Keine Angst zu reden

Oft hat Furcht vor einem Anstieg der Kriminalität nichts mit der messbaren Wirklichkeit zu tun. Trotzdem müssen wir sie wahr- und ernstnehmen – diese Botschaft hatten die Rednerinnen und Redner für die Teilnehmenden des Forums „Weltbaustelle Sicherheit – Warum Angst ein schlechter Ratgeber ist“, das Niklas Thoms besucht hat.

Ali Can und Dina Hummelsheim-Doß im Forum „Weltbaustelle Sicherheit“ / Bild: Erik-Holm Langhof

 

„Jetzt reicht es, kann da mal bitte jemand den Stecker ziehen? Das hört ja gar nicht mehr auf.“ Die Nachsicht von Moderator Manfred Belle mit der Technik im Raum hat ein Ende. Zum wiederholten Mal hat mitten während der Diskussion zum Thema „Angst in der Gesellschaft“ der Projektor angefangen laut zu brummen. Anders als zuvor hört er jetzt jedoch nicht mehr auf. Belle ist genervt. Nach dem beherzten Eingreifen eines Teilnehmers herrscht endlich Ruhe. „Wenn das mal so einfach mit manchen Menschen gehen würde“, sagt jemand. Großes Gelächter.

Der Satz kam von einem der Redner – Ali Can, der gerade von seinen Erfahrungen im Gespräch mit „besorgten Bürgern“ berichtet hat. Mit Menschen sprechen, die sich fürchten – sei es vor Flüchtlingen, Armut oder dem Weltuntergang –, das macht Can öfter und mit viel Engagement. Er ist der Gründer der so genannten „Hotline für besorgte Bürger“. Unter der Telefonnummer können Menschen anrufen, die gerne einmal mit einem „Migranten des Vertrauens“ reden möchten, wie sich Can selbstironisch nennt. Der 23-Jährige glaubt, dass sich Ängste abbauen lassen, wenn man den Sorgen der Menschen zuhört und sie ernst nimmt.

Auch Dina Hummelsheim-Doß, die am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht forscht, kennt ein Rezept gegen Furcht: Wissenschaft.

Blick in die kriminologische Forschung

Denn aus der empirischen Sicht, die Hummelsheim-Doß einnimmt, sind Befürchtungen vor einem Anstieg der Kriminalität unbegründet – und somit auch „kein guter Ratgeber“ im Alltag. Doch wie sehen die Forschungsergebnisse zu dem Thema genau aus?

Laut Hummelsheim-Doß sagen sie vor allem aus, dass es eine stetig wachsende Kluft zwischen empfundener und tatsächlicher Sicherheit in Deutschland gibt. Denn obwohl eine große Angst in der Gesellschaft herrscht, ist die Zahl der Straftaten in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 0,7 Prozent zurückgegangen. Verglichen mit 2005 gibt es sogar einen Rückgang um 6,4 Prozent.

Das klingt beruhigend. Allerdings gibt es eine kleine Einschränkung. So beziehen sich die Zahlen nur auf die der Polizei bekannten Delikte, das sogenannte „Hellfeld“. Doch auch im „Dunkelfeld“ –  das ist die Differenz zwischen den amtlich registrierten Straftat und der vermutlich begangenen Kriminalität – lässt sich laut Hummelsheim-Doß kein gegenteiliger Trend erkennen. „Es ist völlig egal, ob man sich Studien aus dem Hell- oder Dunkelfeld anschaut. Die Ergebnisse sind die gleichen“, sagt die Forscherin.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der „Deutsche Viktimisierungssurvey“. Anhand von Befragungen werden in ihm die Opfererfahrungen, Kriminalitätsfurcht und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung untersucht. Nach dem Viktimisierungssurvey nimmt die Anzahl schwerwiegender Delikte in der Bundesrepublik ebenso ab wie die Wahrscheinlichkeit, zum Opfer einer Straftat zu werden.

Auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist Deutschland ein weitgehend sicherer Staat, in dem die Bürgerinnen und Bürger eher selten unmittelbar von Kriminalität bedroht sind. Trotzdem zeigen die Umfrageergebnisse von Meinungsforschungsinstituten, dass sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen in unsicheren Zeiten wähnt. Wieso?

Aufklärung wirkt präventiv

Offenbar sind die Medien Schuld. Denn das Sicherheitsempfinden hängt laut den Studien zu einem großen Teil davon ab, wie über Risiken und Gefahren kommuniziert wird. Mit Skandalberichterstattungen schüren Journalistinnen und Journalisten Ängste in der Bevölkerung. Nach Hummelsheim-Doß entsteht so eine „allgemeine Verunsicherung“. „Kriminalität wird von den Menschen als eine Art Projektionsfläche betrachtet, in der ihre Existenz- und Zukunftsängste greifbar werden“, erklärt die Soziologin. Sorgen bereiten dabei etwa die Globalisierung, die Migration und Umweltprobleme.

Wenn Furcht also vor allem eine Kopfsache ist –  was lässt sich dann gegen sie tun? Auch darauf weiß die Wissenschaft eine Antwort: noch mehr Kopfsachen. Europaweite Studien zeigen, dass Bildung und Maßnahmen zur sozialen Sicherung Ängste abbauen können.

Für Hummelsheim-Doß ist jedoch eine andere Sache noch wichtiger: miteinander zu reden. Wie Ali Can glaubt die Soziologin, dass sich durch Gespräche das Vertrauen in Mitmenschen, aber auch in staatliche Institutionen fördern lässt. Ihre Aussage trifft im Publikum auf Zustimmung. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Publikum nicken energisch. Angst, im Anschluss an den Vortrag mit ihr und Can zu diskutieren, hat hier keiner.

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