Ich kann mich nicht daran erinnern, in meiner frühen Jugend überdurchschnittlich daran interessiert gewesen zu sein, was ich trug. Erst Recht nicht, wie es hergestellt wurde. Auch Schokolade aus dem Discounter und Wasser aus Plastikflaschen habe ich einmal gekauft. Doch ich merkte, dass das so nicht auf Dauer funktioniert…
Mit der Zeit bin ich auf das Konzept der Weltläden gestoßen und habe mich mehr mit dem Thema Ungerechtigkeit beschäftigt. „Kinder erleben nichts so scharf und bitter wie Ungerechtigkeit“, schreibt Charles Dickens in seinem Buch „Große Erwartungen“. Als „Öko“ wurde ich prompt von meiner Schwester abgestempelt, als ich ihr erklärte, warum sie bestimmte Schokoladenmarken besser meiden sollte. Durch einen weltwärts-Freiwilligendienst, der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert wird, konnte ich mich mehr mit der Thematik auseinandersetzen. Schlicht und einfach durch meine Reflexionen über eine andere Kultur. Als ich nun auf dem EINEWELT-Zukunftsforum bin, kann ich mich wieder mit Konsumidealismus beschäftigen und andere Menschen und ihre Ideale kennenlernen.
Elefantenstatue auf Platz 1
Annika Kretz hat mit ihrer Schulklasse vom Hellenstein-Gymnasium in Heidenheim den ersten Preis beim Schulwettbewerb des Bundespräsidenten im Jahr 2013/14 erhalten. Die nachhaltigeste Sensibilisierung passiert durch aktives Erleben, nicht umsonst lernen Kinder besser, wenn es spielend passiert. Das BMZ hat einen Schulwettbewerb zu Entwicklungspolitik vor über zehn Jahren ins Leben gerufen. Mit diesem „Instrument entwicklungspolitischer Bildung“ sollen Kindern und Jugendliche aktiv zum Globalen Lernen angeregt werden.
Als Beitrag zum Wettbewerb reiste die 16-jährige Schülerin mit ihrer Aktionsgruppe in die Partnerschule nach Indien: Hier sollte jeder ein faires Souvenir erwerben. Arbeitsbedingungen wurden recherchiert und VerkäuferInnen mit Fragen gelöchert. Annika erstand eine Statue des Elefantengottes Ganesha. Auch die indischen Schüler kamen nach Deutschland und suchten hier faire Mitbringsel. Es entstand der Film „FAIRinnerung – die Welt beginnt vor jeder Tür“, in dem sich die Jugendlichen mit Nachhaltigkeit in beiden Ländern beschäftigen.
Es gab weitere Projekte: Eine vierte Klasse hat für den gleichen Wettbewerb die Geschichte einer Sojabohne aufgeschrieben und illustiert, eine andere Gruppe hat aus Papier verschiedene Schuhpaare modelliert – der Gegenstand des alltäglichen Lebens wird zum Ausdruck unterschiedlicher Perspektiven hier und im Entwicklungsland. Am Stand der Wettbewerbsausstellung fallen mir die Mädchen in ihren bunten Saris auf. Wie Raupen sind sie in ihre schönen Kokons gewickelt. Ob die bunten Tücher, die man auf dem indischen Markt erwerben kann, auch fair gehandelt sind, konnten sie mir allerdings nicht sagen. Aber darum geht es hier ja auch nicht. Es geht vor allem um den Lerneffekt und den Austausch.
Initiative Perspektivwechsel
In der Halle des Veranstaltungsortes des EINEWELT-Zukunftsforums kann man an vielen Stellen Bilder, Plakate und Fotos von Menschen sehen. Wenn es um das „Dort“ geht, sind es meist dunkelhäutige Kinder, und es geht um Hunger, Armut und um das, was fehlt. Wir müssen eine nachhaltige Produktion auch nach Afrika bringen, fordert „Zukunftsminister“ Müller. Wir müssen Zukunft schenken, erklären immer wieder Hilfsorganisationen auf großflächigen Plakaten an Litfaßsäulen.
Wie sieht es denn aus in Afrika? Afrika ist kein Land und genauso vielfältig wie jeder andere Kontinent. Es geht nicht an jeder Ecke um Hunger, Elend und Unsicherheit. „In Afrika sind die Menschen nicht so arm, wie man denkt. Es gibt auch große Städte“, erklärt ein kleines Mädchen.
Alma Seiberth und Katharina Lipowsky von der Initiative Perspektivwechsel zeigen Schnappschüsse von Jugendlichen aus Douala, Kamerun. Die Tante als Frisörin, ein Junge vor technischem Gerät, ein Verkäufer in seinem Geschäft. Alles normale Leute. Die Bilder sind im Rahmen eines mehrtägigen Workshops entstanden: Unter Anleitung eines bekannten kamerunischen Fotografen lernten die Jugendlichen, mit der Technik umzugehen. Besonders wichtig war es den deutschen Initiatoren, dass das Projekt autonom in Kamerun durchgeführt wird und nicht von deutscher Seite her-„geleitet“. Für die Finanzierung wurden per Crowdfunding Spenden gesammelt. Die Fotografien wurden in Douala und in Berlin ausgestellt und werden kostenfrei an Interessierte weiterverliehen. Zudem wurde im Rahmen der Ausstellung ein Workshop angeboten, der sich mit der Stigmatisierung durch die Wiedergabe von negativen Afrikabildern auseinandersetzt.
Emotional genießen können
Wie eine kleine Blauhelmgruppe laufen mehrere Kinder mit blauen Unicef-Shirts durch das Geschehen, bei der Übergabe stehen sie mit Entwicklungsminister Müller auf der Bühne. Frei nach dem Motto: Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihr Konsum ist rein? Sind sie Werbeträger der Veranstaltung?
Ich spreche mit Frederic Balze. Der 14-Jährige ist Sprecher von Schokofair, einer Arbeitsgemeinschaft der Montessori-Hauptschule in Düsseldorf. In einer vereinten Welt sollte „jeder mit dem anderen klar kommen und ihn fair behandeln“, fordert er. Frederic und seine MitstreiterInnen leisten einen Beitrag. Unter dem Motto „Stoppt Kinderarbeit!“ ist Schokofair seit nun vier Jahren auch öffentlich aktiv. Die jungen AktivistInnen setzen sich für die Rechte Gleichaltriger ein, die für einen Hungerlohn auf Kakaoplantagen arbeiten müssen und so nicht die Schule besuchen können – und das alles nur, damit die Kinder hier in Deutschland billige Schokolade bekommen. Zuletzt wurden sie bei Ferrero vorstellig und forderten sie zum Kauf fair gehandelten Kakaos auf. Für ihren Einsatz erhielt Schokofair 2012 den WDR-Kinderrechtepreis, wurde 2013 zum UNICEF-JuniorBotschafter gewählt und 2014 mit dem Fairtrade-Award ausgezeichnet.
Die Kinder haben verstanden, dass es an uns liegt, sich zu verändern. Alle bestätigen mir, nur noch fair gehandelte Schokolade zu konsumieren. Kinderschokolade soll schließlich nicht so heißen, weil sie von Kindern gemacht wurde.