Echsenmenschen, Illuminaten und geheime Eliten. Verschwörungsmythen haben Hochkonjunktur. Über den Umgang mit ihnen, Skepsis, Misstrauen und Zweifel. Ein Text von Nils Hipp.
Eine schwere Zeit für uns alle
Hohe Zahlen von Corona-Toten im Radio, im Fernsehen und in den Sozialen Medien. Alles was irgendwie Spaß macht, was uns menschlich macht, wird auf einmal gefährlich und unsolidarisch. Wir sind sozial isoliert, hilflos und vielleicht sogar verzweifelt. Manche müssen Angst um ihre Existenz haben, der Staat versucht finanziell gegen die Krise zu halten und muss einen Mittelweg zwischen dem menschlichen Verlangen nach Freiheit und dem Schutz der Gesellschaft finden. Es gibt berechtigte Kritik an der Art und Weise der Maßnahmen, den finanziellen Hilfen und den Strategien im Umgang mit der Krise, beispielsweise von den Initiativen „ZeroCovid“ oder „NoCovid“. Wieder andere, die sich nicht mitgenommen oder verstanden fühlen, gehen auf die Straße, vermischen Kritik mit Hass und demonstrieren gegen eine angebliche Weltverschwörung.
„Verschwörung: Geheime Absprache von einer Gruppe Menschen, ein bestimmtes Ziel im Bereich des Machterwerbs oder des Machterhalts mit bestimmten Mitteln erreichen zu wollen.
Verschwörungshypothese: Verschwörung als eine mögliche Ursache eines Sachverhalts, fragt auch nach anderen Ursachen.
Verschwörungsideologie: Ideen und Vorstellungen sind Ausdruck eines Weltbildes, keine einzelnen Erzählungen.
Verschwörungsmythos: Bezieht sich auf fiktive Gruppen als „Übeltäter“
Krisen und Verschwörungen
Warum hängen Krisen und Verschwörungserzählungen zusammen? Die Antwort ist simpel wie unbefriedigend: Wir sehnen uns nach einfachen Erklärungen, nach lösbaren Problemen und nach Feindbildern. Sie machen die Welt um uns herum greifbar, erklärbar und verständlich.
Es ist viel sexyer Corona als geheime Verschwörung, als politisches Mittel oder als aufgebauschte Grippe zu bezeichnen. Wenn das Virus ein politisches Problem ist, gibt es eine politische Lösung. Wenn es geheime Gruppen gibt, die das Weltgeschehen steuern, sind es Menschen mit einer geheimen Agenda, gegen die man vorgehen kann. Man fühlt sich also nicht so hilflos. Oder es handelt sich um fantastische übermächtige Wesen, die alles lenken, Medien und Wissenschaft manipulieren und das zugunsten eines absolut bösen Plans. Dann ist man vielleicht als Individuum hilflos, sieht sich aber in einer sehr narzisstischen und komfortablen Position. Im Gegensatz zu all den anderen „Schlaf-Schafen“ ist man wissend, man ist besonders. Und ist es nicht ein zutiefst menschliches Bedürfnis, sich im Angesicht eines so übermächtigen und unsichtbaren Problems, wie einer Pandemie, wichtig zu fühlen?
Querdenken-Demos Bericht 20.11.20 I.
Vermutlich hätte ich mich mit vielen auf der Querdenken-Demo am 20.11.2020 vor dem Gedenkort „Memorium Nürnberger Prozesse“ zivilisiert unterhalten können, wären die Fronten nicht so verhärtet gewesen. Jedoch war weder von mir noch von jenen, die auf der Querdenken-Seite standen, irgendeine Bereitschaft dazu erkennbar.
„Ihr Steinewerfer habt ja keine Argumente, gekauft seid ihr alle, ihr Linksfaschisten“, rief ein Mann mit überdimensionalem Holzschild, das die Aufschrift „Das GRUNDGESETZ ist TOT“ zierte, mir und meiner Demonstrationsbegleitung hinterher, als wir an ihm vorbeiliefen. Sicher, ich hätte ihm gerne einen Batzen RKI-Forschungsergebnisse hingeknallt und mit verschränkten Armen zugetextet, warum das, was er und seine Mitdemonstrierenden gerade tun, aus meiner Sicht zutiefst verwerflich ist: sich mit Rechtsextremen verbünden, eine Infektionsgefahr für die gesamte Gesellschaft darstellen und die Opfer der Shoah für ihre politischen Zwecke missbrauchen. Aber ich habe es nicht getan, ich habe an diesem Tag keine Diskussion mit selbsternannten Querdenker*innen geführt.
Reale Verschwörungen und ihre Konsequenzen
Die Geschichte tut nicht viel für jene, die im Allgemeinen gegen die Existenz von größeren Verschwörungen argumentieren. Egal ob Watergate, die NSA-Affäre oder fast alles, was im Kalten Krieg ablief. Die Geschichte hat gezeigt, dass Menschen in der Regel gut daran tun, Regierende und ihr Handeln zu hinterfragen, kritisch zu sehen und sich einzugestehen, auch die Motive des Handelns nicht immer im Detail zu kennen.
Hierbei ist jedoch die Art und Weise immer entscheidend: Zu suggerieren, es gäbe keine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Corona und den Maßnahmen der Regierung, ist falsch. Es gibt nur eben keinerlei Beweise oder auch nur Indizien dafür, dass dieser Virus nicht genauso real und gefährlich ist, wie die Politik es ihrem Handeln zugrunde legt. Pauschal von „der Wissenschaft“ oder „den Medien“ zu sprechen, zeichnet darüber hinaus ein homogenes Bild, das so nicht vorhanden ist. Eine differenzierte Auseinandersetzung findet statt und wird auch weiterhin stattfinden. Unsere Demokratie funktioniert, das Grundgesetz ist alles andere als tot. Es gibt viele Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht Maßnahmen aufgehoben oder aufgeweicht hat, nachdem Klagen eingegangen waren.
