An die eigene Nase fassen

In der Politikarena zur ZukunftsTour in Hamburg gaben sich Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz die Ehre. Neben der aktuellen Flüchtlingssituation kam dabei auf, wie fair die deutsche Wirtschaft eigentlich sein kann – und ob wir nicht eine Friedenssteuer auf Rüstungsexporte einführen sollten. Ein kommentierender Bericht von Albert Wenzel und Claudia Hammermüller.

Das Podium der Zukunftstour in Hamburg.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (r.) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (l.) stellen sich den Fragen des Publikums, Herbert Schalthoff (m) moderiert und hakt nach. Foto: Claudia Hammermüller

„Globale Entwicklung – Was können wir in Hamburg tun?“ Unter dieser Fragestellung führt Journalist und Moderator Herbert Schalthoff durch die Politikarena. Nach vorbereiteten Grußworten, Reden und einer kurzen Interviewrunde mit geladenen Gästen geht es endlich zur Sache: „Offene Politik: Antworten auf Fragen aus dem Publikum.“ Eine erste Frage bezieht sich auf die entwicklungspolitische Rolle von Agrarchemie- und Saatgutkonzernen wie Monsanto. Minister Müller schlägt in seiner Antwort den Bogen zu seiner persönlichen Geschichte als Sohn eines bayrischen Kleinbauern: Er finde auch, dass besonders die kleinen Akteure unterstützt werden müssen – und er selbst sei kein Freund von Firmen wie Monsanto. Aus seinem Minsiterium fließe auch kein Geld an diese Konzerne. Darauf, dass Unternehmen wie Monsanto, BASF und Bayer den weltweiten Saatgutmarkt weitestgehend beherrschen und damit auch entwicklungspolitisch eine wichtige Rolle spielen, geht er nicht ein.

Persönliche Geschichten und fragwürdige Vorschläge

Das Vorgehen, mit persönlichen Geschichten Gesagtes zu illustrieren, zieht sich durch die Veranstaltung: In seiner einführenden Rede spricht Minister Müller unter anderem davon, dass ein erheblicher Teil des deutschen Wohlstands auf armen, entwicklungsschwachen Ländern aufbaue. Er benennt die Standardbeispiele Kaffee, Baumwolle und Smartphones – und berichtet von seinem Besuch in einer Kobaltmine im Kongo. Dass der Bundesentwicklungsminister aber auch unorthodox kann, beweist er mit seinem Vorschlag auf eine Frage zu den deutschen Waffenexporten: „Warum legen wir nicht eine Friedensabgabe auf Rüstungsgüter?“ Dabei weißt er sogar darauf hin, dass es diesen Vorschlag so bisher noch nicht gegeben habe. Er scheint Applaus zu erwarten – doch der bleibt aus.

Ein junger Mann stellt zur Politikarena eine Frage ans Podium.
Kritisches Publikum zur Politikarena in Hamburgs Fischauktionshalle. Foto: Claudia Hammermüller

Kann ein Exportweltmeister fair handeln?

Auch politikorange stellt via Twitter eine Frage ans Podium: „Wie kann Deutschland Exportweltmeister sein und gleichzeitig fair handeln? Stichwort Handelsbilanzen“ Politchef Herbert Schalthoff lobt die Frage sogar als „eigentlich ganz schlau“ und übergibt sie an Olaf Scholz. Der überlegt kurz und antwortet schließlich, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe. Deutschland exportiere hauptsächlich teure Konsumgüter, vor allem Autos. Und die seien nun einmal gut bezahlt. Außerdem sei Deutschland auch einer der größten Importeure, das werde gern vergessen. Unser wirtschaftlicher Erfolg beruhe genau auf dieser Kombi. Ein Statement dazu, dass mit Weltmeistern, also Gewinnern, zwangsläufig auch Verlierer einhergehen müssen, bleibt er schuldig. Stattdessen konzentriert sich Hamburgs Erster Bürgermeister in seiner Antwort lieber auf die Importe, denn dabei stelle sich seiner Meinung nach die Frage des fairen Handelns zuerst.

Faire Importe?

Dass jede*r in alltäglichen Kaufentscheidungen dazu beitragen kann, weltweit faire Arbeits- und Handelsbedingungen zu unterstützen, scheint für die Anwesenden außer Frage zu stehen. Olaf Scholz appelliert dennoch und gibt zu bedenken, dass in Deutschland teilweise zu Preisen konsumiert werde, die nicht möglich wären, wenn auf der ganzen Welt Löhne wie bei uns gezahlt werden würden. Selbst wenn es nur der Mindestlohn von 8,50 Euro sei. „Fairer Handel ist eine moralische Kategorie, die wir in unserer ökonomischen Welt umsetzen wollen“, lautet sein Statement. Daran anknüpfend wiederholt er das Mantra der Veranstaltung, dass dafür jeder gefragt sei. Dass der Begriff ‚fair‘ sich hierbei nicht nur auf  die Herstellungsbedingungen der einzelnen Produkte beziehen könnte, sondern auch auf die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse zwischen miteinandern handelnden Ländern, lässt er nicht anklingen. Politische Zielstellungen und wirtschaftspolitische Instrumente könnten ebenso in der moralischen Kategorie des Fairen gedacht werden – dabei kann sich die Politik nicht so leicht aus der Affäre ziehen.

Vom freien zu einem fairen Markt?

Denn dass Deutschland im Jahr 2014 nach China das Land mit dem größten Handelsbilanzüberschuss war, findet in Scholz‘ Antwort ebenso wenig Erwähnung. Seit 1952 erzielt die deutsche Wirtschaft durchgängig Exportüberschüsse – nicht umsonst schmücken wir uns regelmäßig mit dem Titel „Exportweltmeister“. 2013 leitete die EU-Kommission deswegen sogar eine Untersuchung ein um zu prüfen, ob Deutschland mehr tun könne, um wirtschaftliche Ungleichgewichte innerhalb der EU-Staaten zu verringern – zu starke Leistungsbilanzüberschüsse werden als stabilitätsgefährdend eingestuft.

Gerd Müllers Aussage zur Hamburger Politikarena, dass „entscheidend ist, dass wir den Markt vom freien, zu einem fairen Markt ändern“, sollte also nicht nur bei den einzelnen Bürger*innen ansetzen. Exportweltmeister zu sein ist schön und gut, aber sich selbst an die eigene Nase fassen und vom Kuchen etwas abzugeben, ist meistens fairer. Das sollte sich jede*r Einzelne und auch die gesamte Wirtschaft zu Herzen nehmen.

Gerd Müller und Olaf Scholz im Gespräch mit Akteuren der Hamburger ZukunftsTour, umringt von Journalisten.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (l.) fasst sich beim Rundgang auf der Zukunftstour in Hamburg mit dem Erstem Bürgermeister der Hansestadt, Olaf Scholz, (r.) an die eigene Nase. Foto: Claudia Hammermüller

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