Rhetorisch stark durch den Wahlkampf: Mit Spitzenkandidatin Sahra Mirow startete die Linkspartei in Baden-Württemberg erneut den Versuch, die 5-Prozent-Hürde hinter sich zu lassen und in den Landtag einzuziehen. Doch am Ende reicht es dafür wieder einmal nicht. Woran könnte es gelegen haben? Eine Analyse.
Interviews vor der Webcam sind für sie mittlerweile Routine. Sahra Mirow, Spitzenkandidatin der Linken im baden-württembergischen Landtagswahlkampf, sitzt am Wahltag vor der Kamera in ihrem Zimmer, das sie extra für die unzähligen Gespräche der vergangenen Wochen hergerichtet hat – Zimmerpalme und Bücherregal, daneben ein riesiges Roll-Up-Banner: „Solidarisch aus der Krise. Zusammen. Mit uns.“ Es ist das Motto, mit dem die Linkspartei vor einigen Wochen in den Wahlkampf gestartet ist. Vor zehn Jahren trat die Partei zum ersten Mal bei der Landtagswahl an, doch bislang hat es für den Einzug in den Landtag nicht gereicht.
Wahlkampf in Zeiten der Pandemie
Das möchte Sahra Mirow endlich ändern. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Michael Schlecht ist seit 2018 Landesvorsitzende ihrer Partei. Die letzten Wochen standen für die 37-Jährige ganz im Zeichen des Wahlkampfes, aufgrund der Pandemie: „Die Webcam war mein ständiger Begleiter die letzten 12 Wochen“.
Im Wahlprogramm fordert die Linke Mietendeckel, bessere Löhne für Pflegepersonal und einen sozialökologischen Umbau. „Links zu sein bedeutet, strukturelle Probleme auch strukturell angehen zu wollen“, so die Spitzenkandidatin. Doch die Forderungen scheinen bei den Wähler*innen auf wenig Resonanz zu stoßen. Direkt vor der Wahl sehen Umfragen die Partei bei gerade mal drei bis vier Prozent. Dennoch gibt sich Mirow optimistisch. Der Wahlkampf sei gut gelaufen und mit der Digitalkompetenz der vielen jungen Mitgliedern habe man insbesondere auf digitalen Medien von linken Ideen überzeugen können. Zudem gebe es dieses Jahr so viele unentschlossene Wähler*innen wie noch nie und gerade auf deren Vertrauen hoffe man, um die fehlenden Stimmen zu bekommen. „Neun bis zehn Prozent der Menschen können sich vorstellen, die Linke zu wählen. Das ist gar nicht so wenig für ein eigentlich eher konservatives Bundesland.“
Wenige Erfolge in westlichen Bundesländern
Erfolgreich ist die Linke bislang hauptsächlich im Osten der Republik. In Thüringen stellt sie sogar den Ministerpräsidenten. Im Westen sind die Erfolge dagegen überschaubar. Zwar ist die Partei in Bremen seit 2019 erstmals Teil einer Regierung in einem westdeutschen Bundesland, das bleibt bisher aber eine Ausnahme. In sechs von zehn westlichen Bundesländern verhindert die 5-Prozent-Hürde den Einzug in den Landtag.
Die Wahl in Baden-Württemberg ändert daran nichts. Sahra Mirow verfolgt die Ergebnisse der Wahl in Stuttgart. Zwar kann die Linke ihr Ergebnis von 2,9 Prozent auf 3,6 Prozent verbessern, aber für den Einzug in den Landtag reicht es wieder einmal nicht. Für Mirow eine herbe Niederlage. Erfolgreich ist die Partei ausschließlich in den urbanen und bevölkerungsreichen Bezirken.
