„Ich will die Welt verändern“

Ali Can hat mit 22 die „Hotline für besorgte Bürger“ gegründet. Dort spricht er wertfrei mit besorgten Bürgern und Bürgerinnen über ihre Ängste – meist bei Flüchtlingsfragen. Dilara Acik erkundigte sich.

Unsere Redakteurin Dilara fragt Ali, wie es ist ein Sorgentelefon zu führe. Foto: Charles Lother
Unsere Redakteurin Dilara fragt Ali, wie es ist ein Sorgentelefon zu führe. Foto: Charles Lother

Du hast eine Hotline für besorgte Bürger gegründet. Klingelt dein Handy seitdem ununterbrochen? 

Am Anfang schon, da hat das Handy sehr oft geklingelt. Sogar über die Sprechzeiten hinaus. 

Wie kam dir die Idee? 

Ich will die Welt verändern. Deswegen fange ich erst bei mir an. In meiner näheren Umgebung präge ich Wertschätzung. Wertschätzung für besorgte Bürger heißt, ihnen erst mal zuzuhören und zu verstehen, was hinter den Parolen steckt. Auch bei AFDlern. Meist sind es Bedürfnisse. 

Könnte man sagen, dass du mit deiner Hotline eine Art Integrationshilfe für Fremdenfeindliche bewirkst? 

Ja, absolut. Ich höre erst einmal zu. Wenn beispielsweise gesagt wird, dass Flüchtlingen sich integrieren müssen und dass man deutsche Werte beibehalten muss, dann frage ich nach, was sind für dich deutsche Werte? Ist es, Socken in Sandalen zu tragen, Sauerbraten zu essen oder Karohose und Currywurst? Manchmal sagen Leute, sie wären gegen die Islamisierung des Abendlandes. Sie bestehen auf christlichen Traditionen, auch da frage ich nach. Dann merken die: Ups, stimmt, Nächstenliebe. Und dann beginnt ein Denkprozess.

Wer hat diese Woche angerufen? 

Diese Woche hat ein junger Mensch angerufen, der sich für Flüchtlinge engagieren will. Er hat aber gehört, dass es zu viele Probleme gibt. Er wollte fragen, was daran wahr ist und ob er auch von zu Hause aus helfen kann. Meist rufen mehr Männer an.

Wer hat dich in letzter Zeit nachdenklich gestimmt? 

Ein AFD-Wähler hat mit mir vor kurzem über die Obergrenze gesprochen. Er meinte, wir können doch nicht wirklich jeden aufnehmen. Da hat er ja Recht. Deutschland nimmt auch nicht jeden auf. Aber wo ziehen wir die Grenze? Bei drei Millionen? Fünf Millionen? Diese Frage hat mich sehr berührt, weil ich selber keine Antwort weiß. 

Was hast du ihm dann gesagt? 

Bisher geht es noch gut. Wir können Flüchtlinge aufnehmen. Aber ich weiß selber, dass es schwierig ist und ich rätsel noch darüber. 

Hast du bei einem Gespräch schon mal die Fassung verloren?

Nein. Das ist ja das Ungewöhnliche bei meiner Hotline, dass man immer Distanz zu seinen Gefühlen hat und sich nie etwas zu Herzen nimmt. Einmal hat mich jemand 20 Sekunden lang beschimpft. Auch da musste ich die Fassung bewahren und sehen, ob er noch mit sich reden lässt.

Wie machst du das? 

Ich habe erkannt, dass Wertschätzung sehr wichtig ist. Und dass manche Menschen sich echauffieren müssen, bevor sie rational sprechen können. Wie wenn man beim Kochen den Deckel hebt, dann kommt zuerst ganz viel heiße Luft raus. Der Topf brodelt. Wenn man den Deckel drauf lässt, kocht er irgendwann über. Und so sind die Menschen auch, sie brauchen eine Plattform, wo sie die Luft rauslassen können.

Du selbst bist mit zwei Jahren nach Deutschland gekommen und lebst seitdem hier. Was ist für dich Heimat?

Es gibt keinen festen Ort. Heimat ist da, wo ich mich in sozialen Beziehungen wohl fühle und ich mich nicht erklären muss. Insgesamt fühle ich mich so in Deutschland wohl. Das ist auch meine Heimat.

Hast du einen deutschen oder türkischen Pass? 

Ich habe seit einem Jahr sogar den deutschen Pass, um wählen zu dürfen. Außerdem will ich in unserer Gesellschaft stärker partizipieren.

Fühlst du dich denn auch deutsch? 

Was heißt denn sich deutsch zu fühlen? Mit einem Pass? Deutsch sein ist ja nicht etwas, was sich mit dem Pass ändert. Das ist ein Gefühl. Manche Deutsche fühlen sich ja sogar nicht deutsch. Diese wandern aus.

Du studierst auf Lehramt. Könntest du dir auch vorstellen, eines Tages Politiker zu werden?

Ja, das könnte ich mir gut vorstellen. Entweder werde ich Politiker, Journalist oder Weltverbesserer.

Weltverbesserer bist du ja schon oder? 

Ja, irgendwie schon.

Was denkst du, sollte man bei der Flüchtlingspolitik ändern?

Wir sollten ganz klar zwei Sachen machen. Uns um die Einheimischen kümmern, die hier leben – wir sollten Brückenbauer ausbilden. Außerdem sollten wir unbedingt, und das haben sogar AFDler mit mir gemein, die Fluchtursachen bekämpfen. Dann müssten Menschen gar nicht diese schwierige Flucht auf sich nehmen und vielleicht im Mittelmeer ertrinken.

2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Ich finde diesen Beitrag sehr interessant! Die Idee mit der Hotline ist ein sehr guter Ansatz 🙂 Danke 🙂

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  • Respekt an dem jungen man. Der mit voller Energie sich einsetzt. Ich bin mir sicher, wir werden von ihm hier und da wieder hören.

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