Was ist Frieden? Eine kleine Wortkunde

Eine Konferenz zum Thema Frieden ist gut – da sind sich wahrscheinlich alle einig. Aber was bedeutet der Begriff überhaupt? Jan Blanke hat sich einmal Gedanken gemacht.

Frieden
Frieden – ein Wort, viele Bedeutungen/ Grafik: Jan Blanke

 

Einen Begriff macht aus, dass er etwas ist – aber auch, dass er etwas nicht ist. Kalt ist zum Beispiel nicht warm. Selbst große Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler wie Lord Kelvin konnten nur sagen, dass der absolute Temperaturnullpunkt dort liegt, wo es keine Wärme gibt. „Kälte“ als Begriff wird also nicht dadurch definiert, was er ist, sondern nur dadurch, dass er etwas nicht ist. Logisch, oder?

Krieg und Frieden

Und wie ist das beim Frieden? Auch hier scheint es, dass der Begriff oft über sein Gegenteil definiert wird: nämlich über den Krieg. Aber kennen wir auch eine andere Antwort auf die Frage „Was ist Frieden?“

Vielleicht hilft uns hierbei ein Blick in andere Sprachen – in das Hebräische zum Beispiel. שלום (=Schalom) bedeutet so viel wie Befreiung von Unheil und Unglück, Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit und auch Ruhe. Ziemlich viel also! שלום wird übrigens als Begrüßung genutzt.

Im Arabischen wird das hebräische שלום sogar noch um eine weitere Dimension ergänzt: den anderen Menschen, das Gegenüber. السلام عليكم (=as-salāmu-eikum) bedeutet übersetzt „Friede auf euch“. Dass der andere Mensch السلام عليكم mitgedacht ist, steckt nicht nur direkt im Wort, sondern wird deutlich in der Funktion von السلام عليكم in der arabischen Sprache. Es dient als Gruß . Übrigens besitzen שלום und سلام عليكم den gleichen Wortstamm. Der Friede aus „Friede auf euch“ hat somit eine ähnliche Bedeutung wie “Schalom“. Er lässt sich auch ziemlich ähnlich übersetzen, nämlich als Gesundheit, Ruhe und Sicherheit. Nur gilt das eben nicht nur für einen, sondern für alle.

Europäische Sprachen – Antike…

Im antiken Griechenland hat Frieden ειρήνη(=Eirene) auch sehr viele Bedeutungen Wohlstand, Ruhe und Ordnung. Da der Begriff durch die Göttin Eirene repräsentiert wird, ist er zudem religiös konnotiert. Das gleicht dem arabischen Friedensverständnis. Doch der griechische Begriff bezieht nicht mehr das Gegenüber mit ein. Stattdessen setzt er am Individuum (dem Ich) an. Das liegt daran, dass der einzelne Bürger – bei den Griechen bestimmten reiche Männer das öffentliche Leben – bei demokratischen Entscheidungen in der Polis viel Spielraum hat. Man könnte es vielleicht so ausdrücken: Frieden in der Polis herrscht, wenn es Ordnung und Wohlstand unter den Bürgern gibt.

Als das römische Kaiserreich aufgebaut wird, verliert das Individuum jedoch wieder rasch an Bedeutung. Nun müssen Verträge mit Anderen geschlossen werden, um ein gemeinsames Zusammenleben zu ermöglichen. Aus diesen veränderten Bedingungen entsteht ein neues Wort für Frieden: Pax. In der Wortbedeutung schwingt erstmals die Abwesenheit von Krieg mit aber auch die vertragliche Geschaffenheit dieses Friedens.

… und Neuzeit

Mit ihrem Friedensvertrag leisten die Römer und Römerinnen unbewusst viel Vorarbeit für die großen Vertragstheoretiker der Neuzeit. Der Philosoph Thomas Hobbs (1588-1679) greift das Pax-Konzept auf und grenzt sich in seinem Werk „Leviathan“ gleichzeitig davon ab, indem er den Friedensvertrag wieder auf das Individuum bezieht. Was für ein Hin und Her!

Um in Sicherheit und nicht im ständigen Krieg eines „Jeden gegen Jeden im Naturzustand“ zu leben, schließt der Mensch bei Hobbes einen Vertrag. Er ordnet sich dem Staat unter. So entsteht der Nationalstaat.

