Deutschland, deine Werte

Gibt es einen Werteverfall in Deutschland? Und wenn ja – wäre das so schlimm? Ein Workshop sucht nach Antworten und stößt dabei auf immer neue Fragen. Jana Borchers hat die Debatte mitverfolgt.

Woran merkt man, dass ein Wert verfällt? Diese und weitere Fragen stellen sich die Teilnehmenden des Workshops von Melda Akbaş. / Foto: politikorange

 

„Alte Werte, neue Werte, keine Werte?“ So heißt der Workshop der Buchautorin Melda Akbaş auf dem Kongress junger Demokrat_Innen. Gibt es einen Werteverfall in Deutschland? Das ist die Frage, die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen sollen. Die meisten merken schnell: Eine Antwort darauf zu finden ist gar nicht so einfach.

“Ja”, sagt jemand spontan, “manche Werte zählen heute nicht mehr so viel wie früher. Zum Beispiel der Respekt gegenüber Älteren.” Sofort entbrennt eine Debatte darüber, ob Werteverfall grundsätzlich etwas Schlechtes sein muss. Verfall – das klingt irgendwie negativ. Nach etwas, das es aufzuhalten gilt. Aber verändern sich Werte nicht immer mit dem Lauf der Zeit?

Ein Beispiel: In den 60er Jahren nahm die Bedeutung von Gehorsam und Disziplin ab. Selbstverwirklichung wurde zunehmend wichtiger. Einige Werte verfallen, an ihre Stelle treten andere. Das scheint zunächst einmal eine neutrale Feststellung zu sein. Doch die stellt nicht alle Teilnehmenden zufrieden.

Werteverfall setzt Konsens an Werten voraus

“Damit Werte verfallen können, müssen erstmal welche bestehen”, wirft jemand in die Runde. Gibt es ein gemeinsames Wertesystem, auf das wir uns einigen können? Wenn ein Wert verfällt – verliert er dann nur für mich persönlich an Bedeutung? Oder gibt eine Art leeren Raum, in dem Werte verschwinden? Hört ein Wert mit seinem Verfall auf zu existieren?

Eine Antwort zu finden ist deshalb so schwierig, weil das Thema kaum greifbar ist. Was ist überhaupt ein Wert? Nicht einmal darauf kann sich die Gruppe einigen.

Hat die Workshop-Leiterin selbst eine Antwort? „Für mich ist der aktuelle Rechtsruck in Deutschland ein Beispiel für einen Werteverfall“, sagt Melda Akbaş. In diesem Fall sei die Abgrenzung zum Nationalsozialismus der Wert, der gerade an Bedeutung verliere.” Wieder mischt sich einer der Teilnehmenden ein: “Ich kann mir aber vorstellen, dass beispielsweise die AfD überzeugt ist, dass sie mit ihrem Programm die ‚guten‘ Werte hochhält.” Sie halte sich also selbst für die Partei, die versucht, einen Werteverfall aufzuhalten.

Mehr Fragen als Antworten

Ob man etwas als Werteverfall bezeichnet, ist eine Frage des eigenen Standpunkts. Diese Erkenntnis scheint sich immer deutlicher abzuzeichnen. Aber nach und nach kommen neue Fragen auf: Wie konkret lässt sich ein Wert überhaupt definieren? Kann das Einkaufen von Fairtrade-Produkten einen Wert darstellen? Oder muss man Werte viel allgemeiner formulieren, etwa in Begriffen wie Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Freiheit? Teilen dann letztendlich alle Menschen dieselben Werte, die sie bloß auf unterschiedliche Weise mit Bedeutung füllen? Gibt es vielleicht sogar „negative“ Werte?

Das Thema scheint uferlos zu sein. Irgendwann weiß niemand mehr so richtig, wo der Diskurs eigentlich hinführen soll.

Gegen Ende der Veranstaltung sind die Teilnehmenden aufgefordert, Plakate und Videos zu gestalten, in denen sie die Werte vertreten, die ihnen selbst wichtig sind. Das beantwortet zwar nicht die eingangs gestellte Frage – aber es ist irgendwie leichter zu fassen.

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