In Baden-Württemberg der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt
Der Freiburger Wahlforscher Prof. Dr. Eith führt die vergleichsweise bescheidenen Ergebnisse in der Landespolitik auf Unterschiede öffentlicher Wahrnehmung zurück: „Den größten Effekt sehe ich darin, dass die Linke in der Landespolitik in Baden-Württemberg eigentlich kaum vorkommt und der breiteren Wählerschaft als Landespartei nicht bekannt ist.“ Dies sei bei der Bundestagswahl anders, denn „als Partei, die im Bundestag vertreten ist, hat sie dort eine größere Öffentlichkeit.“ Das schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl ist für ihn daher keine Überraschung. „Wer in der Öffentlichkeit nicht vorkommt, hat auch ziemlich wenig Chancen, ein gutes Ergebnis einzufahren.“
Auffällig ist für ihn vor allem die Verteilung der Wahlergebnisse: „Es sind die Universitätsstädte, die auch einen höheren Anteil an jungen Menschen haben und wenn man sich die Struktur der Wahlergebnisse anschaut, dann besteht eine große Ähnlichkeit zu den Wahlergebnissen der Grünen in den 1980er Jahren“. Dass die Linkspartei in Baden-Württemberg besonders schlecht abschneidet, führt er auf die historische Struktur sozialer Gefüge zurück. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern sei die Industrie stärker verteilt und reiche bis in die ländlichen Gebiete. Während die Bevölkerung des Ruhrgebiets zu Zeiten der Industrialisierung in vielen Fällen aus ihren sozialen Bezügen herausgerissen wurde und sich ein politisches Bewusstsein der Arbeiter*innen herausbildete, seien die Leute hier stärker in ihren ursprünglichen sozialen Zusammenhängen verblieben. Ähnlich wie die SPD habe es eine traditionelle Arbeiter*innenpartei wie DIE LINKE hier deshalb schwerer.
Mit neuen Schwung aus dem Parteitag?
Lange war sich die Partei uneins, in welche Richtung es in Zukunft gehen sollte. Mit dem Bundesparteitag wollte sie nun mit frischem Wind und einem ebenso frischen Führungsduo in das Superwahljahr starten.
Denn die Basis der Linkspartei hat sich in den letzten Jahren stark verändert: Die Mitglieder sind immer jünger und westlicher. Zudem gibt es viele neue Parteieintritte. Ein Trend, der sich auch im Landesverband Baden-Württemberg beobachten lässt: In den letzten drei Jahren stieg die Mitgliederanzahl um mehr als zehn Prozent. Schaut man sich jedoch die Wahlergebnisse innerhalb älterer Bevölkerungsgruppen an, verhärtet sich das Bild einer Partei, deren Ideen bei jungen Menschen gut ankommen, aber unter der konservativer geprägten älteren Bevölkerung in Baden-Württemberg kein Fuß fassen kann. Während die Grünen längst einen Imagewandel durchliefen und heute über alle Generationen hinweg Zuspruch finden, ist noch nicht klar, wie der Linkspartei dieser Wandel gelingen soll.
Was also hätte anders laufen müssen? Darauf hat Sahra Mirow am Tag nach der Wahl keine Antwort. Noch am Morgen hat sie an der Seite der frisch gewählten Bundesparteivorsitzenden Hennig-Wellsow auf der Bundespressekonferenz über das Ergebnis der Wahl gesprochen. Auch dort bleibt die Frage, woran es am Ende scheiterte, ohne befriedigende Antwort. Jetzt sitzt Mirow im Zug zurück in ihre Wahlheimat Heidelberg. Sie sei enttäuscht, dass es für den Einzug ins Parlament nicht gereicht hat. Für die anstehende Bundestagswahl sieht sie in dem Ergebnis jedoch ein positives Zeichen. Dort lief es bislang immer besser als bei der Landtagswahl.
Viel aufräumen muss sie bis dahin nicht: Das Roll-Up-Banner kann sie direkt in ihrem Arbeitszimmer stehen lassen. Denn bis zum nächsten Wahlkampf ist es nicht mehr lang.