„Das Bundesverfassungsgericht entschied im April, dass eine Kundgebung in Stuttgart nicht pauschal von den Behörden verboten werden dürfe. Vielmehr sei genau zu prüfen, unter welchen Auflagen diese stattfinden könne.“ In der Folge wurde die Kundgebung unter strengen Hygienemaßnahmen zugelassen.
Es gibt einen sehr entscheidenden Unterschied zwischen berechtigter, sachlicher Kritik und dem in Fragen verpackten Menschenhass, der Dämonisierung von Gruppen und dem Befeuern der eigenen politischen Agenda mit Hetze, Hass und bewusster Spaltung.
Wichtig ist nicht nur der Ton oder die Intention, sondern auch die Betrachtung der Realität. Es ist vermutlich eine gute Regel, all das, was Rechtsextreme, Neo-Nazis und Identitäre befürworten, kritisch zu sehen oder gänzlich abzulehnen. Man muss sich bewusst machen, dass Populismus ─ unabhängig vom Thema ─ alles für die eigenen Zwecke nutzen kann. Populismus muss Zwiespalt und Hass säen, um zu überleben. Er labt sich an den Problemen, an den empfundenen Fehlern der Regierenden. Er verwandelt Unsicherheiten in zielgerichteten Hass. Egal, wie sehr man sich von der Politik im Stich gelassen fühlt, wie verzweifelt man ist: Mit Rechtsextremen zu marschieren, ist immer zutiefst verwerflich. Unter Reichskriegsflaggen hat noch niemand etwas zum demokratischen Diskurs beigetragen.
Querdenken Demo Bericht 20.11.20 II.
„Interessant war, dass ich das Gefühl hatte, bereits auf dem Weg zur Demo, in der U-Bahn, feststellen zu können, wer zu welcher Kundgebung möchte. Manchmal war es offensichtlich, manchmal versteckt. Von einschlägiger rechtsextremer Mode über Reichsflaggen-Wollmützen und Fahnen mit Friedentauben ergab sich in der U-Bahn ein Konglomerat an angsteinflößenden durchtrainierten Neo-Nazis, maskenverweigernden Rentner*innen und Menschen, die oberflächlich eher an die Hippies der 70er Jahre erinnerten. Mit Friedenssymbolik und gebatiktem Shirt, stehen sie neben Schränken in Lederjacken, die die Aufschrift „Wodans Erben Germania“ zieren.
Gewalt und Hass, Frieden und Liebe ─ gemeinsam gegen eine angebliche Diktatur, gegen eine angeblich gekaufte Berichterstattung und zur Rettung eines angeblich toten Grundgesetzes. Die Anliegen und Überzeugungen halten zwar keiner logischen Prüfung stand, sind aber abgesehen von einer Infektionsgefahr eher unbedenklich, mag man denken. Denkt man auch zunächst, wenn man seinen Blick über die Erstankömmlinge der Schwurbler*innen-Demo schweifen lässt. Alles ergibt ein trauriges Bild, alle irgendwie besonders, alle irgendwie harmlos und verloren. Bis dann zwischen all den Dreadlocks tragenden mittelalten Menschen, Familien und Rentner*innen ein kahl rasierter Mann auftaucht, der Bomberjacke und Bundeswehrstiefel trägt, in seiner rechten Hand eine Kette, die zu dem muskulösen Nacken einer Bulldogge führt. Sie sieht mindestens genauso wütend aus wie ihr Halter.“
Diskurs und Verständnis
Die Diskussion mit tatsächlichen Verschwörungsideolog*innen ist aus einem Grund besonders frustrierend. Die Erkenntnis, dass es so vieles gäbe, das tatsächlich erforschenswert und zu hinterfragen wäre. Aber eben auf Grundlage von Fakten, Wissenschaft und Menschlichkeit.
Ohne nun unnötig staatstragend zu klingen, dürfen wir eines nie vergessen. Jene, die in unserem Land gewählt werden, um Entscheidungen zu treffen, sind Menschen. Sie sind fehlbar, sie müssen abwägen und entscheiden. Auch wenn uns diese Entscheidungen manchmal widerstreben, dürfen wir niemals jene, die sie treffen, entmenschlichen. Drohungen, Gewalt und Hass sind definitiv nicht die Mittel einer sachlichen Kritik.
Viele Dinge mögen nicht so sein, wie sie scheinen. Regierende haben sicher auch andere Motive als jene, die sie in die Medien hineintragen. Das nicht anzuzweifeln, wäre naiv. Nur darf man es sich selbst nicht so einfach machen. Nur weil etwas logisch klingt und das eigene Selbstbild bestätigt, ist es das noch lange nicht. Das ist eine sehr ernüchternde Erkenntnis. Wir müssen uns eingestehen, vieles nicht zu verstehen. Wer so tut, als wäre er im Besitz aller Antworten auf jede Frage, leidet entweder an starker Selbstüberschätzung oder lügt.
Es ist gut und wichtig, Bewegungen wie Querdenken als das anzuprangern, was sie sind und aufs schärfste zu verurteilen. Als unsolidarische Brutstätte von Menschenhass und absurder Verschwörungsideologie. Jedoch dürfen wir dadurch nicht ehrliche Fragen, Unsicherheiten und Skepsis, im Keim ersticken. Das hilft weder dem Diskurs, noch der Demokratie.