Im Interview spricht Franziska Görner von Reporter ohne Grenzen mit unserem Redakteur Qasim Alqasim über den Kampf für die Pressefreiheit, die Situation von Journalisten und Überwachungstechnologien.
Auslandsaufenthalte führten Sie unter anderem nach Kuba, Mexiko und Guatemala. Wie bewerten Sie die Pressefreiheit in diesen Ländern?
Franziska Görner: Ganz explizit kann ich etwas zu Mexiko sagen, weil ich da zwei Jahre gelebt habe. Wenn man Staaten wie Syrien, in denen derzeit Krieg herrscht, einmal ausklammert, ist Mexiko tatsächlich das gefährlichste Land, obwohl es eigentlich eine Demokratie ist. Diese Bewertung hat etwas damit zu tun, dass dort im Vergleich die meisten Journalisten ermordet werden. Es herrscht ein Krieg der Drogenkartelle im Hintergrund, in den Politik, Verwaltung und Polizei involviert sind. Journalisten geraten von mehreren Seiten ins Gefecht. Wenn sie über Korruption berichten, dann kriegen sie nicht nur Gegenwind von den Drogenkartellen selbst, sondern auch von Politikern und der Polizei. Sie können eigentlich niemandem vertrauen. Und sie werden von niemandem beschützt.
„Reporter ohne Grenzen“ macht weltweit auf die Situation von Journalisten aufmerksam. Deutsche Firmen produzieren Überwachungstechnologien, mit der in anderen Ländern Journalisten observiert werden. Wie beurteilen Sie das?
Wir sehen das total kritisch. Wir wissen, dass Deutschland dasjenige Land in der EU ist, das die meisten Güter mit doppelter Verwendung exportiert. Ich erkläre es mal so: Ein Messer kann zum Tomatenschneiden verwendet werden – oder um jemanden umzubringen. Und so ist das allgemein bei sogenannten Dual-Use-Gütern. Da gibt es noch viel zu wenige Restriktionen. Die EU-Kommission hat 2016 einen Entwurf ins Parlament gegeben, mit dem eine Reform der entsprechenden Verordnung dazu angestrebt wird. Da hat „Reporter ohne Grenzen“ ganz viele Vorschläge eingebracht. Wir fordern, dass die Unternehmen und die für die Ausfuhrkontrolle zuständigen Behörden den Export von Überwachungstechnologien transparenter dokumentieren müssen. Letztendlich das EU-Parlament noch bis Ende März 2019 Zeit, das Gesetz zu reformieren. Anschließend sind Europawahlen. Ansonsten haben wir wieder zwei Jahre lang kein Ergebnis, also bis 2021.
Helfen die Regeln, die im EU-Parlament und in der Kommission besprochen werden, bei der Durchsetzung von Pressefreiheit?
Wenn diese Reform wirklich durchkommt, also so, wie wir sie durchhaben wollen, dann auf jeden Fall. Dann gibt eine sogenannte „Catch-All“-Klausel, durch die Unternehmen in die Verantwortung genommen werden. Das heißt, sie müssen prüfen, ob die Produkte, die sie exportieren, in den Zielländern auch für die Überwachung von Journalisten verwendet werden können und dadurch ein Menschenrecht verletzen. Wenn man es ganz objektiv sieht, würden diese ganzen Produkte eigentlich nicht mehr exportiert werden dürfen. Denn mit ihnen könnte theoretisch immer ein Menschenrecht verletzt werden. Wenn herauskommen würde, dass Unternehmen zum Beispiel in die Türkei Technologien geliefert haben, die zur Überwachung von Journalisten eingesetzt werden, dann müssten sie nach dieser Reform mit Strafen rechnen. Im Moment besteht keine Kontrolle. Denn solche Technologien kommen so schnell auf den Markt, dass man gar nicht alles mitbekommt.
Wie verhält sich „Reporter ohne Grenzen“ zu dieser Problematik?
Wir fordern zum Beispiel Transparenz. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sollte auflisten, welche Güter wann und wohin transportiert wurden. Das passiert bisher nicht. Das Amt sagt, es habe dafür keine Kapazitäten, sie haben keine Mitarbeiter, wir sollen ihnen vertrauen, dass nichts genehmigt wird, was Menschenrechte verletzt. Aber am Anfang des Bürgerkriegs in Syrien hat zum Beispiel eine deutsch-arabische Firma eindeutig Überwachungstechnologie zur syrischen Regierung geliefert, die dann auch zur Überwachung genutzt wurde. Wir stehen dafür ein, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird.
Welche Fälle von Verletzung der Pressefreiheit gab es in diesem Jahr?
Wir hatten einzelne Fälle. Es gibt zum Beispiel den Journalisten Shawkan, der seit fünf Jahren in Ägypten in Haft saß. Er hat für internationale Medien gearbeitet und Fotos von Demonstrationen in Ägypten gemacht, wo Leute gegen die Regierung auf die Straße gegangen sind. Er wurde vom Regime verhaftet und sitzt dafür im Gefängnis, dass er Fotos für die internationale Berichterstattung gemacht hat. Andere, die auch verhaftet wurden, kamen nach einem Tag frei. Sie haben genau dasselbe gemacht wie er. Im Frühling 2018 wurde gegen ihn die Todesstrafe verhängt. Da ging ein großer Aufruf durch die Medien. Wir haben Kampagnen organisiert, wir haben mit Politikern gesprochen, und kürzlich ist er freigelassen worden. Dann macht unsere Arbeit wirklich Sinn.
Wenn Sie Ergebnisse haben?
Genau. Wenn wir Ergebnisse haben. Es gibt eine Rangliste, die wir veröffentlichen. Da hat 2018 keine Region in der Welt so schlecht abgeschnitten wie Europa. Dazu haben die Ermordungen von Daphne Caruana Galizia in Malta oder Ján Kuciak in der Slowakei beigetragen. In Europa wurden zwei Journalisten wegen ihrer Arbeit ermordet. Das ist schon krass, weil Europa ja immer dieses Vorzeigebeispiel in Fragen der Pressefreiheit ist. In Polen und Ungarn werden Mediengesetze erlassen, die eindeutig gegen die Pressefreiheit gehen.
Was hilft Journalisten in der Praxis, um für mehr Pressefreiheit zu kämpfen?
Das kann man nicht so allgemein beantworten, weil es davon abhängt, wo man arbeitet. Wenn wir uns zwischen einem Journalisten entscheiden sollen, dem in Deutschland die Kamera weggenommen wurde und einem, dem in einem irakischen Gefängnis Misshandlungen und die Todesstrafe drohen, dann würden wir uns eher für den Journalisten im Irak einsetzen. Denn in Deutschland gibt es genügend Organisationen, die sich kümmern. Wir schauen auch in Regionen, wo niemand hinschaut. Da gibt es ja genug auf der Welt. In diesen Regionen ist sehr wichtig und wird zunehmend wichtiger, dass die Journalisten verschlüsselt telefonieren und digital kommunizieren. Ich persönlich – ich habe auch Familie – wenn ich dort Journalistin wäre und mein Mann und meine Kinder täglich bedroht würden – ich denke nicht, dass ich wirklich den Mut hätte, weiterzumachen.
Ich könnte das auch nicht machen.
Ja. Hut ab vor den Journalisten, die das halt einfach machen. Und da kann man nicht genug tun, um sie zu unterstützen. Das ist sehr wichtig. Und so lange es diese Menschen noch gibt, so lange lebt auch die Pressefreiheit.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Kooperation zwischen der Jugendpresse Deutschland und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Printausgabe des Weser-Kuriers.