Die Wahlen und das Generationsproblem  

#poBTW17

Seit 1969 ist die Wahlbeteiligung in Deutschland um 20 Prozent gesunken. Politik und Gesellschaft haben sich verändert und so auch der Willen der Bevölkerung? Ein Bericht von Zita Hille.

Luftballons steigen im Innenhof des BMFSFJ gen Himmel.
In Deutschland können Bürger und Bürgerinnen durch ihre Wahlbeteiligung die Politik ihres Landes mit beeinflussen und ihre vielfältigen Stimmen einbringen. Foto: Jugendpresse Deutschland / Samuel Grösch

Am 24. September ist es wieder so weit: Jeder deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerin, die das kleine, weiße Couvert zur Wahleinladung in ihrem Briefkasten gefunden haben, können in eines der Wahllokale gehen und ein Kreuzchen setzen. Das ist Demokratie – jeder darf wählen und die Macht geht vom Volke aus. Aber nutzt die Bevölkerung diese Möglichkeit?

In den letzten 60 Jahren sank die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen um mehr als 20 Prozent. Im Jahr 1969 lag sie noch bei 91,1 Prozent. Das heißt, mehr als neun von zehn Berechtigten und Berechtigte gaben ihre Stimme ab. Ab da jedoch ging es stetig bergab. Den absoluten Tiefpunkt erreichte die Wahlbeteiligung im Jahr 2009 mit 70,2 Prozent, nur noch sieben von zehn gingen wählen.

Wählen oder nicht wählen?

Prof. Dr. Jens Borchert in der Universität in Frankfurt am Main. Foto: Jugendpresse Deutschland / Zita Hille

„Es ist ein Generationsproblem“, meint Jens Borchert, Professor für Politikwissenschaften mit Schwerpunkt auf Politische Soziologie und Staatstheorie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. „Mir fällt es manchmal sogar schwer, meine Studierenden für Politik zu begeistern.“ Tatsächlich lag die Anzahl der jungen Wähler und Wählerinnen bei der letzten Bundestagswahl 2013 unterm Durchschnitt: Nur zirka 60,3 Prozent der 21- bis 24-Jährigen nutzten ihr Recht. Die Beteiligung der Erstwähler und Erstwählerinnen lag in diesem Jahr bei 64,2 Prozent.

Laut Borchert sei der Grund für die sinkenden Zahlen auch die fehlende Selbstverständlichkeit, wählen zu gehen. Früher sei man noch mit dem Denken aufgewachsen, dass „Wählen oder nicht wählen?“ gar nicht zur Debatte stünde und man sogar durch die Familie in eine bestimmte Parteipräferenz hineingeboren werde, die man dann wiederum im Umfeld durch Aktivitäten mit Gleichgesinnten, zum Beispiel beim Sport, gepflegt habe. So war Wählen, ein Statussymbol.

20,91 Millionen Deutsche sind politisch uninteressiert

In den letzten 60 Jahren ist aber auch in der Gesellschaft viel passiert. Kurzlebigkeit hat sich verankert, im Privaten und bei den Hobbys. Und immer wieder trifft man auf den Vorwurf: die Jugend ist politikverdrossen. Dominiert auch hier eine knappe Aufmerksamkeit? Jens Borchert berichtet: „Es gibt heute eine Neigung zu kurzfristigeren Bindungen. Darunter leiden Formen des politischen Engagements ganz massiv.“ Tatsächlich  geben 2017 20,91 Millionen Menschen in Deutschland an, wenig bis gar kein Interesse am politischen Geschehen zu haben und nur 16,61 Millionen Personen ab 14 Jahren geben an, ein sehr hohes Interesse an Politik zu haben.

2017 geben ein Drittel keine Stimme ab

Es wird davon ausgegangen, dass ein Viertel bis ein Drittel der Wahlberechtigten 2017 nicht ihre Stimme abgeben werden. Jedoch gibt es Projekte, die versuchen, die Beteiligung zu fördern. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung versucht derzeit mit der Initiative „80 Prozent für Deutschland“ junge Wähler und Wählerinnen zu begeistern. Laut Borchert könnten aber Initiativen wie diese nichts am Ergebnis ändern. Er geht von einer Wahlbeteiligung von plus minus 70 Prozent aus, denn „eine klare Vision der Parteien ist nötig. Die bringt Bürger dazu, sich entweder einflussreich zu fühlen oder sich richtig aufzuregen.“

Sätze wie „Geht wählen, sonst entscheiden die falschen!“ kursieren massenhaft im Internet – die Folge: Manche Bürger und Bürgerinnen gehen nur aus Protest wählen.

Jugendliche können sich in die Politik einbringen

Nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Politik hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten geändert. „Je ähnlicher sich Parteiangebote werden, desto niedriger wird der Anreiz, zur Wahl zu gehen“, sagt Borchert, die Parteien seien noch nicht in der Kurzlebigkeit der Gesellschaft angekommen. Doch demokratische Politik funktioniert langfristig und Parteien in ihr brauchen Zeit, um sich entwickeln zu können.

Und was ist, wenn man noch gar nicht 18 ist? Auch Minderjährige haben schon die Möglichkeit, sich in bestimmten Parteien einzubringen. Bei der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Jusos) kann man bereits ab 14 Jahren mitwirken und so sein soziales Umfeld mitreißen. Hier ist Borchert zu dem Ergebnis gekommen, dass Jugendliche mit einem niedrigen Bildungsstand so gut wie gar nicht an Politik interessiert seien; Jugendliche mit hohem Bildungsstand hätten größtenteils nur Lust auf Ehrenamt und kurze Projekte oder hielten NGOs für gute Politik.

Doch ist die Demokratie durch die sinkende Wahlbeteiligung bedroht? Laut Borchert präsentieren die 71,5 Prozent Wahlbeteiligung immer noch den Willen des Volkes und somit einer Demokratie. Jedoch meint er, dass es an personeller Erneuerung in der Politik bedarf. „Lange hat man geglaubt, dass sich die Demokratie selbst reproduziert“, sagt er. „Wir vergessen manchmal, dass wir die Demokratie sind.“ Sein persönliches Wahlrecht zu haben sei schön und gut, man müsse es nun nur noch nutzen.

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