten die AfD. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern verliert die CDU kräftig, hier jedoch besonders an die Sozialdemokrat*innen. Die SPD profitiert von der Beliebtheit Manuela Schwesigs und gewinnt im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern alle Direktmandate von der CDU. Selbst lokale Politgrößen wie Philipp Amthor sind davon betroffen. Auch der ehemalige Wahlkreis von Angela Merkel geht an die SPD – trotz Unterstützung der Kanzlerin für ihren Nachfolger. Im ländlichen Brandenburg, aufgrund der regionalen Bedeutung der Landwirtschaft eigentlich CDU-Kernland, das gleiche Bild: Die CDU verliert alle Direktmandate an die SPD. 

Verluste in der ländlichen Kernwählendenschaft auch im Westen

Der Nordosten Deutschlands von der Lausitz bis zur Ostsee konnte die SPD alle Direktmandate gewinnen. Grafik: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

In den Städten im Westen und weite Teile Ostdeutschlands verliert die CDU also ihre (relative) Stärke. Doch es kommt noch Ärger. Auch der ländliche Raum in Westdeutschland ist keine sichere Basis mehr für die CDU. Diese Erfahrung musste auch Julia Klöckner machen, die ihren Wahlkreis in Rheinland-Pfalz an die SPD verlor. Auch andere ländliche Wahlkreise im katholischen Südwesten wie Südpfalz, Saarlouis, Homburg, St. Wedel gehen wieder an die SPD. Selbst niedersächsische Wahlkreise, in denen klassische CDU-Klientel der Landwirtschaft bedeutsam sind, im Umland von Hannover und Delmenhorst – Wesermarsch – Oldenburg-Land, verliert die CDU. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wechseln auch ländliche Regionen mit vielen Pendelnden, in den Großraum Hamburg wieder klar zur SPD.

Volksparteien schaffen es, sowohl die Interessen des ländlichen und städtischen Raums zu berücksichtigen und verschiedene Milieus trotz potenzieller Gegensätze zu integrieren. Angesichts der Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 muss die CDU sich fragen, ob sie das noch von sich behaupten kann. Ebenso ungeklärt ist die Frage, ob für die Union der Status einer Volkspartei überhaupt noch erstrebenswert beziehungsweise wieder erreichbar ist, wenn die soziale Fragmentierung weiter zu- und gesellschaftliche Konsensbildung abnimmt. Der Schwund klassischer Kernwähler*innenschaften und klassischer Wählendenmileus, stellt die CDU jedenfalls vor zentrale programmatische, strukturelle und personelle Herausforderungen.

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