Im Rahmen des 9. Jugendforums Stadtentwicklung erfuhren die Teilnehmenden durch den Mobilitätsexperten Dr. Daniel Hinkeldein, wie Mobilität in Zukunft aussehen könnte. Lara Render führte mit ihm ein Gespräch über Wege und Möglichkeiten, Innovationen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen.
Ideen für Fahrzeuge und Mobilität, die unser Leben nachhaltiger gestalten, gibt es viele. Erste Konzepte sind so weit ausgearbeitet, dass sie theoretisch heute schon realisierbar wären. Was hält uns davon ab, diese Produkte zu nutzen?
Kurt Tucholksy sagte einmal: „We ought to, but we don’t.“ Obwohl wir wissen, dass wir etwas tun sollten, tun wir es nicht. Wir verhalten uns so, wie wir es gewöhnt sind. In der Psychologie nennt man dies „routiniertes Verhalten“. Routinen vereinfachen unser Leben, sonst wäre unser Gehirn überfordert.
Wie bewegen wir Menschen dazu, sich anders zu verhalten, als sie es gewohnt sind?
Wir müssen alte Routinen durch neue ersetzen. Dies wird nur möglich, wenn wir den Zielgruppen die Gelegenheit dazu geben, neue Routinen auszuprobieren, selbst die Leichtigkeit zu erfahren und die Vorteile zu erleben.
Eine neue Routine ausprobieren, das hört sich interessant an. Aber wie und warum sollte ich das tun?
In sogenannten urbanen Reallaboren wird es besonders leicht und interessant gemacht, neue Routinen auszuprobieren und für sich zu entdecken. Bei einem urbanen Reallabor nimmt man einen bestimmten Raum, in dem man eine mögliche und wünschenswerte Situation aus der Zukunft schafft. Konkret könnte dies bedeuten, dass man es erleichtert, einer bestimmten Gruppe, die besonders attraktiv ist, neue Verhaltensroutinen bei der Verkehrsmittelwahl anzugewöhnen.
Legen wir als unsere Zielgruppe gut gebildete Personen mit zwei Autos und guter Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr fest. Das Ziel ist es, diese Personen dazu zu bewegen, den öffentlichen Personennahverkehr stärker zu nutzen. Dazu ergreift man mehrere Maßnahmen. Eine erste ist, die Zielgruppe zu informieren. Viele überschätzen Fahrzeiten und Tarife. Im nächsten Schritt händigt man der Zielgruppe für einen Monat kostenlos ein Bahnticket aus. Wenn die Teilnehmer des Experiments sehen, dass die Nutzung des ÖPNV einfach und bequem ist, entwickelt sich auch langfristig aus diesem Ausprobieren und Informieren eine neue, eine nachhaltige Routine. Idealerweise gestalten die beteiligten Menschen den Prozess aktiv und tragen dazu bei, dass sich der gesellschaftliche Lernprozess fortsetzt.
Solche urbanen Labore sind oft mit erheblichen Kosten verbunden. Wer hat ein Interesse daran, diese besonderen Experimente durchzuführen?
Reallabore sind Interventionen von einem interessierten Akteur. Als Autohersteller beispielsweise möchte ich Kunden neue Automodelle vorstellen und sie zum Kauf motivieren. In diesem Fall ist es für mich sinnvoll ein Reallabor durchzuführen. So kann ich neue Kunden gewinnen. Größere Ziele, wie die Entwicklung eines nachhaltigen Verhaltens bei der gesamten Bevölkerung, gehen über die Interessen einzelner Firmen hinaus. Diese Interessen sind meist Anliegen des Staates. Dann kann es sinnvoll sein, die Bereitschaft der Menschen zu fördern, ihr eigenes Mobilitätsverhalten zu reflektieren, sich darüber auszutauschen und – hoffentlich – im Sinne der Nachhaltigkeit ändern.
Wie wahrscheinlich ist es, dass wir in Zukunft an einem Reallabor teilnehmen?
Diese Frage ist schwer zu beantworten. Wenn sich bei einer Untersuchung Reallabore als die beste Möglichkeit zur Beeinflussung des Verhaltens signifikanter Bevölkerungsgruppen herausstellen, könnten sie auch uns in Zukunft erreichen. Dies vorausgesetzt, wäre es sicherlich wünschenswert, dass in zwei bis drei Jahren zumindest jeder jemanden kennt, der an einem Reallabor teilgenommen hat. Dies bei einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen zu schaffen, ist jedoch eine große Herausforderung.