Als die ersten Nationalstaaten nicht mehr nur auf dem Papier, sondern im „Real Life“ gegründet werden, wird die Wehrpflicht in die Staatsverträge aufgenommen. Dadurch passiert genau das Gegenteil von dem, was Hobbes gewollt hat: Die Verträge, die den Frieden garantieren sollen, werden zu Kriegsstiftern. So genannte „Dikatfriedensschlüsse“, die nach blutigen Auseinandersetzungen geschlossen werden, verletzten das Hobbs‘sche Grundverständnis des Vertrages noch einmal – denn nun ist die Einwilligung in den Frieden nicht mehr freiwillig, sondern erzwungen.

Der neuzeitliche, europäische Friedensbegriff verliert daraufhin seine Bedeutung als Vertrag. Heute definiert sich Frieden wieder durch – drei Mal dürft ihr raten – die Abwesenheit von Krieg.

Ist das wirklich schon alles? Nö.

Es gibt aber noch weitere Friedensverständnisse, die in der heutigen Gesellschaft Verwendung finden. Zum Beispiel das Konzept des positiven Friedens.

Die Grundlage dieser sehr heiter klingenden Wortpaarung hat niemand Geringeres als der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) in seinem Werk „Zum Ewigen Frieden“ gelegt. Das Buch ist wie ein unterschriftsfertiger Vertrag aufgebaut und hält Bedingungen fest, die laut Kant zwischen zwei Nationalstaaten herrschen müssen, damit sich der ewige Frieden einstellt. Eine dieser Bedingungen ist der so genannte „echte Frieden“. Wie, noch ein Frieden?! In der Tat. Laut Kant reicht es für den ewigen Frieden nicht aus, dass ein Krieg beendet ist. Die Konfliktgründe müssen restlos beseitigt sein. Also wirklich restlos. Ziemlich streng.

Beim Konzept des „echten Friedens“ bleibt es allerdings nicht. Der norwegische Soziologe und Politologe Johan Galtung (*1930) erweitert Kants Konzept zum positiven Frieden. Galtung zeigt sich dabei sogar noch strenger als Kant. Laut ihm darf es überhaupt keinen Krieg geben – und auch keine strukturelle oder personelle Gewalt in der Gesellschaft. Für viele klingt diese Definition, gelinde ausgedrückt, utopisch. Zeitgenössische Probleme wie soziale Ungleichheit, Geschlechterdiskrimierung, und Kriminalität darf es nach Galtung nicht geben, wenn Frieden herrschen soll. Deutschland würde sich nach dem Philosophen folglich im Krieg befinden.

Auch wenn der „positive Frieden“ reichlich komplex ist, erinnert er auch an eine einfache Tatsache: Friede wird zwischen Menschen hergestellt – so, wie es sich auch schon die Hebräer, Araber und Griechen dachten. Moment! Heißt das, dass sich der Friedensbegriff über die Jahrhunderte nicht verändert hat?

Vielleicht doch. Der französisch-litauische Philosoph Emanuel Lévinas (1905-1995) vertritt mit seiner „Ethik des Anderen“ ein neuartiges Friedenskonzept. Um nach Lévinas Frieden herzustellen, muss sogar noch mehr geschehen als bei Galtung. Das Ich ist dem Andern der Definition des Philosophen „unendlich verpflichtet“. Das heißt: Das “Ich“ ist verantwortlich für die Taten und Entscheidungen des „Du“. Klingt ganz schön anstrengend, allerdings geht Lévinas davon aus, dass das „Ich“ es niemals allein schaffen kann, seine Verantwortung gegenüber dem Anderen voll zu erfüllen. Wichtig ist dem Philosophen vor allem der Dialog – denn den sieht er als Medium zwischen dem Ich und dem Du, das Gemeinschaft stiftet und die Verpflichtung gegenüber dem Anderen so gut es geht erfüllt.

Äh, okay. Und was heißt das jetzt? Vielleicht muss Lévinas nicht in seinem streng philosophischen Sinn verstanden werden. Stattdessen lässt sich durch sein Konzept lernen, dass jeder einzelne Mensch den Frieden in der Hand hält. Darüber hinaus liegt er aber auch in den Beziehungen zu Anderen. Und miteinander zu sprechen führt allemal besser zu Frieden als Schweigen.

In diesem Sinn: „Salem Aleikum“!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.